Die Augen sind geöffnet, lebenswichtige Funktionen wie Atmung und Verdauung funktionieren noch, aber es gibt keine äußerlich erkennbare Bewusstseinsregungen: Beim sogenannten Wachkoma scheint der Geist den Körper verlassen zu haben – doch dieser lebt weiter. Verursacht wird dieser Zustand durch Schädigungen des Gehirns, beispielsweise als Folge eines Unfalls. In manchen Fällen kann sich das Nervensystem allerdings erholen und der Betroffene erwacht aus seinem Dämmerzustand beziehungsweise gewinnt Reaktionsfähigkeiten zurück. Dabei gilt allerdings: Je länger ein Mensch im Wachkoma liegt, desto schlechter wird die Prognose. Vor allem ab etwa zwölf Monaten gibt es kaum mehr Hoffnung auf ein Wiedererwachen.
Ein erfolgreicher Versuch
Im aktuellen Fall waren es bereits 15 Jahre, die der Patient nach einem Schädel-Hirntrauma durch einen Autounfall im Wachkoma gelegen hatte – ohne Anzeichen einer Besserung. So entschlossen sich Ärzte und Angehörige zu einem bislang neuartigen Behandlungsversuch: zu einer Vagusnerv-Stimulation. Dieses Konzept hat sich bereits bei der Behandlung von Epilepsie und Depressionen bewährt. Der Hintergrund: Der Vagusnerv verbindet das Gehirn mit vielen anderen Körperteilen und besitzt eine wichtige Funktion im Rahmen des Erwachens und von Aufmerksamkeit. Zur Stimulation des Vagusnervs wird Patienten im Brustbereich ein Gerät ähnlich einem Herzschrittmacher eingesetzt. Es stimuliert den Vagusnerv durch regelmäßige elektrische Impulse.
Wie die Forscher berichten, zeigte diese Behandlung bei dem Komapatienten deutliche Effekte: Nach einem Monat der Nervenstimulation stellten sie Reaktionen und Bewegungen sowie messbar gesteigerte Hirnaktivität fest. Der Patient konnte beispielsweise einem Gegenstand mit den Augen folgen und ihm den Kopf zuwenden. Seine Mutter berichtet zudem über Reaktionen, wenn ihm ein Buch vorgelesen wurde.
Den Forschern zufolge spiegelte sich der Effekt auch in deutlichen Überraschungsreaktionen wider: Wenn sich jemand plötzlich dem Gesicht des Patienten nähert, reagiert er, indem er seine Augen weit öffnet. Nach vielen Jahren in einem vegetativen Zustand hat er offenbar wieder ein gewisses Niveau an Bewusstsein erreicht, resümieren die Experten.
Reaktionen und gesteigerte Hirnaktivität
Dies bestätigten auch Untersuchungen der Hirnaktivität: Im Elektroenzephalogramm (EEG) zeigten sich verstärkt Hirnströme, die mit Bewegung, Empfindung und Bewusstsein verknüpft sind. Ein Hirnscan zeigte darüber hinaus eine Zunahme der Stoffwechselaktivität sowohl in kortikalen als auch in subkortikalen Regionen des Gehirns. „Gehirnplastizität und Hirnreparatur sind offenbar doch noch möglich, auch wenn es keine Hoffnung mehr zu geben scheint“, sagt Angela Sirigu vom Institut für kognitive Wissenschaften Marc Jeannerod in Lyon. „Durch die Anregung des Vagusnervs scheint es möglich, die Präsenz eines Koma-Patienten in der Welt zu verbessern“.
Die Forscher wollen nun am Ball bleiben: Sie planen eine umfangreichere Studie, um das therapeutische Potenzial von Vagusnerv-Stimulation bei Patienten in einem vegetativen oder minimal-bewussten Zustand zu bestätigen und weiter auszuloten.