„Schwangerschaft ist keine Krankheit“, sagt der Volksmund und will damit ausdrücken, dass es nicht notwendig sei, Schwangere übermäßig mit Samthandschuhen anzufassen. Doch so sehr diese Aussage auch in vielerlei Hinsicht stimmen mag, Schwangerschaft kann durchaus eine Krankheit sein – zumindest aber die Wurzel dafür. Und damit ist nicht nur der seit Urzeiten komplizierte und schmerzhafte Geburtsvorgang an sich gemeint, sondern vor allem Probleme, die sich daraus ergeben und sich erst in der postnatalen Phase voll manifestieren. Der folgende Artikel möchte einen kleinen Einblick auf die häufigsten Ausprägungen geben.
Postnatale Depression
Betrachtet man Schwangerschaft und Geburtsprozess losgelöst vom Physischen, muss man feststellen, dass es sich dabei um einen erheblichen Eingriff in die Psyche handelt. Dahinter stecken mehrere Wirkmechanismen:
- Während der Schwangerschaft und auch danach findet ein massiver Umbau des mütterlichen Hormonsystems statt. Dies allein sowie die dazugehörigen körperlichen Begleiterscheinungen können sich stark auf die Psyche auswirken.
- Das „Mutter-Werden“ ist ein tiefer Eingriff in die bisherige Lebensrealität. Und auch wenn der Geist dazu neun Monate zur Verfügung hat, ist es für viele zu wenig, um sich auf diese buchstäblich lebensverändernde Erfahrung einzurichten.
- Darauf basierend verspüren viele Neu-Mütter Ängste vor dem Scheitern, fühlen sich durch die ungewohnten Herausforderungen gestresst und sind in Sorge, ihrer Rolle nicht gerecht zu werden.
- Selbst eine „glatt“ verlaufende Geburt und erst recht eine kompliziertere Entbindung kann durch die Umstände (Blut, Schmerzen, Ängste…) eine nachhaltig negative psychische Beeinträchtigung hervorrufen. Bei sehr traumatischen Geburten kann sich danach auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) einstellen.
Tatsächlich geht die Forschung davon aus, dass bis zu 50 Prozent aller Gebärdenden unmittelbar nach der Geburt eine leichte Depression, besser bekannt als postnataler Blues, entwickeln. Bei immerhin 15 Prozent steigert sich dies zu einer ausgewachsenen, behandlungsbedürftigen postnatalen Depression (PPD). Und ein verschwindend geringer Prozentsatz entwickelt zudem auch eine Psychose mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
Restless Legs Syndrom
In den vergangenen Jahrzehnten stellen Mediziner, vor allem in „Erstwelt-Ländern“ eine Zunahme von Fällen des Restless Legs Syndroms bei Neu-Müttern fest. Dies wurde zunächst mit den üblichen Hintergründen des Syndroms zu erklären versucht, vor allem Eisen- und Folsäuremangel sowie ein zu geringer Vitamin B12 Spiegel.
Allerdings konnte durch Zugabe dieser Stoffe keine signifikante Verbesserung beobachtet werden. Erst in den 2000ern konnte durch Forschungsarbeiten, unter anderem an der Universität Göttingen, erklärt werden, woran es lag:
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte sich die Lumbal- oder Spinalanästhesie von einer Randmethode zu einer der bevorzugten Anästhesiemethoden für Normalgebärende entwickelt. Dabei konnten die Forscher einen kausalen Zusammenhang ermitteln, wobei allerdings die dahintersteckenden Mechanismen noch nicht gänzlich erforscht sind.
Hämorrhoidale Leiden
Der Fötus erreicht in den späteren Schwangerschaftsmonaten eine vergleichsweise große Ausdehnung. Dies sorgt dafür, dass die inneren Mutter-Organe verdrängt, teils auch beeinträchtigt werden.
Neben Harndrang/-blockaden durch Druck auf die Blase ist es hier immer wieder der Darm, der in Mitleidenschaft gezogen wird. Schon im letzten Schwangerschaftsdrittel kann der normale Stuhlgang erschwert, teilweise auch ohne Pressen kaum noch möglich sein.
Kommt nun noch das starke Pressen bei der Geburt hinzu, werden die bei jedem Menschen vorhandenen Hämorrhoiden übermäßig gestaut und prolabieren schließlich, sodass sie das Innere des Afters sichtbar verlassen. Bei vielen Frauen, insbesondere solchen, die schon zuvor, etwa durch Übergewicht, zu den Risikogruppen gehörten, verstärken Schwangerschaft und Geburt die Probleme und führen teils zu lebenslangen Komplikationen.
Blasenschwäche / Inkontinenz
Während übermäßiger Harndrang bzw. ein Mangel an Kontrolle darüber während der Schwangerschaft vor allem auf die körperliche Präsenz des Kindes zurückzuführen ist, sieht es in der postnatalen Zeit anders aus.
Hier berichten zirka 20 bis 25 Prozent aller Mütter von Veränderungen. In der Regel handelt es sich i um Blasenschwäche in vernachlässigbarer Ausprägung – so kann es bei starkem Druck, etwa durch Niesen oder Husten, zum Abgang geringer Urinmengen kommen. Ein gewisser Prozentsatz der Betroffenen unterliegt jedoch auch größeren Beeinträchtigungen, die bis zu einer tatsächlichen Inkontinenz reichen können, bei der Harn generel nur noch unzureichend zurückgehalten werden kann.
All diese Fälle sind meistens auf die hohen Belastungen für die Beckenbodenmuskulatur zurückzuführen. Schon während der letzten Schwangerschaftswochen, speziell aber während des eigentlichen Geburtsprozesses, wird sie durch das Kind gedehnt – hormonell unterstützt dadurch, dass die Muskelspannung generell abnimmt, sie weicher wird und somit die Geburt unterstützt.
Bei den meisten Müttern bildet sich diese Problematik mit der postnatalen Hormonumstellung auf einen „normalen“ Haushalt wieder zurück – unterstützt durch zielgerichtetes Training der Beckenbodenmuskulatur. Sollte sich jedoch auch nach der achten Lebenswoche des Kindes keine signifikante Verbesserung eingestellt haben, sollte ein Gynäkologe konsultiert werden.
Vaginale Probleme
Die gesamte Vagina, sowohl innen wie außen, unterliegt während der Schwangerschaft und besonders bei einer natürlichen Geburt multiplen Belastungen:
- Hormonelle Veränderung, insbesondere ein Mangel an Östrogen nach der Schwangerschaft.
- Mechanische Belastung durch die Dehnung und Reibung bei der Geburt.
- Veränderungen der Scheidenflora, ebenfalls aus hormonellen Gründen, mit darauf zurückzuführenden Erkrankungen (etwa Pilzbefall).
Die Folge davon ist eine recht große Bandbreite an Problemen. Vaginale Trockenheit kommt nach der Geburt sehr häufig vor, damit einhergehend auch sekundäre Verletzungen, etwa Risse im Gewebe, welche noch dadurch verstärkt werden, dass die Schleimhaut dünner ist.
Ebenfalls berichten sehr viele Mütter von Schmerzen, die auf die enorme Dehnung des Geburtskanals auf das bis zu zehnfache des eigentlichen Durchmessers zurückzuführen sind – hier sind vor allem Kopf und Schultern des Babys das Problem. Diese Schmerzen lassen sich durch feinste Risse in den Muskelfasern erklären, sind aber in den Folgewochen durch Rückbildungsübungen und Schonung gut behandelbar.
Zwar häufig befürchtet, tatsächlich aber enorm selten dagegen sind langfristige Veränderungen des äußerlichen Vaginalbereichs. Zwar finden auch hier während der Geburt Veränderungen statt (etwa eine dunklere Färbung der Schamlippen), aber bei der überwältigenden Mehrheit der Mütter bilden sich diese Änderungen bereits in den ersten postnatalen Wochen wieder zurück. Auch die sexuelle Empfindsamkeit wird nur selten in Mitleidenschaft gezogen.
16.08.2019