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Second Life, Third Dimension

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Second Life, Third Dimension
Second Life lockt Millionen Menschen zu einem Besuch in der virtuellen Welt. Es gibt einen Vorgeschmack auf das dreidimensionale Internet von morgen.

„Guten Tag, ich würde gerne ein Konto eröffnen.“ – „Aber bitte, nehmen Sie doch Platz!“ An dieser Situation wäre nichts ungewöhnlich, würde sie sich nicht in einem anderen Leben abspielen, im „Second Life“. Denn seit die Deutsche Bank im Mai 2007 ihre Zweigstelle in der virtuellen Parallelwelt dieser Online-Plattform eröffnet hat, kann man sich dort beraten und über Dienstleistungen des Finanzunternehmens informieren lassen. Die Möglichkeit, anderen Menschen in Gestalt einer zweiten Identität in einem anderen Leben zu begegnen – und das vom Computer daheim aus –, übt einen starken Reiz auf viele Menschen aus. Seit das zweite Leben 2003 online ging, stieg nicht nur die Zahl seiner „Bewohner“ stetig an, auch immer mehr kleine und große Unternehmen wie EnBW, Sony und IBM lassen sich in dem Paralleluniversum im Internet nieder und errichten dort virtuelle Zweigstellen. Sie nutzen die Plattform, um neue Vermarktungsstrategien zu testen und die Aufmerksamkeit der derzeit rund sechs Millionen angemeldeten User auf sich zu ziehen: Die Second-Life-Bewohner sind auf dem Bildschirm als Avatare zu sehen – künstliche digitale Wesen, die sich in den virtuellen Städten und Landschaften tummeln.

Neben der neuen Form von Werbung verlockt Unternehmen jeder Größe vor allem die Möglichkeit, zu testen, was in einer dreidimensionalen Umgebung technisch machbar ist. Second Life ist ein Muster dafür, wie die nächste Stufe des Internet, das Web 3.0, aussehen könnte. Da ist es kein Wunder, dass der Medienrummel um die Online-Plattform unaufhörlich steigt. Aber klopft mit Second Life tatsächlich das 3D-Internet an die Tür, oder wird das virtuelle Spektakel genauso sang- und klanglos untergehen wie schon zahlreiche andere Online-Anwendungen zuvor?

Im Gegensatz etwa zu „World of Warcraft“, der mit 8, 5 Millionen Usern weltweit größten und erfolgreichsten virtuellen Plattform im Internet, und der ähnlich aufgebauten Fantasiewelt „ Everquest“ ist Second Life kein Online-Rollenspiel. Christian Stöcker, Psychologe, Kulturkritiker und Journalist, bringt es in seinem Buch „Second Life – eine Gebrauchsanweisung für die digitale Wunderwelt“ auf den Punkt:„Second Life: Es ist anders als herkömmliche Online-Spiele – Es ist vielmehr ein Spielplatz.“ Böswillige Kritiker unken, es sei sogar nichts als eine Baustelle. Dem Gründer von Second Life und Geschäftsführer der Betreiberfirma Linden Lab, Philip Rosedale, werden häufige Wartungsarbeiten und Systemabstürze sowie eine veraltete Grafik in der virtuellen Welt vorgehalten. Zudem wurden in den letzten Jahren immer wieder Fälle von – virtueller – Kinderpornografie in Second Life bekannt. Das schadete dem Ruf der digitalen Parallelwelt erheblich.

Leben als Zwerg? Kein Problem!

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Online-Glücksspiele, die bis vor Kurzem noch weit verbreitet waren, hat Linden Lab im Juli untersagt. Bei der Diskussion über Second Life muss man bedenken, dass die fast fünf Jahre alte Plattform nicht realisiert worden ist, um die neueste Grafik zu demonstrieren oder um einen neuen Arbeitsmarkt zu schaffen. Und als virtuelles Ich – als Avatar, den man nach Belieben etwa als Troll oder Zwerg, als Mann oder Frau kreieren kann – muss man weder gegen andere Wesen kämpfen noch Punkte sammeln. Das zweite Leben zielt vielmehr darauf ab, eine bunt zusammengewürfelte Gemeinde von Mitgliedern aus aller Welt zu gründen, die sich im Paralleluniversum ansiedeln, vielleicht ein eigenes Haus bauen, Geld verdienen und ausgeben sowie soziale Kontakte pflegen. Aber es ist schwierig, sich im neuen virtuellen Dasein zu orientieren. Das erfordert viel Selbstinitiative. So kommt es, dass sich viele User nur ein einziges Mal in Second Life umsehen. Ihr erster Ausflug ins zweite Leben bleibt auch der letzte. Immerhin tummeln sich täglich rund 40 000 Avatare gleichzeitig in der virtuellen Umgebung, jeder im Schnitt etwa drei bis vier Stunden lang. Fast alles, was die Realität zu bieten hat, ist auch in der virtuellen Welt zu finden. Es gibt dort Diskotheken, Restaurants, Museen, Konzertveranstaltungen, Freudenhäuser sowie Kopien von Sportveranstaltungen und politischen Treffen. Geld spielt eine zentrale Rolle. Man braucht es, um sich virtuellen Grund und Boden oder Kleidung zu kaufen oder ein Dinner zu sich zu nehmen, alles aus Tausenden von Pixeln zusammengesetzt.

Der Name für die Währung in Second Life: Linden Dollars. Die sind auch im echten Leben bares Geld wert. Der Kurs liegt derzeit bei einem US-Dollar für 270 Linden Dollars. Umtauschen kann man sein virtuelles Geld über die Second-Life-Börse LindeX. Der Automobilkonzern Daimler nutzte Second Life, um die Modelle seiner neuen C-Klasse exklusiv vorzustellen. Da es langweilig wäre, die Fahrzeuge online nur zu betrachten, ermöglicht das Unternehmen den Interessenten virtuelle Probefahrten auf einer eigens entworfenen Teststrecke. Das zu Adidas gehörende Unternehmen Reebok geht sogar noch einen Schritt weiter und gibt seinen Kunden die Möglichkeit, ihre Sportschuhe komplett selbst zu gestalten. Man kann sie zudem mit dem Namen seines Avatars versehen. Der nach den Vorgaben in Second Life gefertigte Schuh wird dann in der richtigen Größe und ganz real nach Hause geliefert. Durch solche Aktionen versuchen Unternehmen ein Gespür für die Wünsche ihrer Kunden zu entwickeln – und dafür, wie diese neue Trends annehmen.

postkarte aus der parallelwelt

Bei der Filiale der Deutschen Post kann man seinen Freunden im echten Leben eine Postkarte mit den Sehenswürdigkeiten des digitalen Paralleluniversums schicken. Die Karte wird dann auf herkömmliche Weise von der Post zugestellt. Die Online-Plattform lässt es zu, Gegenstände und Tiere selbst zu erschaffen, das Haus der Träume zu bauen oder einen Laden zu eröffnen. Bei Second Life stehen vor allem die Fantasie und das Ausleben der Wünsche im Vordergrund, bestätigt Frau Trepte, Juniorprofessorin für Medienpsychologie an der Hamburg Media School. Ein Großteil der Benutzer tendiert dazu, das Aussehen des Avatars dem eigenen anzugleichen. Das spricht für eine starke Identifikation mit dem virtuellen Ich.

Ein Beispiel für die neuen Möglichkeiten in Second Life ist das Beratungs-Center von IBM. Schon in der Realität präsentiert es sich in Böblingen durch große Räume mit Glaswänden sehr futuristisch – aber in Second Life, wo immer die Sonne scheint, wird dieser Glanz noch weit überstrahlt. Dort kann der IT-Konzern es sich leisten, ein gläsernes Gebäude ohne Dach zu errichten. Die Deutsche Bank bietet in ihren realen Filialen „Q 110 – Die Deutsche Bank der Zukunft“ zusätzliche Serviceangebote für die Kunden an – beispielsweise eine Lounge, in der man zwischen den Bankgeschäften einen Imbiss einnehmen kann. In der Second-Life-Filiale hat das Unternehmen dazu noch die Möglichkeit, weitere Gestaltungsvarianten mit Avataren zu testen: Wie leicht oder schwer fällt die Orientierung in dem Gebäude, und werden die neuen Servicebereiche von den Kunden genutzt?

Dreidimensionale Anwendungen, wie sie in Second Life realisierbar sind, werden Unternehmen künftig noch viele weitere neue Gestaltungsvarianten bieten. Davon ist der Informatiker Ansgar Schmidt überzeugt, der bei der IBM den Auftritt in der virtuellen Welt koordiniert. „Spätestens wenn die bisher noch in der Testphase steckende Sprachfunktion richtig arbeitet, werden sich in Second Life richtige Kundengespräche führen lassen“, nennt er ein Beispiel. Bisher können sich die Avatare nur per Chat-Funktion – also durch Eintippen von Botschaften per Tastatur – miteinander „unterhalten“. Seit März 2007 ist eine vorläufige Sprachfunktion in Second Life installiert, mit der man sich über ein Headset mit Kopfhörer und Mikrofon mit anderen unterhalten kann. Ab Ende 2007 sollen die Bewohner aber überall in Second Life miteinander reden können. Finanziert wird Second Life durch rund 60 000 Premium-Mitglieder, die pro Jahr je etwa 70 Dollar an Linden Lab bezahlen – und dafür Land kaufen dürfen. Wer sich kostenlos in Second Life aufhält, muss dagegen Miete zahlen, um einen Laden führen oder ein Grundstück bewohnen zu dürfen. Linden Lab bezahlt mit den Einnahmen die Kosten für den riesigen Park an Servern: leistungsstarken Computern, die für ausreichend Rechenleistung sorgen, um die virtuelle Welt rund um die Uhr bereitzustellen.

Für ein Unternehmen bedeutet eine virtuelle Niederlassung einen relativ geringen finanziellen Aufwand. Bezahlen muss es vor allem den Experten, der die virtuelle Zweigstelle gestaltet, sowie die Mitarbeiter, die für die Kunden In Second Life präsent sind und die Filiale dort am Laufen halten. Wer allerdings glaubt, er brauche nur eine Zweigstelle in Second Life zu errichten und diese werde automatisch zum Selbstläufer, irrt sich – und trägt zu den vielen verwaisten Gebäuden in der virtuellen Welt bei.

Hausbesichtigung im Bürostuhl

Ein wichtiger Aspekt der dreidimensionalen Welt ist, dass sich dort Inhalte viel plastischer und eindrucksvoller darbieten lassen, als das in Büchern oder auf zweidimensionalen Homepages möglich ist. Zum Beispiel in der virtuellen Zweigstelle der Deutschen Bank, wo ein junges Pärchen ein Haus kaufen möchte: „ Die beiden setzen sich nach Feierabend an den Computer und suchen als Avatare einen Berater auf, der ihnen nicht nur fachliche Auskunft geben kann, sondern der sie bei der Hand nimmt, um sie durch die virtuellen Nachbildungen eines Stadthauses oder eines Penthouses zu führen“, schildert IBM-Experte Schmidt die Szene. „ Ein weiterer Vorteil von Second Life ist die Unabhängigkeit von Öffnungszeiten“, betont er. „Betritt ein Avatar die virtuelle Filiale – egal zu welcher Tageszeit –, erkennt das ein Sensor am Eingang. Wenn der Kunde am Tresen ankommt, ist bereits ein Mitarbeiter in sein zweites Ich geschlüpft und steht bereit, als hätte er nur auf ihn gewartet.“

Bevor ein einheitlich nutzbares 3D-Internet, das genau solche Möglichkeiten bietet, verwirklicht werden kann, sind aber noch einige Hürden zu nehmen. Anders als bei Online-Rollenspielen gibt Linden Lab bei Second Life zwar eine Umgebung vor, doch jeder Bewohner der digitalen Welt kann sie beliebig verändern. Das erfordert, dass jede Aktion, etwa das Erschaffen eines Gegenstandes oder der Anblick der Umgebung, für jeden Avatar in Echtzeit neu berechnet wird. Die Daten kommen über eine permanente Internet-Verbindung bei den Nutzern an. Das führt immer wieder zu Verzögerungen beim Bildaufbau. Zudem ist die Zahl der Avatare, die sich gleichzeitig in einem bestimmten Bereich der virtuellen Welt – in Second Life „SIM“ genannt – tummeln können, auf etwa 100 begrenzt.

Neben einer hohen Rechenleistung – auf der Serverfarm von Linden Lab sorgen rund 200 Großrechner für den Betrieb der virtuellen Welt – sind vor allem einheitliche Standards die Grundlage für ein dreidimensionales Web: etwa eine Programmiersprache, die die Struktur eines 3D-Webdokuments festlegt, ähnlich wie HTML das bei heutigen zweidimensionalen Webseiten tut. „Zudem muss sich eine Open Source Community bilden“ , sagt IBM-Fachmann Ansgar Schmidt. „Das heißt: Verschiedene Plattformen wie Second Life dürfen nicht abgeschlossen sein – es muss möglich sein, mit seinem Avatar und seinem Besitz auch in andere virtuelle Welten zu wechseln.“

Erst wenn diese Basis gelegt ist, können die Türen ins Web 3.O geöffnet werden. Klickt man dann auf den Browser, wird man von seinem Avatar begrüßt, der über die eigenen Körpermaße, Kontoverbindungen, kulinarischen und musikalischen Vorlieben verfügt. Mit ihm kann man beispielsweise einen Bekleidungsladen besuchen, dort an der virtuellen Mode vorbeischlendern und Textilien anprobieren. Wer einen Urlaub plant, wird sein Reiseziel bereits lange vor dem Abflug von Zuhause aus erkunden können. Er kann seinen Avatar durch die virtuell nachgebildete Hotelanlage laufen und in der Stadt nach den schönsten Plätzen und Cafés suchen lassen. Das Internet wäre nicht mehr gesichtslos. Auf virtuellen Spaziergängen durch Innenstädte, Geschäfte und Parks würde man anderen Avataren begegnen und sich mit ihnen unterhalten. Dass man seinen Avatar zur Bank schickt, um ein Konto zu eröffnen und Geldgeschäfte abzuwickeln, wird in einem künftigen 3D-Internet eine Selbstverständlichkeit sein. ■

Sandra Murr ist ständige Mitarbeiterin von bdw. Sie war verblüfft, wie sehr sie mit ihrem Second-Life-Avatar mitfühlte.

Sandra Murr

Ohne Titel

· Unternehmen nutzen Second Life, um Marketingstrategien zu testen.

• Second Life verrät, was im Internet künftig möglich ist.

· Produkte, die man im Zweiten Leben

einkauft, bekommt man real geliefert.

Ohne Titel

Niclas Ehemann studiert Technikjournalismus in Bonn. Er ist Mitarbeiter bei der Firma Primforge, die Unternehmen dabei hilft, ihren Auftritt in Second Life zu gestalten.

Was hat Sie dazu gebracht, sich bei Second Life anzumelden?

Ein Referat mit dem Thema „Second Life – schöne neue Unterwelt“ . Dabei ging es darum, wie Menschen in der virtuellen Welt vereinsamen können.

Sind Sie durch Second Life vereinsamt?

Zuerst ein bisschen. Ich habe rund zwei Monate gebraucht, um mich in Second Life einzuleben. In denen habe ich bis zu zehn Stunden täglich in der künstlichen Welt verbracht. Aber ich habe dadurch auch Freunde gewonnen.

Was raten Sie Unternehmen, die eine Filiale in Second Life eröffnen wollen?

Sie sollten sich eine komplette Simulation, also eine Insel – „ Sim“ genannt – kaufen und nicht nur ein „Parcel“. Das ist ein Grundstück darauf. Kauft oder mietet man ein Parcel, kann der private Eigentümer es einfach weiter verkaufen. Man kann sich dagegen genauso wenig wehren wie gegen plötzlich erhobene Steuern.

Was ist Ihr Highlight in der Parallelwelt?

Die Konzertveranstaltungen, bei denen amerikanische Newcomer-Bands auftreten.

Ohne Titel

Die Grundidee von Second Life ist, ein „Metaversum“ zu schaffen, wie es in dem Roman „Snow Crash“ von Neal Stephenson beschrieben wird. In diesem etwas anderen Universum treffen Menschen aufeinander, beschäftigen sich mit Spielen und betreiben Handel. 1999 begannen das in San Francisco ansässige Unternehmen Linden Lab und sein Geldgeber Philip Rosedale das zweite Leben für den Computer zu entwickeln. Vier Jahre später ging Second Life nach einer halbjährigen Testphase an den Start: Seitdem haben sich weltweit über sechs Millionen User angemeldet und sich ein zweites, virtuelles Ich in einem anderen Leben erschaffen.

COMMUNITY Lesen

Christian Stöcker Second Life-Eine Gebrauchsanleitung für die digitale Wunderwelt Goldmann Verlag 2007, € 7,95 ISBN 978-3-442-12983-6

Internet

So findet man ins Second Life:

www.secondlife.com

Homepage des Betreibers Linden Lab:

www.lindenlab.com

Größtes deutschsprachiges Internet-Forum für Second-Life-Nutzer:

www.slinfo.de

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