Mangelhafte hygienische Verhältnisse und Krankheiten, dabei kaum medizinische Versorgung und Arbeit bis zur Erschöpfung – so sah der triste Alltag vieler Waisenkinder in der frühen Neuzeit aus. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik hatte weniger die angemessene Versorgung der Kinder als vielmehr die Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Sinn.
Die hohe Sterblichkeitsrate von Waisenkindern führte Mitte des 18. Jahrhunderts im „Waisenhausstreit“ zu einem Umdenken: Pädagogische und soziale Reformen sollten das Los der Kinder bessern. Ein Beispiel, auf das sich die Reformer beziehen konnten, war das bereits 1698 gegründete, europaweit bekannte Waisenhaus in Glaucha, das unter der Leitung des bedeutenden Pietisten August Hermann Francke stand. Hier gab es ein differenziertes Schulsystem, auch für Mädchen, sowie Realien- und Fremdsprachenunterricht neben intensiver Bibelunterweisung. Aus dem Glauchaer Haus entstanden innerhalb von 30 Jahren die berühmten „Franckeschen Stiftungen“ im benachbarten Halle.
Das dortige „Historische Waisenhaus“ ist nun Schauplatz einer Ausstellung mit dem Titel „Kinder, Krätze, Karitas“, die noch bis zum 4. Oktober anhand von etwa 400 Objekten erstmals in Deutschland die Geschichte der Waisenfürsorge vom Hochmittelalter bis zur Gegenwart zeigt. Berührend sind etwa die Skelett-reste von Waisenkindern, die die eklatante Mangelernährung zeigen, oder kleine Glücksbringer aus dem Londoner „Foundling Hospital“, die Mütter ihren Kindern vor Abgabe im Findelhaus schenkten. Ein ganzer Raum ist der auf Erziehung und Bildung ausgerichteten Waisenfürsorge in den Niederlanden des 16. und 17. Jahrhunderts gewidmet, an der sich Francke orientierte. Begleitend ist ein Katalog in der Reihe der Franckeschen Stiftungen erschienen.