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Augendruckmessung reicht nicht

Gesundheit|Medizin

Augendruckmessung reicht nicht
Ein erhöhter Augendruck ist nur ein Risikofaktor für den Grünen Star. Die eigentliche Ursache eines Glaukoms könnten gestresste Zellen hinter dem Auge sein.

„Nichts ist sicher, und nicht einmal das ist sicher”, pflegte Arkesilaos aus Äolien zu sagen – ein Philosoph aus dem 4. Jahrhundert v.Chr. Das gilt auch für die Ursachen des Glaukoms. Der „Grüne Star” ist eine Erkrankung des Sehnervs. Nach und nach bilden sich im Gesichtsfeld kleine inselförmige blinde Flecken. Unbehandelt kann ein Glaukom zu Erblindung führen. Allein in Deutschland leiden rund 950 000 Menschen an einem Glaukom.

Was verbirgt sich hinter dieser „Augenerkrankung”? Ganz genau weiß das keiner, nicht einmal die Glaukom-Experten. Fakt ist, dass die Nervenfasern nicht mehr genügend mit Sauerstoff und anderen Nährstoffen versorgt werden. Der Sehnerv stirbt daher langsam ab. Sind viele Nervenfasern geschädigt, erreicht das von der Netzhaut aufgenommene Bild nur noch unvollständig das Sehzentrum im Gehirn.

Viele Jahrzehnte stand für die meisten Fachleute fest, dass diese Sehnervschäden die Folgen eines erhöhten Augeninnendrucks sind. Wenn er über 21 Millimeter Quecksilbersäule liegt, gilt er als zu hoch. „Doch viele Menschen mit erhöhtem Augeninnendruck erkranken nie an einem Glaukom. Andere wiederum erblinden trotz eines normalen Augeninnendrucks”, sagt Norbert Pfeiffer, Direktor der Universitäts-Augenklinik Mainz.

ES BEGINNt IM GEHIRN

Etwa 40 bis 50 Prozent der deutschen Patienten mit Grünem Star haben ein solches Normaldruck-Glaukom. „In Japan sind es sogar etwa 90 Prozent”, erläutert der Schweizer Neuroophthalmologe Hanspeter Esriel Killer vom Kantonsspital in Aarau. Und auch bei Patienten mit abgesenktem Augeninnendruck kommt es immer wieder vor, dass Sehnerv- und Gesichtsfeldverlust trotzdem fortschreiten.

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Hanspeter Killer sucht deshalb gemeinsam mit Kollegen der Universität Basel und einem US-Forscherteam die Ursachen nicht im, sondern hinter dem Auge. Warum sollte nicht – wie bei einigen anderen Erkrankungen mit Sehnervschädigung – das krankhafte Geschehen im Gehirn beginnen? Hinter dem Augapfel badet der Sehnerv als vorgeschobener Gehirnteil in Gehirnflüssigkeit (Liquor), die einen Spalt füllt. Dieser Spalt ist mit einem System aus kommunizierenden, ebenfalls mit Liquor gefüllten Hohlräumen verbunden. Die proteinhaltige Flüssigkeit schützt das Gehirn und dient dem Stoffwechsel der Nervenzellen. Sie wird normalerweise bis zu dreimal täglich erneuert und ist gleichmäßig über das ganze System, das Gehirn und die „Badewanne” des Sehnervs verteilt.

EIN GIFTCOCKTAIL HINTERM AUGE

„Doch bei Patienten mit Normaldruck-Glaukom fanden wir bei unseren Untersuchungen, dass von homogener Verteilung nicht die Rede sein kann”, erklärt der Schweizer Neuroopthalmologe. Der Raum um den Sehnerv ist bei diesen Patienten für den Liquor aus anderen Gehirn-Hohlräumen nur schwer erreichbar und umgekehrt. Ohne Flüssigkeitsaustausch entsteht jedoch aus dem reinigenden Bad ein Giftcocktail mit Bestandteilen, die entzündliche und degenerative Veränderungen des Sehnervs verursachen, die Blutgefäße verengen und die Empfindlichkeit gegenüber Stresshormonen erhöhen. So ist die Konzentration des entzündungsfördernden Proteins L-PGDS in der Flüssigkeit am Sehnerv bis zu 400-fach erhöht.

Was die Giftbrühe bewirkt, haben Killer und seine Kollegen bei Versuchen mit Zellkulturen beobachtet: Bestimmte Zellen im Gehirn, die sternförmigen Astrozyten, werden durch L-PGDS geschädigt. Und gerade diese Zellen sind für das Stoffwechsel- und Ionengleichgewicht wichtig, für den Schutz des Sehnervs und seine Ernährung. Die Energieproduktion der Zellkraftwerke (Mitochondrien) in den Astrozyten und deren Wachstum werden Killers Ergebnissen zufolge durch L-PGDS beeinträchtigt.

Unklar war, wie es zur Abschottung der Sehnerv-Badewanne kommt. Im Mai 2011 berichteten die Forscher in der Fachzeitschrift PLoS ONE über die Bedeutung der Meningothelial-Zellen beim Normaldruckglaukom. Diese Zellen kleiden die Hirnhäute und den flüssigkeitsgefüllten Spalt aus. Sie bilden eine Schutzbarriere zwischen Liquor und Sehnerv und können in der Gehirnflüssigkeit enthaltene Partikel vertilgen.

Ist der Druck innerhalb des Schädels erhöht, führt dies zu einem verstärkten Wachstum der Meningothelial-Zellen. Die Folge: Der Platz im schmalen Spalt wird knapp. Gleichzeitig verringert sich die Fress-Aktivität der Zellen, vermutlich bedingt durch freie Sauerstoffradikale (oxidativer Stress). Beides könnte den Flüssigkeitsaustausch im Gehirn massiv behindern, sodass der Sehnerv bald in einer zellschädigenden Kloake badet. „Wir gehen derzeit davon aus, dass all diese Prozesse zum Untergang von Nervenzellen und damit letztlich zu einer Aushöhlung des Sehnervkopfs führen”, sagt Killer.

DEN SEHNERV PRÜFEN

Was man dagegen tun kann? Killer warnt vor voreiligen Therapie-Ratschlägen, denn die Zusammenhänge seien zu komplex. Möglicherweise reagiert der kranke Sehnerv bereits auf normale Augeninnendruckwerte überempfindlich. Wenn das zutrifft, müsste der Innendruck trotz normaler Messwerte abgesenkt werden – mit speziellen Augentropfen oder operativ.

Ganz wichtig ist die Früherkennung: Augenärzte raten allen Menschen ab 40 Jahren mindestens alle drei Jahre zur Glaukom-Früherkennungsuntersuchung – Kosten etwa 23 Euro – beim Augenarzt. Wer direkte Verwandte wie Eltern oder Geschwister mit einem Glaukom hat, sollte sich ebenso wie Angehörige schwarzer Ethnien und kurzsichtige Menschen ab einer Dioptrie frühzeitig dieser Untersuchung unterziehen. Wichtig ist, dass nicht nur der Augeninnendruck gemessen wird. Der Augenarzt sollte auch die Stelle, an der der Sehnerv das Auge verlässt, genau unter die Lupe nehmen. ■

von Gerlinde Felix

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Unter folgenden Adressen können Sie sich über das Glaukom informieren: www.dog.org (unter „Informationen für Patienten”) www.glaukom.de www.augeninfo.de www.bundesverband-glaukom.de

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