Seit den 1990er-Jahren werden Vorschulkinder in Deutschland einem Test unterzogen, der ermitteln soll, ob sie später Probleme beim Lesen und Schreiben haben werden. Bei dieser sogenannten Differenzierungsprobe wird zum Beispiel geprüft, inwieweit die Kinder unterschiedliche grafische Elemente, Wörter, Rhythmen oder Melodien unterscheiden können. Dies gilt als eine Voraussetzung für das Lesen- und Schreibenlernen. Doch Wissenschaftler um den Hirn- und Bildungsforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm sagen: Die Differenzierungsprobe ist sinnlos.
Spitzer hatte in einer Studie 1441 Kinder mit der Differenzierungsprobe getestet – und zwar vor der Einschulung, zu Beginn und am Ende der ersten und am Ende der zweiten Klasse. „ Die Untersuchung zeigte zu unserer Überraschung, dass die Tests keine wissenschaftlich ausreichende Vorhersagegüte haben“, erklärt Spitzer. Nur jedes Vierte mit einem Risiko klassifizierte Kind habe später tatsächlich Probleme beim Lesen und Schreiben gehabt. Umgekehrt waren drei Viertel der Kinder, die am Ende der zweiten Klasse Schwierigkeiten hatten, zuvor nicht als „ Risikokinder“ eingestuft worden. Spitzer fordert daher wissenschaftlich fundierte Tests und macht die bisherigen unzulänglichen Differenzierungsproben bei Kindern mitverantwortlich für den mangelnden Erfolg des deutschen Bildungswesens.