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Der Pest-Übertragung auf der Spur

Historische Pandemien

Der Pest-Übertragung auf der Spur
Die Forscher sind der Ausbreitungsrate der Pest durch die Auswertung von historischen Dokumenten nachgegangen. Gezeigt ist eine Aufzeichnungen über Sterbefälle aus dem Jahr 1665. (Bild: Clair Lees)

Wie dynamisch war die Ausbreitung der berüchtigtsten Infektionskrankheit aller Zeiten? Anhand von historischen Daten haben Forscher untersucht, wie schnell sich die Pest in London im 14. Jahrhundert und 300 Jahre später bei weiteren Ausbrüchen ausgebreitet hat. Bei der mittelalterlichen Welle verdoppelte sich die Zahl der Infizierten demnach durchschnittlich alle 43 Tage, bei der Pestwelle im 17. Jahrhundert hingegen schon innerhalb von elf Tagen. Die Ursachen der beschleunigten Ausbreitungsrate bei den späteren Pandemien bleiben unklar – es kommen mehrere Möglichkeiten infrage, sagen die Forscher.

Die aktuelle Covid-19-Pandemie ruft sicherlich bei vielen Menschen Gedanken an die einstigen Pest-Heimsuchungen der Menschheit hervor. Doch trotz der schwierigen Lage ist dabei eines ganz klar festzustellen: Das Ausmaß des Grauens, das die Pest einst verursachte, wird das Coronavirus nicht erreichen. Denn das tödliche Potenzial der Pest war ungleich höher. Zwischen 1346 und 1353 raffte der Schwarze Tod Schätzungen zufolge mehr als ein Drittel der Bevölkerung Europas dahin. In den folgenden Jahrhunderten ging der Sensenmann dann immer wieder erneut um und forderte Millionen von Todesopfern.

Jüngste Fortschritte in der Paläogenomik haben bestätigt, dass die historischen Pestpandemien durch das Bakterium Yersinia pestis verursacht wurden. Es gelang Forschern, den Erreger aus den Überresten von Londoner Opfern des Schwarzen Todes aus dem Jahr 1348 zu isolieren. Aus der Rekonstruktion des Genoms des historischen Stammes ging hervor, dass die heute noch in manchen Regionen existierenden Versionen von Y. pestis ihm noch immer sehr ähneln. Diese Erreger sorgen immer mal wieder für lokale Ausbrüche. Durch Antibiotika lässt sich die Ausbreitung der Pest heute allerdings gut in Schach halten. Unklar war bisher allerdings, welche Dynamik die Erkrankung bei den vergangenen Seuchenzügen in Europa entwickelte.

Ausbreitungsraten im Spiegel von Testamenten

Dieser Frage sind nun die Forscher um David Earn von der McMaster University in Hamilton am Beispiel der Stadt London nachgegangen. Ihr Fokus lag auf den schlimmsten Pestausbrüchen in der Geschichte der Stadt. Der erste wütete 1348 und dann folgten im 17. Jahrhundert Wellen, die mit der sogenannten Großen Pest von London 1665 ihren Höhepunkt erreichten. Earn und sein Team aus Statistikern, Biologen und Evolutionsgenetikern schätzten die Sterblichkeitsraten, indem sie historische, demographische und epidemiologische Daten aus drei Quellen analysierten: persönliche Testamente, Kirchenbücher und die Londoner Sterbeurkunden.

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Wie sie berichten, wurden die Testamente zur zentralen Informationsquelle, denn zur Zeit des mittelalterlichen Pestausbruchs gab es noch keine Sterbeurkunden. So werteten die Forscher zunächst die Daten für das 17. Jahrhundert aus, als sowohl Testamente als auch die Sterblichkeit aufgezeichnet wurden. „Die Menschen schrieben damals in der Regel Testamente, wenn sie im Sterben lagen“, erklärt Earn. Es spiegelte sich in den Informationen aus den Testamenten und den Sterbeurkunden die gleiche Ausbreitungsrate der Pest wider, berichten die Forscher. Deshalb gingen sie anschließend davon aus, dass im Fall der mittelalterlichen Pest auch die Testamente als alleinige Informationsquelle der Bestimmung der Ausbreitungsrate dienen können.

Später viermal schneller

Wie die McMaster University mit Berufung auf die Ergebnisse berichtet, geht aus den statistischen Berechnungen hervor: Zum Höhepunkt der Ausbreitung verdoppelte sich die Anzahl der Infizierten im 14. Jahrhundert etwa alle 43 Tage. Bei der Pestwelle im 17. Jahrhundert ging der Sensenmann allerdings deutlich schneller um: Etwa alle elf Tage kam es zu einer Verdopplung der Infizierten, geht aus den Auswertungen hervor. „Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Ausbreitungsrate bei der Großen Pest von 1665 um das Vierfache höher lag als bei der Epidemie von 1348“, resümieren die Wissenschaftler.

„Es ist überraschend, wie unterschiedlich schnell sich die Pestepidemien entwickelten“, sagt Earn. Den Wissenschaftlern zufolge ist eher wenig wahrscheinlich, dass das Bakterium im Laufe der 300 Jahre seine infektiösen Merkmale verändert hatte. „Aufgrund genetischer Hinweise haben wir guten Grund zu der Annahme, dass sich die für die Pest verantwortlichen Bakterienstämme in diesem Zeitraum nur sehr wenig verändert haben, sodass dies ein interessantes Ergebnis ist“, sagt Co-Autor Hendrik Poinar.

Was steckte hinter der Beschleunigung?

Wie die Wissenschaftler weiter berichten, steht die geschätzte Ausbreitungsgeschwindigkeit beider Epidemien im Einklang mit der Annahme, dass das Pestbakterium damals nicht primär durch den Kontakt von Mensch zu Mensch – über eine Tröpfcheninfektion – verbreitet wurde. Denn dann wäre es wohl zu einer noch schnelleren Ausbreitung gekommen. Die Wachstumsraten sowohl der frühen als auch der späten Epidemien stimmen hingegen eher mit der primären Übertragung durch den Biss infizierter Flöhe überein, schreiben die Forscher.

Warum es bei der zweiten Pestwelle zu einer deutlich schnelleren Ausbreitung gekommen ist, können sie bisher allerdings nicht genau sagen. Ihnen zufolge wäre es möglich, dass es in London im 17. Jahrhundert aufgrund der Zunahme der Population im Vergleich zum Mittelalter auch mehr Ratten gab. Die Flöhe der Tiere könnten dann für die schnellere Übertragung auf den Menschen gesorgt haben. Ein weiterer Grund könnte eine Veränderung des Klimas in den 300 Jahren gewesen sein. Möglicherweise begünstigten kältere und feuchtere Wetterlagen die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Krankheit im 17. Jahrhundert.

Die Forscher hoffen nun, dass ihre neugeschaffene Datenbasis auch weiterhin zur Erforschung epidemiologischer Muster der Vergangenheit und sogar unserer Zeit beitragen kann. In diesem Zusammenhang widmet Earn abschließend den Menschen einen Gedanken, die damals in der Zeit der Not ihre Testamente schrieben: „Niemand, der im 14. oder 17. Jahrhundert in London lebte, hätte sich vorstellen können, dass diese Aufzeichnungen Hunderte von Jahren später genutzt werden könnten, um die Ausbreitung der Pest zu untersuchen“, so der Wissenschaftler.

Quelle: McMaster University, Fachartikel, PNAS, doi: 10.1073/pnas.2004904117

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