Die Hirnkrankheiten Alzheimer und Parkinson sind durch die Namen ihrer Entdecker in die Medizingeschichte eingegangen, ebenso wie das Broca-Zentrum und die Brodmann-Areale im Gehirn. In seiner brillant geschriebenen und menschlich anrührenden Galerie nimmt der niederländische Psychologe Douwe Draaisma ein gutes Dutzend solcher „Eponyme“ in Augenschein. Dabei blättert zwar immer wieder ein wenig Gold von den Koryphäen ab, aber es kommen dafür oft schillernde, tragische, groteske und geniale Aspekte ans Licht.
Laut „Stiglers Gesetz“, das nach einem Statistiker benannt ist, wurde jedes Eponym zuvor schon einmal von einem inzwischen Vergessenen entdeckt. Die bekannten Namensgeber sind demnach oft nur durch Zeitströmungen, Machtverhältnisse, Intrigen und bizarre Verkettungen von Umständen zu ihrer terminologischen Unsterblichkeit gekommen. Manche endeten selbst in den von ihnen beschriebenen Verrücktheiten oder begingen Selbstmord. Andere drifteten in absonderliche Forschungsfelder ab: So glaubte der viktorianische Epilepsie-Experte John Hughlings Jackson, dass die höheren Zentren des Gehirns die „wilden“ Niederungen im Zaum halten – genauso wie das britische Empire seine Kolonien. Und Korbinian Brodmann, der große Kartograph des Gehirns, bemühte sich, minutiös die Kleinheit des Gehirns von „Primitiven“ nachzuweisen.
Viele der porträtierten Denker sind schweren Denkfehlern und Vorurteilen aufgesessen, was manchmal erschütterndes Leid für die Patienten nach sich zog. Das Buch ist auch eine Mahnung, die „ Wahrheiten“ der Psychiatrie und Hirnforschung mit einer gehörigen Prise Skepsis zu sehen. Rolf Degen
Douwe Draaisma GEIST AUF ABWEGEN Eichborn, Berlin 2008 366 S., € 19,95 ISBN 978-3-8218-5812-8