Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Der Elfenbeinturm könnte kippen

Gesellschaft|Psychologie

Der Elfenbeinturm könnte kippen
Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft hat der Forschung hierzulande eine ungekannte öffentliche Aufmerksamkeit verschafft. Was jetzt noch zu erledigen ist, sagt Generalsekretär Prof. Manfred Erhardt.

bild der wissenschaft: Wie sind Sie mit dem bisherigen Verlauf des Jahres der Technik zufrieden, Herr Prof. Erhardt?

Erhardt: So wie mit den bisherigen Jahren der Wissenschaft auch, die 2000 mit dem Jahr der Physik begonnen haben. Dabei steht das absolute Spitzenereignis, der Wissenschaftssommer in Stuttgart in der Woche vom 25. September bis 1. Oktober, noch bevor. Von dem Programm bin ich schon jetzt begeistert. Welcher Standort in Deutschland wäre besser geeignet, ein solches Event zu begehen als Stuttgart, Mittelpunkt der erfolgreichsten Hightech-Region Europas? Ich bin mir sicher, dass wir dabei Hunderttausende mobilisieren werden.

bdw: Anerkennung! Doch was bleibt bei einem solchen Event hängen – außer dem Trallala um die Wissenschaft?

Erhardt: Gerade der kritische Dialog kommt nicht zu kurz. Wir fokussieren uns auch keineswegs auf Akademiker, sondern sprechen breite Kreise an – beginnend bei den Schülern. Durch die gemeinnützige GmbH Wissenschaft im Dialog, kurz WiD, haben wir ein professionelles Marketing, das im Wesentlichen für die Organisation des Wissenschaftssommers verantwortlich ist. Doch was bundesweit abläuft, ist viel mehr. So hat inzwischen fast jede Zeitung ihre Wissenschaftsseite, und viele Fernsehkanäle haben ihre Wissenschaftssendung. Da ist eine enorme Entwicklung angestoßen worden.

Anzeige

bdw: Heißt das, dass die Öffentlichkeit in Deutschland die Wissenschaft heute besser beurteilt als vor einigen Jahren?

Erhardt: Eindeutig. Früher standen bei Meinungsumfragen die Bereiche Arbeit, Soziales, innere Sicherheit oder Wohnen weit vor Bildung und Wissenschaft. Allein die Tatsache, dass die Regierungskoalition angesichts sinkender Zustimmungsquoten die Vokabeln „Innovation“ und „Eliteuniversität“ wie als Befreiungsschlag auf den Meinungsmarkt geworfen hat, zeigt, dass diese Themen auf eine deutlich gewachsene Zustimmung in der Öffentlichkeit stoßen. Doch nicht nur der Stellenwert der Wissenschaft ist bei der Politik gestiegen, auch die Budgets steigen wieder an, nachdem das Jahr 2004 aufgrund der knappen öffentlichen Kassen weitgehend eine Nullrunde war. 2005 sollen die Haushalte – je nach Wissenschaftsorganisation – zwischen zwei und vier Prozent wachsen, die Fraunhofer-Gesellschaft soll sogar sieben Prozent mehr öffentliche Mittel bekommen. Mehr noch: Die Zahl der neu eingeschriebenen Studierenden in den Natur- und Ingenieurwissenschaften hat seit unseren Aktivitäten wieder zugenommen.

bdw: Begonnen hat die Entwicklung 1999. Damals setzte der Stifterverband mit der Initiative PUSH (public understanding of the sciences and humanities) eine Bewegung der großen Wissenschaftsorganisationen in Gang. Ein Jahr später entstand daraus „Wissenschaft im Dialog“. Was setzten Sie sich damals zum Ziel?

Erhardt: Die erste Aktivität des Stifterverbands war, die zehn großen Wissenschaftsorganisationen zusammenzubringen. Institutionalisiert wurde die Aufgabe durch WiD, anfinanziert vom Stifterverband. Das ist das Fundament, auf dem alle anderen Aktivitäten aufbauen. Parallel dazu haben wir die PUSH-Initiative in ein Aktionsprogramm gegossen, um in die Breite zu wirken: Vier Jahre hintereinander – von 2000 bis 2003 – konnten sich Initiativen überwiegend aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen beim Stifterverband bewerben. Durch eine Jury wurden die besten ausgewählt und ausgezeichnet. Insgesamt haben wir so 70 Projekte prämiert, die im Kindergarten, in Schule und Hochschule, in Museen oder Forschungseinrichtungen ansetzen. Das Bundesministerium für Bildung, Forschung und Technologie (BMBF) hat das Engagement der Wissenschaft großzügig unterstützt. Ich schätze, dass da binnen vier Jahren an die zehn Millionen Euro geflossen sind, die WiD dank Stifterverband, BMBF und anderer Sponsoren in die Hand nehmen konnte – nicht mitgerechnet die Arbeitsleistungen, die die Wissenschaftler selbst eingebracht haben.

bdw: Wer ist der Vater der Bewegung?

Erhardt: Es gibt viele Väter. Die Idee entstand bei zwei Waldspaziergängen, die ich zusammen mit Prof. Detlev Ganten gemacht habe, der jetzt Vorstandsvorsitzender der Charité ist. Von Ganten ging die Initialzündung aus. Er war der Meinung, dass es keine geeignetere Organisation gebe als den Stifterverband, um alles zu bündeln. Dass schließlich alle Wissenschaftsorganisationen mitmachten, verdanken wir dem Geschick und der Tatkraft von Prof. Treusch, dem Vorstandsvorsitzenden des Forschungszentrums Jülich.

bdw: Was bleibt zu tun?

Erhardt: Wir sind auf gutem Wege, dürfen aber nicht nachlassen. Es ist sehr wichtig, dass sich möglichst alle Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie möglichst viele Wissenschaftler auch weiterhin begeistern und in den Prozess einbringen. Nur wenn sie vor Ort sind, ständig für ihre Sache werben, das Gespräch mit der Öffentlichkeit suchen und so auch dafür sorgen, dass junge Menschen auf sie aufmerksam werden, können sie nachhaltigen Erfolg haben.

bdw: Was muss sich an den Hochschulen ändern?

Erhardt: Die Ausbildungs- und Arbeitsmärkte für Akademiker sind globalisiert. Das heißt auch: Wenn wir Spitzenuniversitäten wollen, dann solche, die nicht nur im nationalen, sondern auch im internationalen Rahmen Spitze sind. Das schaffen wir mit den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht. Warum soll nicht auch in Deutschland gelten, was andernorts längst Standard ist, nämlich erstens, dass sich Studierende ihre Hochschule und Hochschulen ihre Studierenden selbst auswählen können, zweitens, dass für gute Studien- und Betreuungsangebote sozialverträgliche Beiträge erhoben werden, und drittens, dass Betreuungsrelationen und -qualität von den Hochschulen selbst bestimmt werden können.

bdw: Wie lange wird es dauern, bis Ihre Wünsche umgesetzt sind?

Erhardt: Ich hoffe zunächst, dass das Bundesverfassungsgericht das Verbot von Studiengebühren aufhebt und dann die Bundesländer ihre Hochschulen ermächtigen, Studiengebühren zu erheben. Ich wünsche mir des weiteren, dass in vier oder fünf Jahren, jede Hochschule ihre Studierenden selbst auswählen darf. Und drittens setze ich darauf, dass die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von derzeit 2,5 Prozent auf 3 Prozent im Jahr 2010 am deutschen Bruttoinlandsprodukt steigen. Mit den für das Jahr 2005 veranschlagten Zuwächsen kommen wir allerdings nicht dorthin. Damit dieses Ziel erreicht wird, müssten allein die staatlichen F&E-Mittel um jährlich 6 bis 8 Prozent – um insgesamt über vier Milliarden Euro – angehoben werden.

bdw: Auch über die Bezahlung der Universitätsprofessoren in Deutschland wird immer wieder geklagt – obwohl sie doch bis zu 100 000 Euro pro Jahr verdienen, eine Lebensposition innehaben und anschließend noch eine vorzeigbare Pension erhalten.

Erhardt: Dennoch sind wir mit den besten Universitäten weltweit nicht konkurrenzfähig. In Deutschland gilt für alle Staatsuniversitäten, dass kein Professor – sei er auch noch so gut – mehr verdienen darf, als es der Tarif vorgibt, und der endet nun einmal in aller Regel bei Besoldungsgruppe B10 und damit eine Stufe unterhalb Bundesstaatssekretär. Wir müssen lernen, dass Talent und Tüchtigkeit auch bei Wissenschaftlern der Maßstab für die gehaltliche Entwicklung ist und nicht Gleichmacherei. Spitzenleute in den USA verdienen mehr als 250 000 Dollar, und auch in der Schweiz sind höhere Gehälter als bei uns keine Seltenheit.

Prof. Dr. Manfred Erhardt

ist seit 1996 Generalsekretär des Stifterverbandes. Nach seiner Promotion zum Dr. iur. arbeitete Erhardt (Jahrgang 1939) in verschiedenen Positionen der öffentlichen Wissenschaftsverwaltung. Von 1991 bis 1996 war er Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft ist eine Gemeinschaftsinitiative der führenden deutschen Unternehmen – gegründet 1920 –, die mit ihren Spenden (2003: mehr als 30 Millionen Euro) zur Verbesserung des Wissenschaftssystems in Deutschland beitragen wollen.

Das Gespräch führte Wolfgang Hess ■

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

gleich|be|schaf|fen  auch:  gleich be|schaf|fen  〈Adj.〉 übereinstimmend, gleichartig … mehr

Ka|pil|lar|mi|kro|sko|pie  auch:  Ka|pil|lar|mik|ro|sko|pie  〈f. 19; unz.; Med.〉 mit einem Mikroskop direkt am Patienten durchgeführte Untersuchung der Durchblutung der Kapillaren … mehr

Schnee|bee|re  〈f. 19; Bot.〉 Traubige ~ aus Nordamerika stammendes Geißblattgewächs mit weißen Beeren, die mit einem Knall zerplatzen, wenn man darauftritt: Symphoricarpus albus; Sy Knallerbse ( … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige