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„Jeder wird ein Warenproduzent“

Visionär Jeremy Rifkin: Die ökologische Revolution

„Jeder wird ein Warenproduzent“
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Jeremy Rifkin 2009 - Bild: creative-commons-Lizenz, Heinrich Böll Stiftung, Deutschland, Foto by Stephan Röhl
Eine konkrete Utopie: Der US-amerikanische Soziologe, Ökonom und intellektuelle Tausendsassa Jeremy Rifkin prophezeit eine dritte industrielle Revolution, die in ein ökologisches Zeitalter mündet – dank Internet, 3D-Druckern und grüner Energie.

Jeremy_Rifkin_250.jpg„Die EU-Kommission plant dritte industrielle Revolution“, so lautete eine Zeitungsschlagzeile im Oktober 2012. Unter dem Druck der Euro-Krise will die Kommission nun die schrumpfende Industrie in Europa finanziell stärken, damit neue Arbeitsplätze entstehen. Mehr Investitionen für Fabriken, den Binnenmarkt ausbauen, Aus- und Fortbildung für Arbeitskräfte fördern – das ist das politische Credo der EU-Kommission. Wirklich innovativ klingt das nicht. Sieht so die dritte industrielle Revolution aus? Und kann man damit die formulierten ehrgeizigen Umweltziele erreichen? Der US-amerikanische Soziologie Jeremy Rifkin bezweifelt das und rät der EU-Kommission zu einem anderen Weg. Auch er propagiert für das 21. Jahrhundert eine Ära der dritten industriellen Revolution. Allerdings eine, die in ein grünes Zeitalter führt.

Von Jeremy Rifkin

Der Blick in die Geschichte macht es uns deutlich: Große wirtschaftliche Umwälzungen ereignen sich immer dann, wenn sich neue Formen der Kommunikation und der Energiegewinnung entwickeln und miteinander verbinden. Denn mit einer Energierevolution intensiviert und dehnt sich der Handel aus. Und die neuen Formen der Kommunikation helfen dabei, die neu entstandenen komplexen Handelsbeziehungen zu regeln.

So vollzog sich im 19. Jahrhundert, nachdem die Dampfmaschine erfunden war, die erste industrielle Revolution. Fortan konnte man Druckmaschinen günstig betreiben. Zur selben Zeit wurden vielerorts öffentliche Schulen eingerichtet. Die Menschen lernten lesen und schreiben und waren zunehmend mit einem Werkzeug ausgerüstet, mit dem sie den florierenden Handel in schriftlicher Form organisieren konnten. Mit der Nutzung der Elektrizität ereignete sich im 20. Jahrhundert die zweite industrielle Revolution. Auch diese neue Energieform brachte neue Kommunikationskanäle hervor – etwa das Telefon, Radio oder Fernsehen –, die den Massenkonsum ankurbelten.

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Schon heute kündigt sich eine dritte bahnbrechende Umwälzung an. Aktuell gehen das Internet und die erneuerbaren Energien eine vielversprechende Ver-bindung ein. Diese Fusion wird die neue Infrastruktur hervorbringen für eine dritte industrielle Revolution – eine Revolution, die die Art und Weise, wie Energie im 21. Jahrhundert verteilt wird, völlig verändert. In Zukunft werden Millionen von Menschen, ob zu Hause oder im Büro, selbst grünen Strom produzieren und in einer Art Energie-Internet miteinander teilen, genauso wie wir heute ständig Informationen über das Internet generieren und austauschen.

Jedes Gebäude ist ein Kraftwerk

Diese neue Infrastruktur wird Tausende neuer Unternehmen und Millionen von Jobs über Nacht hervorbringen. Sie wird die Basis einer nachhaltigen globalen Wirtschaft für das 21. Jahrhundert bilden. Doch diese Energierevolution muss auf fünf tragenden Säulen errichtet werden. Jede Säule ist notwendig, sonst fehlt ihr ein stabiles Fundament.

Säule eins ist die Produktion sauberer Energie aus Wind, Sonne und anderen erneuerbaren Quellen, um Uran, Erdöl und Kohle zu ersetzen. Zweitens sieht man heute schon den Trend, dass sich die Energieherstellung dezentralisiert. Potenziell ist jedes Gebäude ein eigenes Kraftwerk, die Bedeutung der alten Großanlagen nimmt ab. Weil aber die regenerative Energie oftmals vom Wetter abhängt und unregelmäßig anfällt, braucht man drittens neue Energiespeicher. Wasserstoff könnte hier das entscheidende Medium sein. Säule vier: Das intelligente Stromnetz, welches Hunderttausende Stromproduzenten und Verbraucher so miteinander verknüpft, dass sich Energieangebot und -nachfrage ausgleichen. In Deutschland, das eine Vorreiterrolle einnimmt, wird dieses Energie-Internet bereits an acht Orten getestet. Und fünftens: das Elektroauto, also Fahrzeuge, die ohne Öl auskommen.

Doch dazu kommt noch eine weitere bahnbrechende Umwälzung: Wir werden alle möglichen Güter des täglichen Lebens digital produzieren können. Im neuen Zeitalter wird nicht nur jeder über seine eigene Internetseite und sein eigenes Energiekraftwerk verfügen, jeder wird auch sein eigener Warenproduzent sein. Waren dreidimensional ausdrucken, das ist das Verfahren der Zukunft. Das mag etwas nach Science Fiction klingen, doch dieses Verfahren läuft bereits an und wird unsere Möglichkeiten, Produkte industriell zu produzieren, komplett revolutionieren.

Damit können wir mit nur wenigen Mausklicks ein dreidimensionales Produkt ausdrucken, so wie wir bereits heute bequem ein Schriftstück ausdrucken. Eine Computer-Software steuert den 3D-Drucker, der Schicht um Schicht ein Pulver, flüssiges Plastik oder verschiedene Metalle aufträgt, sodass ein dreidimensionales Gebilde entsteht. Der 3D-Drucker kann wie ein Kopiergerät mehrere Kopien erstellen. Man wird alle erdenklichen Produkte „ausdrucken“ können – von Schmuck über Handy-, Auto- oder Flugzeugteilen, bis hin zu medizinischen Prothesen oder Batterien. Heute fallen in der Produktion vieler Güter Unmengen von Materialabfällen an, weil man aus dem Rohmaterial die passende Form herausschneidet, -fräst oder -stanzt. Mit dem 3D-Drucker gibt es dieses Abfallproblem nicht mehr. Heutige Unternehmer aus der 3D-Druckerbranche halten das neue Produktionsverfahren für außerordentlich Erfolg versprechend, weil es bis zu 90 Prozent an Rohmaterial einspart. Das reduziert die Herstellungskosten enorm.

Das Internet hat die Kosten, Informationen bereitzustellen, radikal gesenkt und neue Firmen wie Google oder Facebook wie Pilze aus dem Boden schießen lassen. Auf eben diese Weise wird der 3D-Druck die Herstellungskosten für Produkte „zum Anfassen“ senken und damit Hunderttausenden Firmen weltweit den Zugang zum Markt ermöglichen. In Zukunft werden kleinere und mittlere Unternehmen die gigantischen Branchenriesen herausfordern, die seit der ersten und zweiten industriellen Revolution bis heute den Markt dominieren.

Tausende übers Land verteilte Kleinfabriken

Bei jedem Schritt dieser neuen digitalen Herstellungsweise spart die Weltwirtschaft mehr Energie und Material ein, als man es sich bislang vorstellen konnte. Das Potenzial dieser dritten industriellen Revolution wird deutlich, wenn man sich einmal klar macht, dass die benötigte Energie erneuerbar ist und direkt vor Ort produziert wird. Die gesteigerte Energieeffizienz – das heißt die Einsparung von Energie – wird nach aktuellen Berechnungen etwa 84 Prozent der Produktivitätssteigerung ausmachen. Nur 14 Prozent des Produktivitätszuwachses werden darin begründet liegen, dass neue Arbeitsplätze entstehen. Wir können heute nur entfernt erahnen, welchen unglaublichen Sog diese neue „Einsparwirtschaft“ auf unsere Gesellschaft ausüben wird.

Mit dem 3D-Druck kann auf Anfrage ein Produkt ganz individuell, zeitnah und direkt vor Ort gefertigt werden. Unsere Waren werden in Tausenden übers Land verteilten Kleinfabriken produziert werden. Längere Transportwege und –kosten fallen damit plötzlich weg.

Diese dezentrale Warenproduktion der dritten industriellen Revolution wird mittelständi-schen Betrieben zu einer neuen Blütezeit verhelfen. Großkonzerne werden deshalb sicher nicht von der Bildfläche verschwinden. Sie werden sich vielmehr von Produzenten hin zu Verteilern und Koordinatoren des Warenstroms entwickeln. Sie werden dabei helfen, die Produkte durch die vielen neuen Netzwerke der Produktion und auf ihrem Weg durch die Wertschöpfungskette zu begleiten und zu managen.

Die rasante Kostensenkung wird zu einer Demokratisierung der Information und Produktion, des Marketings und der Logistik führen. Es wird eine kapitalistische Marktwirtschaft mit demokratischen Strukturen entstehen, die unsere zukünftige Geschäftswelt fundamental verändern wird.

So gibt die dritte industrielle Revolution den Blick frei auf eine nachhaltige postkarbone Epoche, die wir schon 2050 erreichen können. Wir verfügen über das Wissen, die Technik und über eine Strategie, um das alles wahr werden zu lassen. Es liegt nur an uns, den Willen aufzubringen, diese wirtschaftliche Chance rechtzeitig zu nutzen.

Übersetzt aus dem Amerikanischen von Tania Greiner. Der Text erschien in „natur Dezember 2012“

Bild: creative-commons-Lizenz, Heinrich Böll Stiftung, Deutschland, Foto by Stephan Röhl

© natur.de – Tania Greiner
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