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DIE HEILER VON MALAWI

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DIE HEILER VON MALAWI
In einem deutschen Entwicklungshilfe-Projekt arbeiten traditionelle Heiler und Schulmediziner zusammen – zum Wohl der Patienten.

Vor Schmerzen hält es die 17-jährige Njeri kaum noch aus. Während sich der Eselskarren ratternd vorwärts kämpft, wird sie von der nächsten Wehe überwältigt. Noch 16 Kilometer bis zum Distriktkrankenhaus in Kasungu im südostafrikanischen Malawi. Stundenlang hatte sie versucht, ihr Kind daheim zur Welt zu bringen. Die Dorfhebamme Yakobu stand ihr gemeinsam mit anderen Frauen aus der Dorfgemeinschaft bei. Doch die Geburt ging nicht voran. Schließlich sagte Yakobu: „Ich glaube, das Baby liegt falsch. Ich begleite dich ins Krankenhaus.“

Die Mütter- und Säuglingssterblichkeit ist in vielen afrikanischen Ländern extrem hoch. Schuld sind unter anderem mangelhafte Ernährung und Hygiene. Trotzdem hätte Yakobu bis vor Kurzem noch viel länger gezögert, die junge Frau dem Krankenhaus zu überlassen. Sie hätte gefürchtet, dass die Ärzte und Schwestern sie beschimpfen würden, weil sie zu spät käme. Denn die Skepsis der Schulmediziner gegenüber traditionellen Heilern und Hebammen war bisher groß. Die Hochschwangere wiederum hätte sich gesorgt, dass sie allein im Kreißsaal liegen würde und sich vor dem fremden Krankenhauspersonal nackt ausziehen müsste.

WISSENSCHAFT ALS KOLONIALES ERBE

„Das verletzt das Schamgefühl der Frau und ist in Afrika eine große Schande“, erklärt die Berliner Ethnologin Angelika Wolf. Sie weiß, wovon sie spricht. Als Beraterin der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat sie in Malawi versucht, den Dialog zwischen traditioneller Heilkunst und moderner Medizin in Gang zu bringen. Besonders die Landbevölkerung vertraut bei Krankheiten den Heilern und Schamanen, weil die vor Ort sind und sich auch mit einem Huhn oder einem Stück Stoff bezahlen lassen. Doch nicht nur Geburtskomplikationen wie bei Njeri erfordern operative Hilfe unter guten hygienischen Bedingungen. Auch gegen schwere Infektionskrankheiten wie Aids oder Malaria ist kein Kraut gewachsen.

Die Sprachlosigkeit und das Misstrauen zwischen dem gewachsenen Heilwissen und der westlich orientierten Medizin verhinderten lange eine gute Basisversorgung der Bevölkerung. Ein Problem, das die Kolonialmächte nach Afrika gebracht haben. In Malawi waren es die Briten, die dem Land die naturwissenschaftliche Sicht auf Krankheit und Körper verordneten und das Wirken von Heilern verboten. Deren Kompetenz wird ebenso wenig anerkannt wie die der traditionellen Hebammen, die ihr Wissen von Müttern und Großmüttern erworben haben. Bis heute haben die einheimischen Heilkundigen nur wenige Möglichkeiten sich fortzubilden, und es fehlt an der nötigen Grundausstattung – wie einem Hörrohr zum Abhören der kindlichen Herztöne.

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Erst mit der 1978 von der WHO veranstalteten „International Conference of Primary Health Care“ im kasachischen Alma-Ata wurde die wichtige Rolle der traditionellen Medizin für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung anerkannt. Im Jahr 2002 formulierte die WHO sogar eine Strategie zur Unterstützung traditioneller Medizin. Die GTZ begann 2005, diese Vorgaben mit dem Pilotprojekt im Kasungu-Distrikt in Malawi umzusetzen. Hauptgrund: Malawi hat eine der höchsten Aids-Raten weltweit, und die Bereitschaft der Bevölkerung, sich auf den HI-Virus testen zu lassen, war äußerst gering. Im Sommer 2005 lud die GTZ Mitglieder einer großen Organisation von Heilern, der „Herbalist Association of Malawi“, und das Personal des Distriktkrankenhauses von Kasungu erstmals zum „medizinischen Dialog“ ein. Zwei Wochen lang wurden zunächst Themen wie sexuelle Normen, Übertragbarkeit und Prävention von Aids diskutiert. Ein dreitägiger Workshop mit Trommeln und Volksliedern, Rollenspielen und Diskussionen schloss sich an, der in einen gemeinsamen Aktionsplan mündete.

Zuvor mussten sich die deutschen Mediatoren durch Vorurteile und Schuldzuweisungen kämpfen: Heiler seien unzuverlässig, inkompetent und wegen der Verbreitung falscher Informationen für die Ausbreitung von HIV mitverantwortlich, klagten die Schulmediziner. Geradezu empörend sei die Behauptung einiger Geistheiler, Aids heilen zu können. Die Heiler wiederum machten die Verletzung sexueller Normen für die Epidemie verantwortlich, etwa die Missachtung des Gebots, während der weiblichen Menstruation Enthaltsamkeit zu üben. Der Erfolg gab dem Ansatz recht: Ein Jahr später hatten beide Seiten ihren Standpunkt gelockert, sagt Angelika Wolf. Die Heiler motivierten ihre Patienten nun, sich auf HIV testen zu lassen. „Beide einigten sich: Aids ist nicht heilbar, aber manche Beschwerden lassen sich auch traditionell behandeln.“ Gegen Fieber, Schmerzen und Durchfall kennen Heiler Kräuter, Wurzeln oder Salbenmischungen.

Die GTZ engagiert sich weiter. Um den Krankentransport zuverlässiger zu machen, stellt sie in einem weiteren Pilotversuch Fahrräder mit Anhänger zur Verfügung. In diesen „ Bicycle Ambulances“ kann jeweils ein Patient transportiert werden. Der medizinische Dialog soll bald auch in der Stadt mit ihren unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppen erprobt werden. Außerdem unterstützt die GTZ das Bemühen traditioneller Heiler um die gesetzliche Anerkennung ihres Berufs.

JETZT HERRSCHT EIN ANDERER TON

Njeri hat per Kaiserschnitt einen kleinen Jungen auf die Welt gebracht und ist wieder daheim. Das umsichtige Handeln der Dorfhebamme hat ihr und ihrem Kind möglicherweise das Leben gerettet. Auch das verdankt sie der neuen Nähe von Tradition und Moderne, meint Angelika Wolf. „Der Tonfall hat sich verändert. Weil man die Hebammen nicht mehr beschimpft, überweisen sie die Gebärenden eher.“ Im Distrikt Kasungu sterben seither weniger Frauen bei der Geburt. ■

von Lisa Duncan

SCHON HANDSCHUHE HELFEN

Bessere Gesundheitsfürsorge lässt sich in Ländern der Dritten Welt oft mit einfachen Mitteln erreichen:

• Verbesserte Hygiene: Hebammen erhalten Latex-Handschuhe aus dem Krankenhaus und richten im Dorf eine Abfallentsorgungshütte für Geburts- reste ein.

• Hilfsmittel für den Krankentransport: Fahrräder mit Anhängern („Bicycle-Ambulances“) dienen als rudimentäre Krankenwagen.

• Arbeitsteilung zwischen Heilern und Schulmedizinern: Heiler überweisen an das Krankenhaus zum Aids-Test und vor komplizierten Geburten. Das Krankenhaus überweist Todkranke an die Heiler, damit diese die Patienten zu Hause pflegen.

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RADIO

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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