Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

WEM KILLERSPIELE SCHADEN

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

WEM KILLERSPIELE SCHADEN
Langzeitstudien belegen: Gewaltspiele am Computer und brutale Filme machen Jugendliche aggressiver. Doch Verbote bringen nichts – die Familien sind gefordert.

Mit dem Gewehr im Anschlag schwingt sich Leo die Leiter hinauf. Sein Kopf ist eingehüllt in ein rot-weiß kariertes Arabertuch. Er ist ein Taliban im Häuserkampf gegen die US-Armee im irakischen Falludscha. Wenige Schritte vor ihm rennt sein Freund mit einer Panzerfaust über der Schulter – und duckt sich plötzlich hinter einer Mauer. Die Amerikaner schießen. Leo bemerkt den Angriff zu spät. Rote Flecken auf dem Monitor. „Jetzt bin ich gestorben“, sagt Leo und dreht sich mit dem Bürostuhl um.

Es ist nur ein Spiel: „Counter Strike“, durchweg bekannt bei Jugendlichen, umstritten unter Forschern und angefeindet als Paradebeispiel eines Killerspiels. Ein Spiel, das Bezug nimmt auf die reale politische Lage, wie der 17-jährige Leo Grabsch aus Berlin weiß. „Falludscha kennt man aus den Nachrichten. Das liegt im Irak. Dort sind oft Anschläge.“ Leo informiert sich in den Nachrichten täglich über die Geschehnisse in der Welt. Und er schaut gern historische Dokumentationen im Fernsehen an. Ab dem nächsten Schuljahr will er Geschichte als Leistungskurs wählen. Zurzeit liest er ein Buch über einen ehemaligen Mossad-Agenten. „ Was wirklich passiert, das finde ich spannend“, sagt er. Der Gymnasiast kennt die Kritik an Computerspielen, insbesondere an Kriegssimulationen. Er hat vom Kriminologen Christian Pfeiffer gelesen, dem bekannten Wortführer gegen die neuen Medien, der behauptet, „Killerspiele machen aggressiv, dumm und doof“. Solche Urteile treffen Leo: „Das stimmt einfach nicht. Die haben keine Ahnung, weil sie die Spiele gar nicht kennen“, wehrt sich der Jugendliche. Er selbst sei doch das beste Beispiel: „Ich bin hilfsbereit, nett und respektvoll gegenüber anderen. Ich habe auch noch nie jemanden verhauen.“

IM JEEP DURCH ITALIEN

Montags und freitags besucht der Junge mit seinem Freund Dennis das Fitnessstudio, mittwochs arbeitet er bei der Jugendfeuerwehr, macht Fahrzeuge sauber oder hält Wache. Im Sommer trifft er sich häufig zum Fußballspielen. Außerdem engagiert sich Leo in der Schule in einem Dritte-Welt-Laden. Da bleibt wenig Zeit für Bildschirm-Gefechte. „Ich spiele mal am Wochenende, wenn ich nichts vorhabe. Ab und zu auch unter der Woche“, erzählt er. In die Rolle des virtuellen Kämpfers in Counter Strike schlüpfe er nur ungefähr einmal im Monat, beteuert Leo. Das Spiel gehöre nicht zu seinen Favoriten. Um abzuschalten fährt er lieber Autorennen und kurvt mit einem Jeep durch eine italienische Landschaft mit malerischen Olivenhainen.

Ein Leben ohne Unterhaltungselektronik kann sich Leo schwer vorstellen. „Wir sind schon so tief drin. Jeder hat einen PC genauso wie einen Kühlschrank.“ Angesprochen auf die Sogwirkung der PC-Spiele und die zunehmende Zahl Spielsüchtiger betont er, dass es ihm nicht schwerfalle aufzuhören. „Nach einer Weile habe ich einfach das Gefühl: Es reicht.“ Seine Mutter, Marina Niedzella-Grabsch, bestätigt: „Wenn er den ganzen Tag nur vor dem Computer säße, würde ich eingreifen.“ Doch was geht einer Mutter durch den Kopf, wenn ihr Sohn am PC Krieg spielt? „Ich glaube einfach nicht, was die Medien erzählen. Wenn ein Schüler jemanden erschießt, liegt das nicht an einem schlimmen Spiel. Das ist vielleicht das i-Tüpfelchen, wenn ohnehin Probleme da sind“, wendet sie ein.

Anzeige

17 Jahre lange Studie

Ihre Einschätzung teilen viele. Sie nährt sich aus persönlicher Erfahrung und Intuition. Aber was hat die Wissenschaft dazu zu sagen? Macht Gewalt in den Medien aggressiv? Über einen Einzelfall wie Familie Grabsch können Forscher nicht urteilen, wohl aber aus Langzeitstudien Wirkungen der Medien auf den Menschen ableiten.

Sozialwissenschaftler mussten das Feld jahrelang beackern, denn die Effekte der medialen Gewalt lassen sich nicht leicht fassen. Gängige Methoden wie Kurzzeittests laufen ins Leere: Wird unmittelbar nach einem Spiel oder einem Horrorfilm die Aggressionsbereitschaft gemessen, sagt das nichts über eine langfristige Veränderung der Persönlichkeit aus. Und bloße Befragungen über den Medienkonsum und das Gewaltverhalten können zwar Zusammenhänge aufdecken, verraten jedoch nichts über Ursache und Wirkung. Um aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, blieb den Sozialwissenschaftlern nur ihr aufwendigstes Instrument: die Längsschnittstudie. Dabei werden die Teilnehmer im Laufe der Zeit mindestens zweimal befragt. Nur so lassen sich Fragen beantworten wie: Führen Horrorfilme zu mehr Schlägereien – oder münden Schlägereien in mehr Horrorfilmkonsum? Beim Fernsehen haben Forscher schon Antworten. Koryphäen wie die amerikanischen Sozialwissenschaftler Rowell Huesmann und Thomas Johnson haben Studien von rekordverdächtigen 17 Jahren Dauer abgeschlossen. Die Forscher wiesen nach: In diesem Zeitraum verändert sich die Persönlichkeit, und das Fernsehen hat Einfluss darauf. Gewalt im Film macht merklich gewaltbereiter.

SCHÜSSE PER MAUSKLICK

Bei Computerspielen, so nahmen die Forscher zunächst an, könnte dieser Effekt noch viel deutlicher sein. Immerhin greift man selbst ein, feuert Schüsse mit einem Mausklick ab oder rammt ein Messer in die Brust des virtuellen Gegners. Doch die Studien konnten nicht belegen, dass aktiv gestaltete Spiele intensiver wirken als passiv konsumierte Filme. „Der Unterschied ist nicht nennenswert. Mal ist die Wirkung des einen Mediums stärker, mal die des anderen. Aber das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, sagt Ingrid Möller, Sozialpsychologin an der Universität Potsdam. Denn vergleichende Studien sind schwer durchzuführen. Hierfür muss die Wirkung der beiden Medien künstlich getrennt werden, da viele Jugendliche sowohl am Computer spielen als auch fernsehen.

Im Gegensatz zur Wirkungsforschung von Filmen ist die von Computerspielen noch jung. Bis jetzt wurden etwas mehr als eine Handvoll Längsschnittstudien ausgewertet. Immerhin befreien die Ergebnisse die neuen Medien von einem Generalverdacht: „ Computerspiele machen niemanden zum Amokläufer, genauso wenig wie Horrorfilme“, betont Douglas Gentile, einer der führenden Medienwirkungsforscher vom Media Research Lab an der Iowa State University in Ames. Harmlos ist die Gewalt im Spiel jedoch keineswegs. Brutalität am PC macht genauso wie in Film und Fernsehen zwar nicht drastisch, aber doch merklich und messbar aggressiver, betont Gentile. Der Beitrag der Medien zu gewalttätigem Verhalten wird zwischen einem und elf Prozent angegeben, wobei der Einfluss umso deutlicher ist, je länger die Studien dauerten. Ein Hinweis darauf, dass der Einfluss der Bilder sich über die Zeit summiert, meint Gentile.

Die ersten Befunde dieser Art kamen aus den USA. Kritiker taten sie als US-Phänomen ab. Seit Herbst 2008 liegen nun auch die Ergebnisse von zwei deutschen Längsschnittanalysen vor. Ingrid Möller hatte 143 Jugendliche der 7. und 8. Klassen verschiedener Schultypen nach ihrem Computerspielkonsum und Verhalten gefragt: wie häufig sie sich pro Woche prügeln, wie oft sie in Konflikte verwickelt sind, wie oft sie jemanden anschreien oder beleidigen. Zweieinhalb Jahre nach der ersten Umfrage verteilte Möller ihren Fragebogen erneut.

KOMMUNIKATION BEIM TÖTEN

Die verschiedenen Computerspiele ordnete Möller anhand von Expertenbefragungen nach ihrem Gewaltinhalt. Der bei Mädchen beliebten friedlichen Simulation „Sims“, in der es vor allem darum geht, ein intaktes Familienleben zu simulieren, verliehen die Fachleute den Wert Null. Es ist das meistverkaufte Spiel. „ Auch Spiele wie Autorennen wurden als gewaltfrei eingeschätzt“, hebt Möller hervor. Weit oben auf der fünfstufigen Brutalitätsskala landete „Counter Strike“ (4,33). Andere Spiele wie „Resident Evil“ und „Silent Hill“ wurden noch gewalthaltiger eingestuft. Das beliebte Online-Rollenspiel „World of Warcraft“ platzierten die Experten im Mittelfeld, weil auch dort Mitspieler von anderen virtuell umgebracht werden, aber trotzdem Zusammenhalt, Kommunikation und Strategie gefragt sind. Im Februar stellte Möller im Fachjournal Aggressive Behavior die Ergebnisse ihrer Studie vor. Aus den Antworten der Jugendlichen geht hervor, dass sie sich nach Ablauf der zweieinhalb Jahre aggressiver einschätzten als zuvor, wenn sie ihre Freizeit mit gewalthaltigen Spielen füllten. „Mediengewalt ist zwar nicht der einzige Risikofaktor für aggressives Verhalten, aber sie ist einer“, schließt Möller.

Derzeit führt die Potsdamer Psychologin mit ihrer Kollegin Barbara Krahé eine Vier-Jahres-Analyse an 2000 Heranwachsenden der 7. bis 8. Klasse von Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien durch, bei der sie die Lehrer ebenfalls nach dem Verhalten der Schüler fragt. Dabei geht es auch darum, wie häufig was im Fernsehen angeschaut wird. Es ist die größte und längste Studie zur Medienwirkung von Computerspielen im Vergleich zum TV-Konsum. Ein Zwischenergebnis hat Möller schon: Die Selbsteinschätzung der Schüler deckt sich weitgehend mit dem Urteil der Lehrer.

Eine weitere Studie hat der promovierte Schulpsychologe Werner Hopf von der Schulberatung Oberbayern Ost angeschoben. Ende 2008 stellte er seine Schlüsse mit Forschern der Universität Tübingen im Journal of Media Psychology vor. Sein Augenmerk richtete sich auf 12-bis 14-jährige Schüler an sechs bayerischen Hauptschulen. Er wollte unter anderem wissen, ob sie Computerspiele spielen, die erst ab 18 Jahren freigegeben sind. Daneben befragte er die rund 300 Jugendlichen über Videospiele und Filme. Er bezog auch andere Risikofaktoren für gewalttätiges Verhalten ein: Familienverhältnisse und das Klima zu Hause, Armut, Einfluss der Peer Group und das Schulklima. Die Teenies wurden zu Straftaten, Automatenaufbrüchen, Diebstählen sowie Schlägereien auf dem Schulhof befragt. Und es ging um ihre Einstellung zur Gewalt: Dazu mussten sie beispielsweise Äußerungen wie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ bewerten.

UM 25 prOZENT AGGRESSIVER

Hopfs Schlussfolgerungen lassen kein gutes Haar an den Medien. Ihr schlechter Einfluss sei sogar größer als der von Gewalt im Elternhaus. Wer sich mit 12 Jahren mit Gewaltspielen vergnügt, begeht mit 14 tendenziell mehr Straftaten, so Hopf. Ein weiteres Ergebnis: Prügeleien in der Schule werden am stärksten durch Horrorvideos gefördert, gefolgt von Gewaltdarstellungen in Computerspielen und Fernsehen. „Man kann zwar nicht sagen, dass jeder Jugendliche, der Gewaltmedien nutzt, aggressiv wird. Aber je häufiger er sie nutzt, desto problematischer wird es“, sagt Hopf. Fernsehen, Video und PC zusammengenommen steigern nach seiner Untersuchung die Aggressivität um rund 25 Prozent. „Sie füllen ein Fass, das dann durch soziale Faktoren oder Schulprobleme überläuft.“

In kaum einer anderen Studie kommen die Medien so schlecht weg. Möller hält die Untersuchung für seriös. Doch die Medienwissenschaftlerin Astrid Zipfel von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ließ Hopfs Studie bei einer Veranstaltung zu Risiken und Nutzen von Computerspielen im Berliner Abgeordnetenhaus schlichtweg unter den Tisch fallen. „Es gibt viele Studien“, wich Zipfel auf Nachfrage aus. Und spekulierte: „Vielleicht sind Hopfs Zahlen so hoch, weil er nur Hauptschüler befragt hat.“ Zipfel hat noch einen anderen Einwand gegen die Längsschnittstudie: Sie glaubt nicht an eine eindimensionale Wirkung, sondern vielmehr an einen Spiralprozess. „Aggressivere Kinder wählen bevorzugt gewalthaltige Spiele. Das erhöht ihre Aggression – und dadurch verstärkt sich wiederum ihr Hang zu solchen Produkten“, meint sie. Doch Möller betont, dass die Längsschnittstudien diese Theorie nicht stützen.

Was sind die Konsequenzen? Für Hopf stehen die blutigen Filme und Spiele längst auf der Abschussliste. Er fordert ein radikales Verbot von Mediengewalt. Entsprechend erbost ist er darüber, dass Computerspiele 2008 vom Deutschen Kulturrat als Kulturgut anerkannt wurden. Doch bekanntermaßen haben nicht alle PC-Spiele mit Gewalt zu tun. Mehr als zwei Drittel der Heranwachsenden spielen zwischen einer und zwei Stunden täglich am Computer. Ein Großteil bevorzugt friedliche Inhalte. Viele reagieren in Internet-Foren deshalb genervt auf das „Herumgehacke auf den Spielen“. Verbote provozieren Widerspruch. Leo sagt: „Ich finde Verbote nicht richtig, weil sie nur dazu verlocken, sie zu umgehen.“ Nur wenn in einem Spiel die NS-Zeit verherrlicht wird oder realistische Leichen vorkommen, ist für ihn die Grenze des Vertretbaren überschritten.

KOMPETENZ STATT VERBOT

Angesichts der Alltäglichkeit der Ballerspiele plädieren auch etliche Forscher gegen ein Verbot und für mehr Medienkompetenz. Douglas Gentile füllt die Worthülse mit Leben: Die Eltern sollten wissen, was ihre Kinder anschauen, sollten mit ihnen über die Inhalte sprechen und ihnen gewaltfreie Medien schmackhaft machen. „Erwachsene können den Medienkonsum ihrer Kinder prägen und gestalten“, betont er. Gleichwohl weiß er, dass die Auseinandersetzung mit dem neuen Medium oft eine hohe Hürde darstellt, weil viele Eltern nicht mit Computern vertraut sind und die Spiele nur vom Hörensagen kennen.

Auch Leos Mutter Marina Niedzella-Grabsch tat sich anfangs schwer: „Als wir den ersten PC angeschafft haben, konnte ich nichts damit anfangen, keine Dateien anlegen, nicht einmal Texte ausdrucken. Damals habe ich den Kindern gesagt, sie sollen nicht am Computer spielen.“ Als Erzieherin für verhaltensauffällige Kinder sind ihr „gute“ Spielsachen sehr wichtig. Durch Zufall entdeckte die Mutter von drei Kindern ein Weiterbildungsangebot zur Medienkompetenz der Berliner Organi- sation BITS 21 (siehe Interview „Verbote bringen nichts“). In anderthalb Jahren lernte sie die Möglichkeiten des Computers kennen und kämpfte im Spiel auch schon mal gegen Drachen. „Das Gute ist, dass ich jetzt weiß, was Leo am Computer macht. Wir gehen hin und wieder zusammen in die Bibliothek und leihen Spiele aus.“ Manchmal tritt die Mutter sogar gegen ihren Sohn an.

Sonst zockt Leo gerne mit seinen Kumpels, die er in der virtuellen Welt trifft. Sie sprechen über Kopfhörer und Mikrofon oder tippen Kurznachrichten, die direkt auf der Spieloberfläche erscheinen. „Komm mit“, steht da, wenn eine Spielfigur einer anderen folgen soll. „Hast du schon den Kinofilm über die RAF gesehen“, fragt ein Freund zwischendurch. Kurze Antworten, kurze Anweisungen. Smalltalk beim Spiel. Weiter geht’s.

GRÜNES BLUT

Unklar bleibt, welche Art der Gewaltdarstellung bedenklich ist. Douglas Gentile vermutet, dass Spielzüge, bei denen Figuren absichtlich und grundlos Schaden zugefügt wird, das eigentliche Problem sind. Dann reagieren Spieler seinen Kurzzeitstudien zufolge mit mehr Wut im Bauch, egal ob sie virtuelle Komikfiguren abschießen oder als täuschend echter Soldat Blut am Bildschirm vergießen. Die Art der Darstellung, ob real oder irreal, blutig oder unblutig, spielt demnach nur eine untergeordnete Rolle. Grünes Blut oder ein stummes Umfallen des Helden ändern an der Wirkung nicht viel. „Offenbar ist nicht entscheidend, wie gewalttätig ein Spiel aussieht, sondern welche Handlungsmuster ihm zugrunde liegen“, wagt Gentile eine Einschätzung. Sollte sich sein Verdacht erhärten, würde das die bisherige Einstufung der Altersfreigabe grundlegend in Frage stellen. Realistische Gewaltakte werden bislang als besonders kritisch angesehen und als nicht jugendfrei gekennzeichnet. ■

SUSANNE DONNER, Wissenschaftsjournalistin in Berlin, spielt selten am Computer, hat aber einen Lebenspartner, der das regelmäßig tut.

von Susanne Donner

Wie Mediengewalt wirkt

Gewalthaltige Computerspiele, die besonders unter Jungen verbreitet sind, haben nicht bei allen die gleiche Wirkung. Der „ Spiegel“ brachte es bei der Berichterstattung über den Amoklauf in Winnenden auf den Punkt: „Millionen spielen, ohne zu töten, aber andersherum stimmt es eben auch: Wer tötet, hat in der Regel vorher gespielt.“ Das galt auch für den 17-jährigen Tim Kretschmer, der im März in Winnenden 16 Menschen erschoss. Die Ermittler fanden das Gewaltspiel „Counter Strike“ auf seinem Rechner.

Gewalthaltige Medien verursachen zwar keine Amokläufe, aber sie beeinflussen die Persönlichkeit negativ. Darüber sind sich die meisten Psychologen einig. Sie erklären den Einfluss der Gewaltmedien – seien es Musikvideos, Computerspiele oder Filme – mit dem „General Aggression Model“. Es beschreibt Veränderungen der Gefühle, der Gedanken und der körperlichen Erregung. Erschreckend ist: Je häufiger man aggressionsgeladene Szenen sieht, desto schwächer fällt die körperliche und emotionale Reaktion aus. Man stumpft ab. Auch das Mitgefühl lässt nach – nicht nur im Spiel, sondern auch in der Realität.

Außerdem vermitteln die Medien Normen und Handlungsmuster, die im Laufe der Zeit erlernt werden. Dazu gehört, dass Gewalt als legitimes Mittel zur Lösung von Konflikten dargestellt wird. Auf lange Sicht verändern sich dadurch Denkstrukturen und Verhaltensweisen der Jugendlichen, die dazu führen, dass sie in unklarenSituationen feindselig reagieren.

KOMPAKT

· Neue Studien befreien gewalthaltige Computerspiele von einem schlimmen Verdacht: Sie machen niemanden zum Amokläufer. Aber: Sie fördern aggressives Verhalten.

· Experten fordern die Eltern auf, sich für die Computerspiele ihrer Kinder zu interessieren und ihnen gewaltfreie Handlungsmuster schmackhaft zu machen.

VERBOTE BRINGEN NICHTS

Was ist Medienkompetenz?

Das ist die Fähigkeit, Medien zu verstehen, sie zu hinterfragen und distanziert und produktiv zu nutzen.

Wie können Erwachsene diese Kompetenz fördern?

Die Mediennutzung darf nicht hinter verschlossenen Kinderzimmertüren stattfinden. Eltern sollten Interesse zeigen und nachfragen. Ein gemeinsamer Krimiabend oder Kinobesuch, über den man spricht, gehört auch dazu.

Wie lange am Tag sollten Kinder maximal am Computer spielen?

Zeit ist kein absolutes Kriterium, weil es den inhaltlichen Aspekt außen vor lässt. In einem Strategiespiel sind nach einer Stunde oft erst die Helden vorgestellt und die Spielzüge erklärt. Wenn man das Kind dann auffordert aufzuhören, ist Streit programmiert. Man muss sich erst mit dem Spiel auseinandersetzen und dann entscheiden.

Was tun, wenn das Kind vom Bildschirm nicht weg zu bekommen ist?

Den Stecker zu ziehen, löst das Problem nicht. Man sollte das Kind fragen, was es genau am PC macht und warum es nicht aufhören kann. Generell ist es gut, vorher eine Spielzeit auszumachen und daran zu erinnern, wenn sie abgelaufen ist.

Was halten Sie von einem Verbot von Filmen und PC-Spielen?

Man kann das mit einem Verbot von Süßigkeiten vergleichen: Die Kinder gehen zu Freunden und essen sie dort. Damit vergibt man die Chance, dass sie einen normalen Umgang damit lernen.

Wonach sollten sich Eltern richten, wenn sie ihren Kindern Spiele oder Filme kaufen?

Man sollte die Altersfreigabe von Filmen und Computerspielen beachten. Im Internet gibt es weitere Tipps unter www.feibel.de und bei der Initiative „Schau hin“ unter www.schau-hin.info

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Thomas Feibel KILLERSPIELE IM KINDERZIMMER Was wir über Computer und Gewalt wissen müssen Moderne Verlagsgesellschaft München 2008, € 9,90

Florian Rötzer TELEPOLIS: VIRTUELLE WELTEN – REALE GEWALT Heise, Hannover 2002, € 16,–

Volker Ladenthin, Jessica von Wülfing GEWALT DER MEDIEN Studien zu Gewalt an Schulen. Empirische Hinweise und bildungs- theoretische Konzepte Ergon, Würzburg 2007, € 18,–

INTERNET

Links und Informationen über die vielfältigen Forschungen zur Wirkung von Gewalt in verschiedenen Medien, zusammengestellt von Diplom-Psychologe Haug Leuschner: www.mediengewalt.de

Im Internet können Sie zum Thema Gewalt in Computerspielen auf der Internetseite www.swr.de/swr2/wissen den folgenden Hörfunkbeitrag der Redaktion SWR 2 Wissen als mp3-Datei herunterladen: Jochen Paulus KILLERSPIELE SCHADEN DOCH Wissenschaftler klären eine alte Streitfrage

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Te|le|pro|ces|sing  〈[–prssın] n. 15〉 Datenfernübertragung [engl.]

Dog|ge  〈f. 19; Zool.〉 Angehörige einer Gruppe von Hunderassen, große, schlanke (Deutsche ~) bis kurzbeinige, schwere Arten (Bull~) [<engl. dog … mehr

So|lo  〈n.; –s, So|li〉 1 〈Mus.〉 Gesang od. Instrumentalspiel eines einzelnen Sängers od. Spielers; Ggs Tutti … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige