Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

DIE DURCHSTARTERIN HELGA RÜBSAMEN-WAIGMANN

Erde|Umwelt Gesundheit|Medizin

DIE DURCHSTARTERIN HELGA RÜBSAMEN-WAIGMANN
Forscherin, Managerin – und jetzt Unternehmerin. Mit 58 legt Helga Rübsamen-Waigmann noch einmal richtig los. Sie forscht an lebensbedrohlichen Keimen. Und sie bewegt Millionen Euro.

Trist wirkt der Pharma- und Chemiepark Wuppertal an einem regnerischen Morgen, Gebäude 302 alt und unscheinbar. Aber drinnen strahlt Helga Rübsamen-Waigmann. Und macht mit einer Armbewegung klar, warum sie sich hier zu Hause fühlt: „Hier im Tal wurde das Aspirin entwickelt. Hier hat Gerhard Domagk die Sulfonamide entdeckt.” Das eine passierte im 19., das andere im 20. Jahrhundert. Heute steht sie hier: die Chemikerin Helga Rübsamen-Waigmann. Mit der Mission, Infektionskrankheiten des 21. Jahrhunderts zu bekämpfen. Und mit der von ihr geführten Firma: Aicuris GmbH & Co. KG. Aicuris steht für Anti-Infective Cures – Heilung von Infektionskrankheiten. Das junge Unternehmen ist eine Ausgründung aus dem Bayer-Konzern, Rübsamen-Waigmann die Geschäftsführerin. Es ist bereits die dritte Karriere der 58-jährigen Wissenschaftlerin. Sie wirkt immer noch jugendlich mit ihren blonden langen Haaren, sie spricht immer noch in einem Tempo, dass man kaum mitschreiben kann.

Karriere Nummer 1 im Schnelldurchgang: 1982 übernimmt die damals 33-jährige Helga Rübsamen die Leitung der Abteilung Immuntherapie des Georg-Speyer-Hauses, eines öffentlich geförderten Forschungsinstituts in Frankfurt am Main. Fünf Jahre später wird sie dessen Direktorin. Als sie anfängt, ist das Gebäude eine heruntergekommene Stadtvilla mit drei Beschäftigten und einem Jahresetat von 20 000 Mark. Als sie geht, arbeiten dort 90 Personen mit einem Budget von insgesamt 8 Millionen. Sie selbst macht sich in den Achtzigerjahren einen Namen als Aids-Forscherin: Nach dem Ausbruch der Seuche ist ihr Interesse an Retroviren plötzlich sehr gefragt. Sie entdeckt neue HIV-Varianten, entwickelt einen Test zum Nachweis der Infektion und einen anderen zum Finden von Wirkstoffen gegen das Virus. Nebenher schließt sie ihre Habilitation ab und wird Professorin. Sie heiratet und bekommt einen Sohn.

Im Jahr 1994 beginnt Karriere Nummer 2: Die international bekannte Wissenschaftlerin, inzwischen geschieden und alleinerziehende Mutter, wechselt – zum Erstaunen mancher Kollegen – in die Industrie. Sie wird Leiterin der Virusforschung bei der Bayer AG in Wuppertal. Und auch hier geht’s sieben Jahre später noch einmal eine Stufe nach oben: Ab 2001 leitet Helga Rübsamen-Waigmann die Anti-Infektiva-Forschung von Bayer Healthcare. Sie ist verantwortlich für alle neuen Medikamente, die der deutsche Pharma-Riese für den weltweiten Einsatz gegen Bakterien und Viren erforscht. Die Chemikerin findet Industrieforschung spannend: „Bei Bayer habe ich gelernt, was es alles braucht, damit aus einer Substanz ein Medikament wird.” Der Wirkstoff in der Pille muss die Säure im Magen und das leicht alkalische Milieu im Darm überstehen, er muss seinen Weg ins Blut und aus dem Blut ins Gewebe finden, um an seinen Wirkort zu gelangen. Er muss so gebaut sein, dass die menschliche Leber ihn nicht sofort „knackt”, er muss aber auch in angemessener Zeit abgebaut werden. Und: „Er darf auf keinen Fall toxisch sein!” Bei Bayer begreift sie auch, wie wichtig es ist, immer neue Wirkstoff-Kandidaten in der Pipeline zu haben – gerade in ihrem Feld, der Infektionsmedizin. Denn Viren und Bakterien werden unempfindlich gegen die Gifte, mit denen der Mensch sie bekämpft, sie werden resistent. „Es sind lebendige Wesen, sie wehren sich eben”, hat die Wissenschaftlerin einmal gesagt. Doch die Stärke ihrer Abteilung erweist sich auch als Schwäche: Bis neue Wirkstoffe sich am Menschen beweisen können, vergeht viel Zeit. Das ist der Preis, den Innovationen kosten. Als es Bayer schlecht geht, insbesondere nach der Rücknahme des Medikaments Lipobay im August 2001, kommen Fragen auf, ob man sich die teure Anti-Infektiva-Forschung denn noch leisten könne. Längst haben Konkurrenten auf dem Pharma-Markt ihre bakteriologischen Abteilungen verkauft oder dicht gemacht. Mittel gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen schienen damals schnelleren Gewinn abzuwerfen. Erst sind es nur Gerüchte, die am Markt kursieren, im Dezember 2004 werden sie zur Gewissheit: Die Bayer AG erklärt in einer Pressemitteilung, dass sie sich von ihrer Anti-Infektiva-Sparte trennen will. Ein Käufer und zukünftiger Investor wird gesucht.

Beginn von Karriere Nummer 3 für Helga Rübsamen-Waigmann: Aus der Managerin wird die Unternehmerin. Am Rande eines Konzertabends trifft sie den Oberbürgermeister von Wuppertal. Der macht sie mit Rolf Volmerig bekannt. Der Wirtschaftsförderer der Stadt hat schon manches junge Start-up-Unternehmen auf dem Weg in den Markt begleitet, aber ein Investitionsvolumen, wie es ihm die Biochemie-Professorin auf einem Bierdeckel vorrechnet, hat er noch nicht gesehen: „30 bis 40 Millionen Euro im Jahr.” Volmerig schluckt. „Eine Risikokapital-Finanzierung können Sie dann wahrscheinlich vergessen”, sagt er, „das reicht auf keinen Fall.” „So weit bin ich auch schon in meinen Überlegungen”, entgegnet ihm die Pharma-Frau. Sie weiß, was sie braucht: Einen Investor mit langem Atem und Verständnis für die Branche.

Anzeige

Und tatsächlich stellen sich Interessenten ein. Sie kommen aus Deutschland, den USA, aber auch aus Japan und dem arabischen Raum. Männer mit Geld, viel Geld. Die Wissenschaftlerin lässt die besten Pferde aus ihrem Stall vortanzen. Sie stellen ihre Forschungen in Power-Point-Präsentationen vor. „Wir haben Visionen an die Wand geworfen”, erinnert sich Holger Zimmermann, damals Herpes-Experte, heute Leiter der Virologie bei Aicuris. Für aussichtsreiche Wirkstoff-Kandidaten kann man Millionen-Gewinne hochrechnen – muss aber auch die Erfolgswahrscheinlichkeiten diskutieren. „Und die liegen bei einem so jungen Projekt unter Umständen bei einem Prozent.” So ist Pharmaforschung, so war sie immer: Riesige Investitionen, die im Idealfall riesige Gewinne einfahren. Nicht selten drohen aber auch riesige Verluste, weil auf dem Weg vom Wirkstoff zum Medikament und sogar danach – siehe Lipobay – eine Menge schiefgehen kann. Man muss es mögen. Oder man muss es lassen. Helga Rübsamen-Waigmann mag Pharma-Forschung: „Wir konnten mit wenigen Ausnahmen die ganze frühe Anti-Infektiva-Pipeline von Bayer mitnehmen”, sagt sie, „auch die jungen Kandidaten, die noch viel Entwicklungszeit brauchen.” Sie tat das bewusst, denn sie wollte sich nicht „vom Schicksal einer einzigen chemischen Verbindung abhängig machen, wie so manche andere junge Firma” .

Auftritt: Die Strüngmann-Brüder. Die Zwillinge Andreas und Thomas Strüngmann aus dem bayerischen Holzkirchen, beide promoviert, beide in der Pharma-Branche zu Hause, beide mit viel Geld. Sie haben sich gerade von ihrer Firma Hexal getrennt. Der Verkauf an den Schweizer Konzern Novartis/Sandoz brachte ihnen 5,65 Milliarden Euro. Am 22. Februar 2005 war das, und schon im April sitzen sie in einem Konferenzraum der Bayer AG in Wuppertal und schauen sich die Präsentation von Helga Rübsamens Spitzenleuten an. Noch vor den Japanern und Amerikanern. Im Herbst unterschreiben sie. Die Brüder Strüngmann haben ihr Geld mit Billig-Arzneimitteln gemacht, mit sogenannten Generika, also Wirkstoffen, deren Patentschutz abgelaufen ist. Dennoch waren sie stets mehr als die Billigheimer von Holzkirchen. Wie es die Wirtschaftsjournalistin Heide Neukirchen in ihrer Unternehmerbiografie „Hexal-Kapitalismus” beschreibt, haben die beiden „Doctores”, so ihr Spitzname, stets auch Geld in eigene Forschung und Entwicklung gesteckt – rund zwölf Prozent vom Umsatz. „Das muss sich ein Unternehmen leisten können und auch leisten wollen”, schreibt Neukirchen. „Der internationale Branchendurchschnitt liegt bei 6,6 Prozent.” Mit diesem forschenden Blick waren die Brüder Strüngmann in den Achtzigerjahren auch auf die junge Aids-Expertin vom Georg-Speyer-Haus in Frankfurt aufmerksam geworden, Helga Rübsamen-Waigmann. Sie war nach Holzkirchen gereist, um eine Kooperation mit den Doctores Strüngmann und ihrer Hexal GmbH auszuloten. Aus dem Geschäft wurde nichts, die innovative Aids-Forschung passte nicht zu den Generika. Ein guter Eindruck blieb – auf beiden Seiten. „Voilà, die Strüngmann-Kuppel”, sagt die Chefin der Aicuris GmbH und zeigt zur Decke des Flurs, wo durch ein großes Oberlicht selbst an einem trüben Tag wie diesem ein munter machendes Minimum an Helligkeit hereinfällt. „Wir werden hier zwar finanziell deutlich enger geführt als im Großbetrieb, aber die Investition in diese Kuppel musste sein. Es war ein großer Schritt aus dem Großkonzern heraus in eine junge Firma, und es war uns wichtig, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen.” Wie einst das Georg-Speyer-Haus war auch der Bayer-Altbau mit der Nummer 302 „ziemlich heruntergekommen”, als er dem Aicuris-Team nach der Ausgründung als Firmensitz angeboten wurde. Doch Helga Rübsamen, Spross einer Architekten-Familie, hat ihn zusammen mit den neuen Geldgebern tüchtig renoviert. Im Frühjahr 2007 war Einweihungsfeier.

Im bakteriologischen Labor steckt Nina Brunner, die Abteilungsleiterin, gerade mitten in einer Besprechung. Also erklärt ihre Chefin, worum es hier geht: „Um völlig neue Wirkstoffklassen gegen multiresistente Bakterien.” Allein in den USA erkranken jährlich zwei Millionen Menschen an solchen gefährlichen Erregern, 90 000 sterben daran. Wer hier mit neuen wirkungsvollen Antibiotika auf den Markt kommt, wird nicht nur Geld verdienen, sondern auch vielen Menschen das Leben retten. Virologe Zimmermann hat Zeit, über sein neues Leben zu sprechen. Vor vier Jahren war er noch Forscher im weißen Kittel, Spezialist für ein Virus aus der Herpes-Gruppe, das Humane Cytomegalovirus (HCMV). „Heute”, sagt er lachend, „bleibt der Kittel meist im Schrank.” Statt nur mit Fachkollegen hat er es immer häufiger mit den Managern von Clinical Research Organisations (CRO) zu tun. „ Das ist eine Industrie für sich.” Diese Firmen führen klinische Tests im Auftrag von Pharma-Unternehmen durch, testen neue Medikamente an freiwilligen Versuchspersonen – erst an gesunden (Phase I), dann an kranken (Phase II und III). Eine Substanz, die Zimmermann noch bei Bayer entwickelt hat, befindet sich jetzt in der klinischen Forschung. Sie soll frisch Transplantierte vor einer tödlichen Infektion mit dem HCM-Virus schützen. „Ich lerne hier jede Menge neue Sachen”, sagt der Virologe und redet doch schon fast wie ein alter Hase darüber, wie man in der Pharmaforschung strategische Entscheidungen trifft: „Ich muss wissen, was in fünf bis zehn Jahren benötigt wird. Und woran die anderen forschen. So etwas erfährt man auf Kongressen und aus Datenbanken. Aber auch aus Gerüchten. Man muss vernetzt sein mit dem System. Man muss im Thema sein.”

„Manche Mitarbeiter haben mich echt überrascht”, sagt Helga Rübsamen-Waigmann, wenn sie an die Gründungsphase denkt. Von ihren ehemals rund 100 Bayer-Mitarbeitern konnte sie nur gut 20 zu Aicuris mitnehmen. Zwei, auf die sie fest gesetzt hatte, gaben ihr einen Korb. Sie hatten Angst, in einer so jungen Firma zu arbeiten. Alle anderen zogen mit und wuchsen mit ihren Aufgaben. Ein technischer Mitarbeiter bot sogar sein Sparkonto an: „Ich habe da noch 30 000 Euro. Wenn Sie Geld brauchen …” Die Chefin lehnte gerührt ab. Schon ist ihr Team auf 35 Leute gewachsen, und es sollen noch mehr werden. Sie steuern von Wuppertal aus ganze Forschergruppen. „Allein bei Bayer arbeiten in Spitzenzeiten bis zu 150 Personen für uns”, sagt Helga Rübsamen-Waigmann. Aus alten Kollegen wurden Geschäftspartner. Zum Aicuris-Kernteam gehören heute aber auch neue Kräfte, ganz ohne Bayer-Vergangenheit – und die müssen in die verschworene Truppe integriert werden. „Darum müssen wir uns jetzt kümmern.”

Weniger kümmern muss sich Unternehmerin Rübsamen um ihren mittlerweile 20-jährigen Sohn. Er ist im Herbst 2007 zum Studieren nach Wien gegangen, hat zuvor schon ein Schuljahr in China verbracht. Er strebe in die Wirtschaft, wenn auch nicht gerade in die Pharma-Branche, verrät die Mutter. Wie gesagt: Man muss es mögen. Oder lassen. ■

Judith Rauch

Kompakt

· Herkunft: 1949 in Münchberg/Oberfranken geboren, in Düsseldorf aufgewachsen

· Akademischer Werdegang: Studium der Chemie in Münster, Promotion 1973, Postdoc in Münster, Ithaca (USA) und Gießen, seit 1988 Professur an der Universität Frankfurt/Main

· Karriere 1: Virusforscherin am Georg-Speyer-Haus in Frankfurt/Main, ab 1987 Direktorin des Forschungsinstituts

· Karriere 2: Ab 1994 bei der Bayer AG in Wuppertal, erst als Leiterin der Virologie, dann der gesamten Antiinfektiva-Forschung

· Karriere 3: Seit März 2006 Geschäftsführerin der Aicuris GmbH und Co. KG

· Was sonst noch auffällt: Eher Teamplayer als Einzelkämpferin. Dauerhafter Einsatz für Frauen in der Wissenschaft. Temperament. Mut.

MEHR ZUM THEMA

LESEN

Heide Neukirchen HEXAL-KAPITALISMUS, Der Aufstieg der Gebrüder Strüngmann Campus, Frankfurt/New York 2006, € 24,90

Jacky Law BIG PHARMA, Das internationale Geschäft mit der Krankheit Patmos, Düsseldorf 2007, € 24,90

INTERNET

www.aicuris.com

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Idee  〈f. 19〉 1 〈Philos.〉 1.1 Urform, Urbild  1.2 reiner Begriff, Vorstellung der Dinge … mehr

neu|ri|tisch  〈Adj.; Med.〉 die Neuritis betreffend, dem Krankheitsbild der Neuritis entsprechend

In|so|la|ti|on  〈f. 20〉 1 〈allg.〉 Sonneneinstrahlung 2 〈Med.〉 = Sonnenstich ( … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige