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Wie Sprache das Gedächtnis prägt

Gesellschaft|Psychologie

Wie Sprache das Gedächtnis prägt
Sprachen
Wie beeinflusst Sprache das Denken? (Bild: iosar/ istock)

Das Arbeitsgedächtnis fungiert in unserem Gehirn als eine Art Zwischenspeicher: Hier können Informationen vorübergehend gespeichert und kurzfristig wieder abgerufen werden – zum Beispiel um einen Satz inhaltlich zu verstehen. Forscher haben nun herausgefunden: Wie dieser Zwischenspeicher arbeitet, hängt auch von unserer Muttersprache ab. Entscheidend ist dabei die für diese Sprache typische Satzstruktur. Sie bestimmt, ob wir uns besser an den Anfang einer Liste von Informationen erinnern – oder an deren Ende.

Sprache ist nicht nur ein wichtiges Mittel der Kommunikation. Als Teil des kulturellen Gedächtnisses spiegelt sie das Wissen ganzer Bevölkerungsgruppen wider – und prägt zugleich die Wahrnehmung und das Denken jener, die sie sprechen. Studien zeigen, dass die Muttersprache zum Beispiel beeinflusst, wie wir Ereignisse kategorisieren oder uns an Bewegungen erinnern. Sogar welche Sinne beim Zuhören beteiligt sind, kann sich je nach Muttersprache unterscheiden. Forscher um Federica Amici vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben nun den Einfluss der Sprache auf einen grundlegenden Speicher unseres Gehirns untersucht: das Arbeitsgedächtnis. Sie wollten wissen: Beeinflusst die Sprache, wie gut wir uns bestimmte Informationen in Erinnerung rufen können?

Die Idee dahinter: Viele Sprachen unterscheiden sich in ihrer sogenannten Verzweigungsrichtung. In typischen Rechtsverzeigungssprachen wie Italienisch steht der sogenannte Satzkopf am Anfang, dahinter folgen Komponenten, die zusätzliche Informationen über diesen Kopf liefern. Zum Beispiel: „Der Mann, der an der Bushaltestelle saß.“ Im Gegensatz dazu folgen Linksverzweigungssprachen wie Japanisch einer umgekehrten Reihenfolge. Dort werden die ergänzenden Informationen meist dem Satzkopf vorangestellt: „Wer an der Bushaltestelle saß, der Mann.“ Während Italiener gesprochene oder geschriebene Informationen in der Reihenfolge verarbeiten können, wie sie im Satz vorkommen, können Japaner dies nicht. Denn eine klare Bedeutung des Satzanfangs erschließt sich oft erst nach der Analyse des Satzkopfes am Ende.

Die Reihenfolge ist entscheidend

Daher müssen Sprecher solcher Linksverzweigungssprachen am Anfang eines Satzes stehende Informationen solange im Arbeitsgedächtnis behalten, bis sie auch den Kopf kennen – erst dann ist ein Verständnis des Satzes möglich. Daraus ergab sich für die Wissenschaftler die Vermutung, dass sich die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses abhängig von der Verzweigungsrichtung der Muttersprache unterscheidet. Ob dies stimmt, testeten sie an Menschen aus acht Sprachkulturen. „Das Beste an diesem Projekt war es, Wüsten und Meere zu überqueren, um erstaunliche Menschen zu treffen, die die wunderbarsten Sprachen sprechen – von Khoekhoe bis Khmer“, sagt Amici. Dabei stellten sie jeweils rund 30 Muttersprachler aus jeder Sprachgruppe mit sechs Gedächtnisaufgaben auf die Probe. Wie gut konnten sich die Probanden zum Beispiel in einer bestimmten Reihenfolge präsentierte Wörter oder Zahlen kurzfristig merken und diese direkt im Anschluss wiedergeben?

Die Ergebnisse offenbarten deutliche Unterschiede: „Die wichtigste Erkenntnis der Studie ist, dass sich Sprecher linksverzweigter Sprachen bei verbalen und nicht verbalen Arbeitsgedächtnisaufgaben besser an anfängliche Reize erinnern können“, berichtet Co-Autor Alejandro Sánchez-Amaro von der University of California in San Diego. Wahrscheinlich habe dies tatsächlich damit zu tun, dass das Verstehen von Sätzen in diesen Sprachen sehr stark davon abhängt, sich Informationen vom Satzanfang bis zum Ende zu merken. Die einzige Ausnahme stellte dabei die in Südäthiopien gesprochene Sprache Sidama dar. Dies könnte den Forschern zufolge zum einen daran liegen, dass Sidama nicht so konsistent dem linksverzweigten Muster folgt wie die anderen Sprachen aus der Stichprobe. Zum anderen hatten die Teilnehmer aus dieser Sprachgruppe zuvor kaum Kontakt zu Technik wie Laptops und Aufnahmegeräten – ein Faktor, der den Ablauf der Tests teils erheblich verlängerte.

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Unser Denken verstehen

Im Gegensatz dazu prägten sich Sprecher rechtsverzweigter Sprachen am Ende präsentierte Reize besser ein, wie die Wissenschaftler berichten. Damit zeichnet sich ihrer Ansicht nach ab, dass die Verbindung zwischen Sprache und Denken nicht nur auf Dinge wie Deutungsmöglichkeiten beschränkt ist – sondern sogar die Syntax und die Verarbeitung aufeinanderfolgender Informationen betrifft. Inwiefern die Verzweigungsrichtung und die Wortreihenfolge das Gedächtnis beeinflussen, will das Team in Zukunft auch bei anderen Sprachen untersuchen.

„Wie sieht es mit dem Arbeitsgedächtnis von Sprechern von Sprachen mit gemischten Verzweigungen oder freier Wortfolge aus? Würden wir Menschen finden, die sich gleich gut an die ersten und letzten Einträge der Liste erinnern können? Oder vielleicht sogar an Informationen aus der Mitte?“, erläutert Sánchez-Amaros Kollege Federico Rossano. „Mit mehr als 7.000 Sprachen weltweit steht uns ein einzigartig reicher Pool für die Forschung zur Verfügung. Die Erhaltung und Untersuchung dieser Vielfalt ist nicht nur aus ethischer Sicht wichtig, sondern auch für die Wissenschaft von Bedeutung – um letztendlich die uralte Frage nach der Beziehung zwischen Sprache und Denken beantworten zu können“, schreiben die Wissenschaftler in ihrem Fazit zur Studie.

Quelle: Federica Amici (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig) et al., Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-37654-9

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