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Die kleinen Helfer

Gesellschaft|Psychologie

Die kleinen Helfer
Viele Künstler puschen ihre Kreativität mit Drogen – und wie sieht es bei Wissenschaftlern aus?

„Ein Mathematiker ist eine Maschine, die aus Kaffee Theoreme herstellt.“ Diese schöne Definition stammt von Paul Erdös, einem in Ungarn geborenen Mathematiker, der 1996 im Alter von 83 Jahren starb. Er hinterließ der Fachwelt 1500 Artikel zur Zahlentheorie, Wahrscheinlichkeitstheorie und vielen anderen Gebieten. Unter Kollegen galt er als Genie, als größter Mathematiker seit Euler.

Erdös lebte fast ausschließlich für die Mathematik. Er reiste mit einem halb vollen Koffer von Konferenz zu Konferenz, von Universität zu Universität und quartierte sich bei Kollegen ein. 19 Stunden am Tag widmete er sich seinen Gleichungen – eine Leistung, die er nur mit Unmengen Kaffee, Koffeintabletten und Amphetaminen zustande brachte.

Ein Freund überredete Erdös einmal, für einen Monat auf die Wachmacher-Pillen zu verzichten. Erdös schaffte das, warf dem Kollegen aber vor, er habe den mathematischen Fortschritt um einen Monat aufgehalten.

Über den Drogenkonsum von Wissenschaftlern ist ansonsten wenig bekannt. Historiker und Biographen zucken die Achseln oder verfallen in schweigsames Nachdenken, wenn man sie ausdrücklich nach den „kleinen Helfern“ der großen Geister fragt.

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Ernst-Peter Fischer, Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz, der sich in seinem Buch „Die aufschimmernde Nachtseite“ ausführlich mit Kreativität und Offenbarung in den Naturwissenschaften beschäftigt hat, fällt immerhin Georg Christoph Lichtenberg ein und sein Spruch: „Wenn man manchen großen Taten und Gedanken bis zu ihrer Quelle nachspüren könnte, so würde man finden, dass sie öfters gar nicht auf der Welt sein würden, wenn die Bouteille verkorkt geblieben wäre, aus der sie geholt wurden. Man glaubt nicht, wie viel aus jener Öffnung herauskommt.“

Lichtenberg (1742 bis 1799) war immerhin Professor für Experimentalphysik. Als Verfasser geistreicher Aphorismen gehörte er aber auch einer Berufsgruppe an, die aus ihrem innigen Verhältnis zum Alkohol und anderen Stimulanzien nie ein Geheimnis gemacht hat. Im Gegenteil: Das Thema „Dichter und Drogen“ bietet so viel Stoff, dass das Schiller-Nationalmuseum in Marbach vor Jahren dazu eine ganze Ausstellung aufbaute, in deren Katalog sich auch das Lichtenberg-Zitat findet.

Über Wissenschaftler gibt es nichts dergleichen. Sind sie so nüchterne Typen? Keineswegs.

„Wehe, Prinzesschen, wenn ich komme. Ich küsse Dich ganz rot und füttere Dich ganz dick, und wenn Du unartig bist, wirst Du sehen, wer stärker ist, ein kleines, sanftes Mädchen, das nicht isst, oder ein großer, wilder Mann, der Kokain im Leib hat.“ Das schrieb kein Geringerer als Sigmund Freud an seine Braut Martha Bernays.

Der Wiener Nervenarzt (1856 bis 1939) war ab 1884 ganz versessen auf die Droge, der er eine „gegen Hunger, Schlaf und Ermüdung schützende und zur geistigen Arbeit stählende Wirkung“ attestierte: Er empfahl sie als „ein weit kräftigeres und unschädlicheres Stimulans als den Alkohol“. Erst Mitte der Neunziger ließ er die Finger von dem Stoff, nachdem ein Freund, den Freud mit Kokain von seiner Heroinsucht befreien wollte, elendig an den Folgen seines Drogenkonsums gestorben war.

Timothy Leary (1920 bis 1996) war ein angesehener Professor der Psychologie an der Harvard University, bevor er Ende der fünfziger Jahre mit psychedelischen Pilzen und später mit LSD zu experimentieren begann. Seine unorthodoxen Forschungsmethoden – Versuchspersonen und Wissenschaftler trafen sich im Haus des Professors und warfen gemeinsam Drogen ein – führten jedoch zu einem vorzeitigen Ende seiner Karriere: Leary wurde 1963 gefeuert und landete wegen Drogenbesitz sogar im Gefängnis.

Doch die wilden Sechziger zogen mit ihren Drogenexperimenten viele in ihren Bann – darunter auch den Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman (1918 bis 1988), der unter dem Einfluss von Leary Marihuana und LSD ausprobierte, um sein Bewusstsein zu erweitern. Außerdem begab er sich in einen schalldichten Bunker, um durch den Entzug von Sinnesreizen Halluzinationen zu bekommen.

Der Astronom Carl Sagan (1934 bis 1996) nahm Marihuana sogar regelmäßig und war der Meinung, dass „die Einsichten, die man erzielt, wenn man ,high‘ ist, wirkliche Einsichten sind. Das Hauptproblem ist, diese Einsichten in eine Form zu bringen, die akzeptabel sind für das ganz andere Selbst, das man am nächsten Tag ist, wenn man ,down‘ ist.“

Für Ernst-Peter Fischer sind solche subjektiven Einschätzungen nicht überzeugend: „Mir ist keine bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnis bekannt, die unter Drogeneinfluss zustande gekommen wäre.“

Durch meditatives Versenken schon eher: So berichtet der Schweizer Physiker Alex Müller, Jahrgang 1927, nobelpreisgekrönt für die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung, dass er sich durch eine bestimmte Kristallstruktur mit fünfzähliger Symmetrie inspirieren ließ: „Die Perowskit-Struktur hat viele Jahre meiner wissenschaftlichen Anstrengungen bestimmt. Als Symbol hat sie für mich unzweifelhaft Mandala-Charakter.“

Manche Drogen-Erfahrungen zeigen ihre Folgen erst viele Jahre später. So kam der berühmte amerikanische Neurologe und Bestseller-Autor Oliver Sacks, 71, im vergangenen Jahr im „New Yorker“ auf Trips aus den sechziger Jahren zu sprechen. Er hatte damals hohe Dosen von Amphetaminen eingenommen – mit krassen Wirkungen: „Für zwei Wochen oder so stellte ich fest, dass ich höchst akkurate anatomische Zeichnungen anfertigen konnte. Ich musste nur ein Bild oder ein anatomisches Präparat anschauen, (…) konnte es stundenlang im Gedächtnis halten und auf ein Blatt Papier projizieren.“

Diese Beobachtungen gleichen den seltsamen Fähigkeiten von Savants, ein wenig auch den „inneren Videos“ der Autistin Temple Grandin (siehe Beitrag „Genial daneben“). Allerdings konnte Sacks‘ Mutter, eine Chirurgin, ihr Lebtag lang anatomische Präparate aus dem Gedächtnis abzeichnen – ohne Drogen zu nehmen und zum Erstaunen ihres Sohnes.

Judith Rauch ■

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