Achtung, über den habe ich Schlechtes gehört! Manche Personen können bei Dohlen einen buchstäblich schlechten Ruf haben, geht aus einer Studie hervor: Die intelligenten Rabenvögel können anhand spezieller Lautäußerungen ihrer Artgenossen offenbar lernen, bestimmte Menschen in ihrem Lebensraum mit Gefahr in Verbindung zu bringen. In ihrem zunehmend vom Menschen geprägten Lebensraum kann dies vorteilhaft sein, erklären die Wissenschaftler.
Menschenaffen, Delfine, Elefanten… und einige hochintelligente Tiere gibt es auch direkt vor unserer Haustür: In den letzten Jahren haben verschiedene Vertreter der Rabenvögel ihren erstaunlich scharfen Verstand unter Beweis gestellt. Rabe, Elster, Dohle und Co können Werkzeuge benutzen, entwickeln raffinierte Strategien und zeigen auch in puncto sozialer Intelligenz erstaunlich komplexe Fähigkeiten: Die geselligen und treuen Vögel interagieren und kommunizieren miteinander in vielfältiger Weise, wie zahlreiche Studien belegen.
In diesem Zusammenhang sind besonders die in Europa weitverbreiteten Dohlen für ihr besonders vielschichtiges Lautrepertoire bekannt. Wer von den vergleichsweise zierlichen Rabenvögel im Garten oder auf dem Balkon regelmäßig besucht wird, weiß: Sie sind ausgesprochen „geschwätzig“. Manchmal drängt sich regelrecht die Frage auf, was sich die „frechen“ Gesellen wohl zu „erzählen“ haben oder was sie gerade wieder „aushecken“. Denn gerade im städtischen Umfeld kommt ihnen ihre Intelligenz zugute: Sie lernen schnell, sich neue Futterquellen zu erschließen und sich dabei auch am Verhalten des Menschen zu orientieren.
Dohlen kennen ihre Pappenheimer
Dohlen können in diesem Zusammenhang auch sehr zutraulich werden – manche bauen sogar freundschaftliche Beziehungen zu Menschen auf, wie zahlreiche Beispiele belegen. Doch auch das Gegenteil gibt es: Manche Leute können die lauten und manchmal lästigen Vögel nicht leiden und reagieren aggressiv auf sie. In diesem Zusammenhang ist bereits bekannt, dass Dohlen anhand des Aussehens genau unterscheiden können, mit wem sie es zu tun haben. Wer sich ihnen gegenüber einmal nett oder aber unfreundlich verhalten hat, merken sich Dohlen und bei einem Wiedersehen passen sie ihr Verhalten dann entsprechend an. Vor diesem Hintergrund sind die Forscher um Victoria Lee von der University of Exeter nun der Frage nachgegangen, ob die cleveren Vögel neben den persönlichen Erfahrungen auch Informationen ihrer Artgenossen in die Beurteilung eines Menschen einbeziehen können.
Die Wissenschaftler haben dazu Versuche mit wildlebenden Dohlen in Cornwall durchgeführt. Bei den Experimenten bewegten sich einzelne Forscher demonstrativ im Lebensraum von Individuen, die über ihre jeweiligen Nester klar zu identifizieren waren. Beim Erscheinen des jeweiligen Forschers wurde über Lautsprecher entweder ein für Dohlen typischer Warnruf abgespielt oder aber ein Kontaktruf, der keine Gefahr bedeutet. Später tauchte der jeweilige Forscher dann erneut bei den Vögeln auf und die Wissenschaftler analysierten anschließend Aufnahmen des Verhaltens der Vögel beim Wiedersehen.
Hilfreiche Fähigkeit für gefiederte Städter
Es zeigte sich: Die gefiederten Probanden brachten den jeweiligen Ruf mit den Personen in Verbindung. Obwohl sie nicht selbst schlechte Erfahrungen gemacht hatten, reagierten sie auf Besucher, bei denen zuvor der Warnruf ertönt war, beim Wiedersehen mit Scheu. Bei Personen, deren erstmalige Erscheinung von den Kontaktrufen begleitet war, zeigten sie dieses Verhalten hingegen nicht, dokumentierten die Aufnahmen. Somit zeichnet sich deutlich ab, dass Dohlen auch durch soziales Lernen Informationen über das Gefährdungspotenzial durch bestimmte Menschen erhalten können, sagen die Wissenschaftler.
„Das enge Zusammenleben mit uns ist für einige Tierarten eine spezielle Herausforderung“, sagt Lee. Das Problem ist ihr zufolge dabei unter anderem die starke Individualität des Menschen: Bei vielen ist Fluchtverhalten unnötig oder es entstehen durch Zutraulichkeit sogar Vorteile, wenn diese Menschen beispielsweise gerne Vögel füttern. Andere können hingegen aus verschiedenen Gründen eine Bedrohung darstellen. „In der Lage zu sein, zwischen gefährlichen und harmlosen Personen zu unterscheiden, ist deshalb wohl gerade im urbanen Umfeld vorteilhaft. Unsere Studie erweitert in diesem Zusammenhang nun das Wissen: Dohlen können offenbar sogar lernen, gefährliche Menschen zu identifizieren, ohne selbst schlechte Erfahrungen gemacht zu haben“, resümiert die Wissenschaftlerin.
Quelle: University of Exeter, Fachartikel: Royal Society Open Science, doi: 10.1098/rsos.191031