Ob Bakterien oder Viren möglicherweise Alzheimer auslösen können, ist eine immer wieder diskutierte Theorie. Nun liefert ein Forscherteam weitere Argumente dafür: Die Wissenschaftler wiesen im Gehirn von verstorbenen Alzheimer-Patienten vermehrt Herpesviren der Typen 6A und 7 nach. Außerdem fanden sie Hinweise darauf, dass die Gene der Erreger mit menschlichen Risikogenen für Alzheimer interagieren – ein Indiz für eine potenzielle Beteiligung der Viren an der Krankheitsentstehung.
Allein in Deutschland sind rund 1,3 Millionen Menschen von Alzheimer betroffen. Diese Form der Demenz ist die weltweit häufigste neurodegenerative Erkrankung und wird seit Jahrzehnten intensiv erforscht. Trotzdem gibt es noch immer kein wirksames Heilmittel. Das liegt auch daran, dass so wenig über die Auslöser und Ursachen des Leidens bekannt ist. Klar ist zwar: Alzheimer zeichnet sich durch das Absterben von Gehirnzellen aus und Ablagerungen fehlgefalteter Proteine – sogenannte Beta-Amyloid-Plaques – spielen eine wichtige Rolle dabei. Doch wie kommt es überhaupt zu diesem zerstörerischen Prozess? Ein entscheidender Faktor scheint die genetische Veranlagung zu sein. Daneben gehen Forscher jedoch davon aus, dass auch unterschiedliche Umweltfaktoren bei der Entstehung der Erkrankung mitmischen. Diskutiert wird in diesem Kontext beispielsweise der Einfluss von Rauchen, Stress, Ernährung und sogar Feinstaub.
Zudem geraten immer wieder Krankheitserreger als mögliche Auslöser in Verdacht. Ob Bakterien oder Viren jedoch tatsächlich als Übeltäter infrage kommen, ist unter Wissenschaftlern hoch umstritten. Ben Readhead von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und seine Kollegen liefern nun ein Argument für einen solchen Zusammenhang: Sie haben Hinweise darauf gefunden, dass bestimmte Herpesviren eine Rolle bei der Alzheimer-Entstehung spielen könnten. Für ihre Studie untersuchten die Forscher Hirngewebeproben von 622 verstorbenen Alzheimer-Patienten und 322 Menschen ohne diese Erkrankung. Konkret schauten sie sich genetische Daten dieser Proben an und werteten DNA- sowie RNA-Sequenzen aus. Dabei fiel ihnen auf: Im Gehirn der Alzheimerkranken fanden sich deutlich mehr DNA- und RNA-Spuren von menschlichen Herpesviren als bei den Kontrollpersonen.
Erreger im Gehirn
Demnach waren vor allem die beiden Viren vom Typ 6A und Typ 7 gehäuft in den vom geistigen Verfall gezeichneten Gehirnen vertreten – von ihnen wies das Forscherteam in den Proben aus der Alzheimergruppe bis zu zweimal so hohe Konzentrationen nach. Je mehr Spuren dieser Erreger im Gehirn vorhanden waren, desto stärkere klinische Symptome hatten die Patienten dabei zu Lebzeiten gehabt. Ein Zufallsbefund? Um ihre Ergebnisse zu bestätigen, werteten Readhead und seine Kollegen anschließend Informationen von 800 weiteren Proben aus zwei unterschiedlichen Datenbanken aus. Das Ergebnis: Auch hier offenbarten sich die zuvor beobachteten Zusammenhänge. Weitere Untersuchungen zeigten, dass bestimmte DNA-Varianten beim menschlichen Wirt mit einem gehäuften Auftreten der Herpesviren assoziiert zu sein scheinen: Genvarianten, die oftmals auch mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko in Verbindung gebracht werden.
Die Forscher wollten daher wissen, ob und wie die Erreger im Gehirn möglicherweise mit diesen Erbgutabschnitten interagieren. Bekannt ist, dass Viren die Aktivität menschlicher Gene beeinflussen können und umgekehrt. Im Falle der Herpesviren scheint es dabei etliche Interaktionen zwischen Viren-Genen und Risikogenen für Alzheimer zu geben, wie das Team berichtet. Dies könnte bedeuten, dass die Erreger im Gehirn Einfluss auf bestimmte Prozesse nehmen, die die Entstehung und das Fortschreiten der Demenz fördern. “Ob Herpesviren allerdings die Hauptursache der Erkrankung sind – das können wir nicht beantworten”, betont Readheads Kollege Joel Dudley.
Weitere Studien nötig
Die humanen Herpesviren 6A und 7 sind weit verbreitete Erreger: Rund 90 Prozent aller Menschen tragen sie seit ihrer Kindheit in sich – oftmals ohne, dass sich Symptome oder Beschwerden zeigen. “Wir können die Viren im Blut einer Person nachweisen. Wie aber finden wir heraus, ob sie aktiv sind und etwas tun, das für die Alzheimer-Erkrankung relevant sein könnte?”, sagt Readhead. Klar ist: Es sind weitere Studien nötig sind, um die potenzielle Rolle der Herpeserreger für diese Form der Demenz genauer zu erforschen. Bestätigen sich die Ergebnisse und wissen Mediziner künftig mehr über die zugrundeliegenden biologischen Mechanismen, ergeben sich daraus womöglich neue Ansätze für die Diagnose und Therapie. So könnten die Viren als Biomarker fungieren, aber auch Angriffspunkt für neue Medikamente werden. Doch das ist Zukunftsmusik: “Zum aktuellen Zeitpunkt ändern die neuen Erkenntnisse nichts an unseren Möglichkeiten, die Erkrankung zu behandeln”, betont Readheads Kollege Sam Gandy.
Quelle: Ben Readhead (Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York) et al., Neuron, doi: 10.1016/j.neuron.2018.05.023