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Ist Sensibilität genetisch bedingt?

Gesellschaft|Psychologie

Ist Sensibilität genetisch bedingt?
Die Forscher haben die Grundlagen der Sensibilität an Zwillingen untersucht. (Bild: gpointstudio/iStock)

Manche wirken unerschütterlich, andere sind empfindlich wie Mimosen: Auf positive oder negative Erfahrungen reagieren Menschen bekanntlich unterschiedlich stark. Inwieweit dieses Empfindlichkeits-Niveau auf genetischen Veranlagungen oder den Erfahrungen während der Entwicklung eines Menschen basiert, haben Forscher nun durch eine Zwillingsstudie untersucht. Wie aus den Ergebnissen hervorgeht, ist die Sensibilität des Menschen etwa zur einen Hälfte eine Veranlagungssache und zur anderen ein Resultat von Erziehung und Umfeld.

Nature or nurture? – Inwieweit sind unserer Persönlichkeitsmerkmale vorprogrammiert und welche Rolle spielen Erfahrungen, Erziehung und Kultur? Die Forscher um Michael Pluess von Queen Mary University of London rücken in diesem Zusammenhang nun einen speziellen Aspekt in den Fokus: die Sensibilität. Damit ist das Merkmal gemeint, das bestimmt, wie intensiv wir auf Erfahrung in unserem Leben reagieren, die mit unseren Gefühlen verknüpft sind. „Wir sind alle von dem, was wir erleben, betroffen – Sensibilität ist etwas, das wir als eine grundlegende menschliche Eigenschaft teilen“, sagt Pluess.

„Menschen unterscheiden sich allerdings deutlich darin, wie stark positive oder negative Erfahrungen auf sie einwirken. Aus früheren Forschungen wissen wir, dass sich etwa ein Drittel der Menschen am oberen Ende des Empfindlichkeitsspektrums befindet. Sie sind vergleichsweise stark von ihren Erfahrungen betroffen. Dies kann sowohl Vor- als auch Nachteile haben”, sagt der Psychologe. Denn die Sensibilität ist mit unterschiedlichen Talenten, Neigungen und Schwächen von Menschen verbunden – von den Empathiefähigkeiten über künstlerischen Begabungen bis hin zu Angststörungen und Depressionen.

Der Sensibilität auf der Spur

Um den Hintergründen der Sensibilität auf die Spur zu kommen, haben Pluess und seine Kollegen eine sogenannte Zwillingsstudie durchgeführt. Dabei nutzten die Forscher den Umstand, dass Zwillinge gleich alt sind und meist gemeinsam aufwachsen, wodurch sie viele Erfahrungen durch die Erziehung und das Umfeld teilen. Der andere für die Wissenschaft interessante Aspekt ist, dass es zwei Kategorien gibt: Eineiige Zwillinge besitzen die gleiche genetische Sequenz – bei zweieiigen unterscheidet sich das Erbgut hingegen wie bei normalen Geschwistern.

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An der Studie haben 2800 Zwillinge teilgenommen, von denen etwa 1000 aus eineiigen und 1800 zweieiigen Paaren stammten. Alle Teilnehmer wurden gebeten, einen Fragebogen zu beantworten, der als ein Standardtest zur Einstufung des Grads der Sensibilität von Menschen gilt. Durch statistische Vergleiche der Unterschiede in der Sensibilität zwischen den Zwillingspaaren sind deshalb Rückschlüsse auf den Einfluss der Genetik möglich, erklären die Wissenschaftler. Konkret würde im Extremfall gelten: Wenn sich eineiige Zwillinge in ihrem Empfindlichkeits-Niveau nicht ähnlicher wären als zweieiige Zwillinge, dann würden Gene wahrscheinlich keine Rolle spielen.

Etwa Hälfte-Hälfte

Wie die Forscher berichten, ging aus den Auswertungen in Verbindung mit den jeweiligen Zwillingskonstellationen unterm Strich hervor: 47 Prozent der Unterschiede in der Sensibilität zwischen Individuen sind auf genetische Ursachen zurückzuführen. Im Umkehrschluss bedeutet das, das die Faktoren wie Erziehung und Umwelt eine Rolle von 53 Prozent spielen. „Man hat bisher nur angenommen, dass es eine genetische Grundlage für Sensibilität gibt, aber dies ist das erste Mal, dass wir in der Lage sind, tatsächlich zu quantifizieren, wie viel der Unterschiede in der Sensibilität durch diesen Faktor zu erklären sind”, resümiert Pluess.

Das Team fand zudem Hinweise darauf, dass unterschiedliche genetische Veranlagungen beeinflussen, inwieweit Menschen intensiv auf positive oder negative Erfahrungen reagieren. Vereinfacht ausgedrückt bedeutetet das: Es gibt offenbar bestimmte genetische Merkmale, die begünstigen, dass Menschen etwa besonders bei schlechten Nachrichten oder Signalen überreagieren. Beim Gegenteil gibt es demnach eine Veranlagung zu einer intensiven Verarbeitung von Erfreulichem.

Die Forscher gingen zudem der Frage nach, ob sich Verknüpfungen zwischen der Sensibilität und anderen wichtigen Persönlichkeitsmerkmalen abzeichnen. Zu diesen gehören Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Freundlichkeit, Extrovertiertheit und Neurotizismus. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es offenbar eine gemeinsame genetische Grundlage von Sensibilität, Neurotizismus und Extrovertiertheit gibt, jedoch nicht mit einem der anderen Persönlichkeitsmerkmale.

Was die Botschaft der Studienergebnisse betrifft, sagt Pluess: „Die Feststellung, dass die Entwicklung der Sensibilität ebenso auf der Genetik wie auch auf der Umwelt basiert, hebt hervor, dass Menschen diese Eigenschaft als einen wichtigen Teil ihrer Identität sehen sollten“. Dabei sollte man sich auch darüber bewusst sein, dass die Empfindsamkeit sowohl eine Stärke als auch eine Schwäche sein kann, so der Seniorautor der Studie.

Mit Blick auf die Entwicklung von Kindern, sagt die Erstautorin Elham Assary: „Wenn ein Kind eine höhere Sensibilität für positive Erfahrungen hat, kann es sein, dass es besonders günstig auf gute Erziehung anspricht oder mehr von psychologischen Interventionen in der Schule profitiert. Wenn ein Kind andererseits besonders empfindlich auf negative Erfahrungen reagiert, kann es sein, dass es in herausfordernden Situationen leichter gestresst und ängstlich reagiert“, so die Psychologin. Im Umgang mit diesen Neigungen sollten nahestehende Menschen demnach wiederum ihre eigene Sensibilität zur Entfaltung bringen.

Quelle: Queen Mary University of London, Fachartikel: Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/s41380-020-0783-8

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