Er gilt als Inbegriff des Wintergemüses: Erst wenn die Zeit des morgendlichen Raureifs beginnt, sollt man Grünkohl ernten, heißt es, denn erst dann wird er richtig lecker. Was hat es mit dieser Weisheit auf sich? Eine wissenschaftliche Erklärung für den Zusammenhang liefert nun eine Studie. Demnach wandelt das Gewächs bei niedrigen Temperaturen komplexe Kohlenhydrate im Blattgewebe in Zuckermoleküle um, die eine süßliche Geschmacksnote vermitteln. Der Pflanze dienen sie hingegen als Frostschutzmittel.
Wie sich die Inhaltsstoffe des Grünkohls bei kalten Bedingungen verändern, haben die Forscher um Nikolai Kuhnert von der Jacobs University in Bremen untersucht. Im Rahmen ihrer Studie haben sie Versuchspflanzen Temperaturen nahe am Nullpunkt ausgesetzt und ihre Merkmale anschließend mit denen von Grünkohl verglichen, der unter warmen Bedingungen gehalten wurde.
Frostschutzmittel sorgen für eine süßliche Geschmacksnote
Die Analysen der Inhaltsstoffe der Blätter zeigten: Bei niedrigen Temperaturen bauen die Pflanzen langkettige Kohlenstoffverbindungen in ihren Zellwänden ab. Dabei entstehen kleinere Kohlenhydrat-Verbindungen wie Fructose, Melibiose, Maltose und Raffinose, berichten die Forscher. Dabei handelt es sich um Substanzen, die man umgangssprachlich als Zucker bezeichnet. Sie schmecken süß und verleihen dem Gemüse dadurch eine feine Geschmacksnote. Dieser Effekt steckt also hinter dem traditionellen Beginn der Grünkohlzeit nach den ersten Kälteeinbrüchen, sagen die Wissenschaftler.
Doch warum reagiert die Pflanze auf diese Weise? Es handelt sich um einen Schutzmechanismus, so die Erklärung. Die Pflanze verhindert durch die Zuckerproduktion, dass sich in ihren Zellen zerstörerische Eiskristalle bilden. Sie macht sich dabei die sogenannten kolligativen Eigenschaften von Zucker zunutze: Ähnlich wie das Streusalz auf der Straße senken auch Zuckermoleküle in einer wässrigen Lösung den Gefrierpunkt.
Quelle: Jacobs University Bremen, Fachartikel: Food Research International, doi: 10.1016/j.foodres.2019.108727