Stellen Sie sich vor, Sie suchen ihren roten Lieblingsstift. Irgendwo auf einem von zwei Schreibtischen müssen Sie ihn liegen gelassen haben. Einer der Tische ist aufgeräumt und leer, der andere voll von Papieren, Büchern, Stiften und Kaffeetassen. „Der gesunde Menschenverstand sagt mir, dass ein kurzer Blick auf den leeren Schreibtisch ausreichen müsste, um zu sehen, ob der rote Stift dort liegt oder nicht“, schildert Anna Nowakowska von der University of Aberdeen das Prinzip. „Den Rest der Zeit nutze ich dann lieber dafür, den vollen Schreibtisch abzusuchen.“ Eine effiziente Suchstrategie verschwendet demnach nicht mehr Zeit und Blicke als nötig und teilt die Suchzeit entsprechend ein: Je unübersichtlicher ein Suchgebiet ist, desto mehr Zeit nehme ich mir für die Suche. So weit, so logisch. Forscher bezeichnen diese Suchstrategie als das Optimale Suchmodell und viele vermuten, dass schon unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren lernten, auf diese Weise ihre Suchstrategien zu optimieren. Aber stimmt das auch? Ob wir Menschen tatsächlich dieser Suchstrategie folgen, haben Nowakowska und ihre Kollegen nun überprüft.
Für ihre Studie stellten sie Probanden vor eine klassische Suchaufgabe: Auf einem Bildschirm sollten sie einen Strich finden, der um 45 Grad nach rechts geneigt war. Die Herausforderung dabei: Eine Seite des Bildschirms war mit vielen, ganz unterschiedlich geneigten Strichen bedeckt und damit sehr unübersichtlich. Auf der anderen Bildschirmhälfte waren alle Striche in gleichem Maße nach links geneigt – es ergab sich ein sehr homogenes Muster, aus dem der gesuchte Strich sofort herausstach. Die Versuchspersonen sollten so schnell wie möglich den Zielstrich finden, wussten aber weder, auf welcher Seite er sich befand, noch ob es überhaupt einen passenden Strich auf dem Bildschirm gab. Wie sie in dieser Situation vorgingen, beobachteten die Wissenschaftler mit Hilfe eines Eyetrackers, der ihre Augenbewegungen aufzeichnete.
Unnötige Blicke
Das Ergebnis der mehr als 300 Versuchsdurchgänge war überraschend: Optimal wäre es, die homogene Seite nach einem kurzen Blick zu ignorieren und sich ganz auf die Bildschirmhälfte mit dem unübersichtlichen Muster zu konzentrieren. Doch so gingen die Probanden nicht vor. „Stattdessen richteten sie eine große Anzahl ihrer Blicke auch auf das einfache Feld und verloren damit Zeit“, berichten die Forscher. Obwohl jeder weitere Blick auf die einfache Seite keinerlei neue Informationen bringt – denn der Zielstrich würde schon beim ersten kurzen Anschauen auffallen – blickten die Probanden trotz des Zeitdrucks immer wieder von der komplexen Seite weg zur einfachen Bildhälfte. Nur ein einziger von den insgesamt 28 Probanden kam dem optimalen Suchmodell zumindest nahe, wie die Forscher berichten.
„Menschen sind demnach beim Suchen überraschend ineffektiv und verschwenden Zeit mit überflüssigen Blicken“, sagt Nowakowska. „Unsere Versuchspersonen schafften es durchweg nicht, in dieser Situation eine optimale Suchstrategie einzusetzen.“ Aber warum? Was bringt uns dazu, wider besseren Wissens immer wieder dort nachzuschauen, wo unser gesuchtes Objekt gar nicht sein kann? Nach Ansicht der Forscher könnte dies daran liegen, dass wir zumindest zum Teil unbewusst einer zweiten möglichen Strategie folgen: der Zufallssuche, bei der der Blick eher zufälligen Pfaden durch das Suchgebiet folgt. „Dieses stochastische Modell kann das Suchverhalten einiger, wenn auch nicht aller unserer Teilenehmer erklären“, sagen die Wissenschaftler. Ihrer Ansicht nach spricht dies dafür, dass Menschen bei der visuellen Suche offenbar eine individuelle Mischung beider Strategien nutzen, die mal mehr, mal weniger optimal oder zufallsgesteuert ist. Welche Vorteile dies haben könnte und ob diese Suchstrategien bei einem Menschen das ganze Leben hindurch gleichbleiben, muss nun in weiteren Studien geklärt werden.