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Hauptsache: Cool bleiben

Gesundheit|Medizin

Hauptsache: Cool bleiben

KÜHLT MAN PATIENTEN nach einem Herzstillstand einen Tag lang auf 32 bis 34 Grad Celsius („milde Hypothermie”), minimiert man die Hirnschäden. Dies war 2002 das Ergebnis einer Studie, die der Wiener Mediziner Fritz Sterz initiiert hatte. Die Ärzte setzten Spezialmatratzen ein, aus denen kalte Luft strömte, um die Nervenzellen der bewusstlosen Patienten vor dem Absterben zu schützen. Matthias Fischer, Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie in Göppingen und Leiter einer Forschergruppe in Bonn, die an der Studie teilnahm, übte damals öffentlich Kritik an seinen Standesgenossen: Ärzte vergäßen bei der Behandlung eines Herzstillstands oft das Gehirn (bild der wissenschaft 8/2002, „Kühler Kopf”).

Heute ist Fischer viel zufriedener. Denn seit 2003 schreibt eine Richtlinie der ILCOR – das ist ein Zusammenschluss der größten notfallmedizinischen Fachgesellschaften – unmissverständlich vor: Jeder, der nach einem Kammerflimmern mit folgendem Herzstillstand wiederbelebt wurde, muss unbedingt für 12 bis 24 Stunden auf 32 bis 34 Grad gekühlt werden.

Auch Peter Walger, 2002 an der Studie beteiligter Intensivmediziner und Oberarzt an der Universitätsklinik Bonn, freut sich: „Die Hypothermie ist zum Standard geworden. Die Notärzte kühlen schon, bevor sie den Patienten in die Klinik bringen.” In der Klinik setzen die Ärzte die Kühlung fort. Allerdings verwenden sie dazu keine Kühlmatratze mehr, sondern einfachere Methoden. In Bonn nutzen die Mediziner Infusionen von Kochsalzlösung aus dem Kühlschrank.

Doch in vielen meist kleineren Kliniken ignorieren die Ärzte die Kühlungsrichtlinie. Fischer nennt mögliche Gründe: „Je nachdem, wie man kühlt, ist das Verfahren materiell oder personell aufwendig – beides kostet Geld. Ein Gerät zur maschinellen Kühlung zum Beispiel kann bis zu 25 000 Euro kosten.” Walger widerspricht – Geld allein könne nicht das Problem sein: „ Die Kühlung, wie wir sie in Bonn durchführen, ist praktisch kostenlos und sehr simpel. Nein, das ist einfach die Trägheit des Medizinbetriebs.”

Während sich die Kühlung nach einem Herzstillstand langsam durchsetzt, forschen die Mediziner an weiteren Anwendungen. Jährlich gibt es in Deutschland 250 000 Schlaganfallpatienten, Tendenz steigend. Eine Arbeitsgruppe um Rainer Kollmar, Leitender Oberarzt der Universitätsklinik Erlangen, brachte 2011 eine breit angelegte Studie zur Hypothermie nach Schlaganfällen auf den Weg. Eine Besonderheit: Da solche Patienten wach sind, brauchen sie spezielle Medikamente, die während der Kühlung das Kältezittern verhindern.

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Auf die Finanzierung der Studie hatten Kollmar und seine Kollegen fünf Jahre warten müssen. Die Hersteller von medizinischen Produkten, die als Sponsoren infrage gekommen wären, hatten allesamt abgewinkt. Kollmar zeigt Verständnis: „ Vermutlich war den Firmen das finanzielle Risiko zu groß. Bei einem negativen Ausgang der Studie wäre das Medizinprodukt für den Misserfolg verantwortlich gemacht worden. Bei einem positiven Ergebnis hingegen hätte man den Erfolg weniger dem Sponsor und den Medikamenten, als vielmehr der Kühlung zugeschrieben.”

Der Erlanger Mediziner und seine Kollegen mussten das Geld für ihr Vorhaben anderswo auftreiben. Die auf vier Jahre angelegte Studie wird jetzt mithilfe des siebten EU-Rahmenprogramms für Forschung, Technologische Entwicklung und Demonstration (FP7) finanziert. „Dass die Studie nun rein akademisch betrieben wird, macht uns glücklich. Vielleicht wäre sonst diese erfolgversprechende Therapie den Patienten versagt geblieben”, sagt Kollmar. So besteht die Hoffnung, dass auch Schlaganfälle künftig weniger Hirnschäden verursachen – sofern die Patienten cool bleiben. Maria Georgi ■

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