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Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

Gesellschaft|Psychologie

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold
Manchmal ist das umgekehrte Sprichwort wahr: Selbstgespräche helfen beim Denken.

Murmelt der Kollege am Nachbartisch ständig vor sich hin? Stellt er sich Fragen oder erklärt er sich komplizierte Sachverhalte?

Anstatt derlei Selbstgespräche zu belächeln oder gar zu unterbinden, sollten Vorgesetzte ihre Mitarbeiter dazu ermuntern, sich bei der Arbeit selbst zu Rate zu ziehen. Das gilt zumindest für Konstrukteure im Maschinenbau. Die sind kreativer und lösen Aufgaben besser, je mehr Fragen sie sich während des Entwurfsprozesses stellen. Das fanden Psychologen der Universitäten Bamberg und Wien bei der wissenschaftlichen Betrachtung von Selbstgesprächen heraus.

Dietrich Dörner und Ralph Reimann wollten in einem Laborexperiment herausfinden, ob die Qualität der Entwürfe mit der Häufigkeit der Selbstbefragungen zusammenhängt, und wenn ja, welche Fragen zu den besten Ergebnissen führen. Die Antworten könnten – neben dem reinen Erkenntnisfortschritt – helfen, die Ausbildung von Konstrukteuren zu verbessern. Der Maschinenbau ist mit seinem kreativen Potenzial einer der wichtigsten Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

Die Selbstgespräche waren Teil des DFG-Projekts „Visuelle Vorstellungen im Konstruktionsprozess“. Als „Gesprächspartner“ dienten 17 Studenten und Studentinnen des Maschinenbaus, aber auch anderer Fächer, sowie zwei Ingenieure, die bereits im Berufsleben standen. In Einzelsitzungen mussten die Probanden eine Konstruktionsaufgabe lösen. Vorher hatten die Versuchsleiter sie explizit zum lauten Denken ermuntert. Die Tüfteleien wurden mit Video aufgezeichnet, die Selbstbefragungen protokolliert. In den jeweils rund 100 Minuten Bearbeitungszeit stellten die Versuchsingenieure insgesamt 281 Fragen an sich selbst.

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Drei Experten bewerteten anschließend die Qualität der Entwürfe nach A-, B- und C-Güte. Die Skala zeigte eine eindeutige Tendenz: Konstrukteure, die Entwürfe der Güteklasse A ablieferten, hatten deutlich mehr Fragen an sich selbst gestellt als die weniger erfolgreichen – unabhängig davon, wie lange sie an der Lösung herumgetüftelt hatten. Der erfolgreichste Teilnehmer hatte sich knapp 60 Fragen gestellt, der zweitbeste 40. In der leistungsschwachen „C-Gruppe“ war man am schweigsamsten zu Werke gegangen: Die beiden schlechtesten Lösungen waren gar nicht oder nur von drei Fragen begleitet.

Um herauszufinden, welche Art von Selbstbefragung zuverlässig zum Erfolg führt, kategorisierten Dörner und Reimann die Fragen in vier Typen:

• konstruktive Erweiterungsfragen,

• Konsequenz-Analysefragen,

• Defätismusfragen und

• Unkenntnisfragen.

„Die erfolgreichsten Konstrukteure fielen dadurch auf, dass sie besonders viele Konsequenz-Analysefragen und Erweiterungsfragen stellten“, berichtet Dietrich Dörner. Das sind Fragen etwa der Art: „Wie kann ich das hier anbringen?“ oder: „ Wenn ich es so mache, hält das dann?“ Als wenig hilfreich erwiesen sich dagegen Defätismusfragen, also negative Bemerkungen über sich selbst und die eigenen Lösungsideen. Gemurmeltes, wie „ Wieso kriege ich das jetzt nicht hin?“ oder „Bin ich denn blöd?“ halfen dem Geist nicht wirklich auf die Sprünge.

Die Psychologen raten Lehrkräften angesichts dieser Ergebnisse, ihre Studenten zu ermuntern, Konsequenzfragen zu stellen und solche Selbstgespräche auch bewusst zu trainieren: „ Sich selbst immer wieder nach den Effekten eigener Handlungen zu fragen, hat nichts mit Charakter oder Redseligkeit zu tun – jeder kann es sich zur Gewohnheit machen“, regt Ralph Reimann an.

Ob diese verbale Technik auch anderen Berufen, etwa Chirurgen, weiterhilft, müsste noch untersucht werden. Konsequenzfragen im OP wie „Was passiert eigentlich, wenn ich dieses Gewebe hier auch noch wegschneide?“ könnten das Ergebnis zwar optimieren, anwesende Assistenzärzte aber verunsichern und die OP-Zeit verlängern. ■

Eva Tenzer

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