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Genmutation könnte gegen Alzheimer schützen

Gesundheit|Medizin

Genmutation könnte gegen Alzheimer schützen
Alzheimer und Gene
Gene können die Anfälligkeit gegenüber Alzheimer beeinflussen. (Bild: Kirsty Pargeter/ iSTock)

Gegen die Alzheimer-Demenz gibt es bisher weder ein Heilmittel noch eine wirksam schützende Vorbeugung. Doch nun haben Mediziner einen ungewöhnlichen Fall entdeckt, der neue Hinweise auf mögliche Schutzmechanismen gegen die Demenz liefert. Es handelt sich um eine 73-jährige Kolumbianerin, die trotz einer Alzheimer-auslösenden Genmutation und einer Anreicherung von fehlgebildeten Amyloid-Plaques im Gehirn kaum Krankheitssymptome zeigt. Genanalysen enthüllten, dass diese Frau eine seltene Mutation im APOE3-Gen trägt, die offenbar für die Schutzwirkung gegen die Demenz verantwortlich ist. Sollte sich dies bestätigen, könnte dies ein neuer Ansatzpunkt für Therapien sein.

Bei einem Großteil der Alzheimer-Fälle ist bisher unklar, welche Faktoren und Faktorenkombination die Erkrankung verursachen. Forscher vermuten jedoch, dass auch bestimmte Genveränderungen im sogenannten APOE-Gen eine Rolle spielen können. Dieses am Fettstoffwechsel beteiligte Gen kommt in drei gängigen Varianten vor, von denen APOE3 in Bezug auf das Alzheimer-Risiko als neutral gilt, APOE2 könnte das Risiko senken und APOE4 gilt als eher Alzheimer-fördernd. Wie groß der Einfluss dieser Genvarianten im Einzelnen ist und welche zusätzlichen Faktoren nötig sind, um die Demenzerkrankung ausbrechen zu lassen, ist aber bislang ungeklärt. Dies gilt nicht für eine andere, klar erbliche Form der Demenzerkrankung: Menschen, die eine bestimmte Mutation im Gen für das Presenilin-1-Protein (PSEN1) tragen, erkranken mit mehr als 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit an einer früh einsetzenden Alzheimer-Erkrankung. Typischerweise beginnt die Demenz bei den Betroffenen schon zwischen 40 und 50 Jahren.

Eine ungewöhnlich „fitte“ Patientin

Jetzt hat eine Studie an einer ganzen Familie von Betroffenen dieser speziellen Genmutation einen überraschenden Fall zutage gefördert. Um mehr über die genetische Basis dieses erblichen Alzheimer-Typs zu erfahren, hatten Joseph Arboleda-Velasquez von der Harvard Medical School in Boston und seine Kollegen die rund 6000 Mitglieder einer kolumbianischen Familie mit vielen früheinsetzenden Alzheimer-Fällen genetisch untersucht. Dabei fiel ihnen ein Familienmitglied mit ungewöhnlicher Krankheitsgeschichte auf: Obwohl die 73-jährige Frau die krankmachende PSEN1-Mutation trug, zeigte sie kaum Demenzsymptome. „Ihre Gedächtnis-Defizite waren auf jüngste Ereignisse beschränkt und ihre neurologischen Untersuchungen ergaben normale Werte“, berichten die Forscher. Auch ein rasches Fortschreiten der Demenz war nicht festzustellen, zudem fehlten in ihrem Blut die typischen Markermoleküle, die Nervenschäden und eine Zerstörung von Gehirnzellen anzeigen, wie Arboleda-Velasquez und seine Kollegen berichten.

Offenbar war diese Frau trotz nahezu hundertprozentigem Risiko einer früh einsetzenden Alzheimer-Erkrankung kaum von der Demenz betroffen. Um der Ursache für diese ungewöhnliche Resistenz auf den Grund zu gehen, untersuchten die Forscher als nächstes das Gehirn der Patientin. Dabei zeigte sich, dass sich im Gehirn der Frau große Mengen an fehlgebildetem Amyloid-Beta-Protein angesammelt hatten. Diese sogenannten Plaques sind typische Anzeichen der Alzheimer-Erkrankung und gelten als Mitauslöser für den Niedergang der Hirnzellen. Dennoch schien dies im Falle dieser Patientin nur geringe Folgen zu haben. Eine mögliche Erklärung dafür lieferte ein zweiter Befund: Die Forscher fanden ungewöhnlich geringe Mengen einer zweiten für Alzheimer typischen Sorte von fehlgebildeten Proteinen, die sogenannten Tau-Fibrillen, im Gehirn der Patientin. Auch der Abbau der Hirnsubstanz war bei ihr deutlich weniger weit fortgeschritten, als man erwarten würde, wie die Forscher berichten.

Seltene APOE-Genmutation als Schutzfaktor

Auf der Suche nach dem Grund für diese Auffälligkeiten führten Arboleda-Velasquez und sein Team weitere DNA-Analysen durch und prüften dabei insbesondere den Status des APOE-Gens. Das überraschende Ergebnis: „Die Sequenzierung bestätigte ihre PSEN1-Mutation und enthüllte, dass sie zwei Kopien der seltenen Christchurch-Mutation (APOE3ch) im APOE-Gen trägt“, berichten die Wissenschaftler. Bei dieser Mutation ist der Code für eine Aminosäure der APOE3-Genvariante verändert. „Unsere Daten sprechen stark dafür, dass APOE3ch nicht neutral gegenüber dem Alzheimerrisiko ist, wie man es vom normalen APOE3-Gen erwarten würde“, konstatieren Arboleda-Velasquez und seine Kollegen. „Wir vermuten, dass APOE3ch günstige Wirkungen auf die Tau-Pathologie und Neurodegeneration entfaltet, selbst bei hoher Belastung durch Amyloid-Beta-Ablagerungen.“ Demnach könnte die Patientin ihre ungewöhnliche Resistenz gegenüber der Demenzerkrankung dieser seltenen Mutation im APOE-Gen verdanken.

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Nach Ansicht der Forscher eröffnet dieser Fall ganz neue Einblicke in mögliche Schutzfaktoren gegen die Alzheimer-Erkrankung. „Diese Studie unterstreicht die Bedeutung von APOE in der Entwicklung, Behandlung und Vorbeugung von Alzheimer“, sagt Co-Autor Eric Reiman von der University of Arizona. Denn dieses bisher als neutral geltende Gen könnte sich als wichtiger Ansatzpunkt für künftige Therapien erweisen. „Wir hoffen, dass unsere Ergebnisse die Entdeckung von APOE-spezifischen Wirkstoffen und Gentherapien fördern“, so Reimann. Allerdings räumen die Forscher auch ein, dass ein einzelner Fall noch nicht ausreicht, um den Wirkzusammenhang zwischen der APOE3ch-Mutation und der Schutzwirkung vor Alzheimer eindeutig zu belegen. Dies muss nun als nächstes in Tiermodellen verifiziert und nachvollzogen werden.

Quelle: Joseph Arboleda-Velasquez (Harvard Medical School, Boston) et al., Nature Medicine, doi: 10.1038/s41591-019-0611-3

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