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Die Pest hat unser Erbgut geprägt

Genetik

Die Pest hat unser Erbgut geprägt
Die Studie basiert auf der Untersuchung der DNA aus Überresten von Menschen, die vor, während und nach der verheerenden Pestwelle im Mittelalter gelebt haben. © Museum of London Archaeology (MOLA)

Wer genetisch bedingte Widerstandskraft besaß, hatte bessere Überlebenschancen. Der Schwarze Tod hat durch seine starke „Auslese-Funktion“ zu einer Verbreitung von bestimmten immunbezogenen Gen-Varianten in der Bevölkerung geführt, geht aus einer Studie hervor. Möglicherweise zahlen Menschen allerdings bis heute einen Preis für die erhöhte Resistenz ihrer Vorfahren gegen die Pest: Genetische Varianten, die Schutz vermittelten, scheinen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen verbunden zu sein, berichten die Wissenschaftler.

Das Grauen hat sich tief ins Gedächtnis der Menschheit eingebrannt: Die verheerende Pestwelle, die sich von 1346 bis 1350 über den Nahen Osten, Nordafrika und Europa ausbreitete, gilt als das schlimmste Sterbeereignis der Geschichte. Schätzungen zufolge tötete der Schwarze Tod in nur etwa fünf Jahren bis zu 50 Prozent der europäischen Bevölkerung. Die hohe Sterblichkeitsrate deutet darauf hin, dass das Immunsystem der Menschen damals nur wenig Widerstandskraft gegen das verantwortliche Bakterium Yersinia pestis aufbringen konnte.

Doch möglicherweise änderte sich dies durch den schrecklichen Selektionsdruck, den die Infektionskrankheit ausübte. Ein Hinweis darauf ist, dass bei folgenden Pestausbrüchen in den nächsten 400 Jahren die Sterblichkeitsrate deutlich zurückging. Dies könnte unter anderem auf eine genetische Anpassung der Menschen an den Erreger zurückzuführen sein. „Seit langem wird darüber spekuliert, dass der Schwarze Tod eine starke Ursache für die Selektion gewesen sein könnte, aber es ist schwierig, dies zu beweisen, wenn man moderne Populationen betrachtet, weil die Menschen zwischen damals und heute auch anderen Ausleseprozessen ausgesetzt waren“, sagt Seniorautor Luis Barreiro von der McMaster University in Hamilton.

Dem Effekt des Selektionsdrucks auf der Spur

Barreiro und seine Kollegen sind den möglichen genetischen Effekten der Pest deshalb nun durch einen fokussierten Ansatz nachgegangen: Für ihre Studie analysierten sie 516 DNA-Proben von Menschen, die vor, während oder kurz nach dem Seuchenzug des Schwarzen Todes in London und in Dänemark gestorben waren. Diese Zuordnungen waren anhand von historischen Aufzeichnungen und Datierungen möglich. Die Proben umfassten dabei auch Personen, die den Informationen zufolge zwischen 1348 und 1349 der Pest zum Opfer gefallen waren. Bei den genetischen Untersuchungen konzentrierten sich die Wissenschaftler auf Regionen im Erbgut der drei Gruppen, von denen eine Bedeutung für das Immunsystem des Menschen bekannt ist.

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Bei den Vergleichen der genetischen Merkmale stießen die Forscher auf zahlreiche genetische Varianten, deren Häufigkeit durch den Selektionsdruck des Schwarzen Todes offenbar in der Population erhöht wurde. Sie waren demnach möglicherweise mit einer verstärkten Überlebenswahrscheinlichkeit verbunden. Besonders in den Fokus der Wissenschaftler rückten schließlich vier Gene beziehungsweise ihre Varianten. Bei ihnen erscheint besonders deutlich, dass sie je nach ihrer jeweiligen Version entweder eine erhöhte Anfälligkeit oder aber Widerstandskraft gegenüber dem Pesterreger vermittelt haben könnten. Genauere Untersuchungen führten die Forscher dann im Fall des Gens mit der Bezeichnung ERAP2 durch. Wie sie erklären, spiel es eine Rolle bei der Erkennung von Krankheitserregern durch das Immunsystem. Personen, die zwei Kopien einer bestimmten genetischen Variante von ERAP2 mit der Bezeichnung rs2549794 besitzen, können vergleichsweise viel des Proteins produzieren, das diese Funktion vermittelt.

Erhöhte Abwehrkraft mit Schattenseite

„Wenn ein Makrophage auf ein Bakterium stößt, zerkleinert er es in Stücke, um sie anderen Immunzellen zu präsentieren und damit zu signalisieren, dass eine Infektion vorliegt“, erklärt Barreiro. „Der Besitz der produktiven Version des Gens scheint einen Vorteil zu schaffen, wahrscheinlich durch die Verbesserung der Fähigkeit unseres Immunsystems, den eindringenden Erreger zu erkennen“. Wie die Studienergebnissen nahelegen, war das bei der Pest besonders ausgeprägt der Fall. „Nach unserer Schätzung hätte der Besitz von zwei Kopien der Variante rs2549794 die Wahrscheinlichkeit, den Schwarzen Tod zu überleben, um etwa 40 Prozent erhöht, im Vergleich zu denjenigen, die zwei Kopien der nicht-funktionalen Variante besaßen“, sagt Barreiro. Das Team ging sogar so weit, in Labortests zu untersuchen, wie sich die Variante rs2549794 auf die Widerstandsfähigkeit lebender menschlicher Zellkulturen gegenüber dem Pesterreger auswirkt. Dabei betätigte sich, dass Makrophagen, die zwei Kopien der Variante exprimieren, Yersinia pestis effizienter neutralisieren als solche ohne diese Variante.

Wie die Wissenschaftler weiter berichten, könnte die erhöhte Abwehrkraft allerdings mit einem Nachteil verbunden gewesen sein: Es gibt Hinweise darauf, dass die vor der Pest schützende genetische Veranlagung in modernen Populationen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Autoimmunerkrankungen in Verbindung steht. „Ein hyperaktives Immunsystem mag in der Vergangenheit großartig gewesen sein, aber unter den heutigen Bedingungen ist es vielleicht nicht mehr so hilfreich“, sagt Co-Autor Hendrik Poinar von der McMaster University. „Wie sich zeigt, sind Einblicke darin möglich, wie vergangene Pandemien, wie die Pest, zu unserer heutigen Krankheitsanfälligkeit beitragen“, so der Forscher.

Er und seine Kollegen wollen nun am Ball bleiben und die Effekte von Infektionserkrankungen auf die genetische Evolution des Menschen weiter untersuchen. Barriereo sagt dazu abschließend: „Wenn wir nachweisen können, welche Signalwege und Gene betroffen waren, könnte dies zum Verständnis beitragen, was es dem Menschen ermöglicht hat, sich anzupassen und noch heute zu existieren“, so der Wissenschaftler.

Quelle: University of Chicago Medical Center, McMaster University, Fachartikel: Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05349-x

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