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Hoffnungsschimmer

Gesundheit|Medizin

Hoffnungsschimmer
Keiner spricht mehr darüber: Antikörper-Therapie für verletztes Rückenmark.

Von einer Sekunde auf die andere kann das Leben eine Kehrtwende nehmen, wenn es bei einem schweren Unfall zu Verletzungen des Rückenmarks kommt. Der Betroffene muss damit rechnen, eine Querschnittlähmung davonzutragen. Denn Fasern des zentralen Nervensystems wachsen nicht ohne Weiteres wieder zusammen.

Ein Team um den Schweizer Neurobiologen Martin Schwab fand in den 1990er-Jahren heraus, dass körpereigene Wachstumshemmstoffe für dieses Phänomen verantwortlich sind. „Nogo-A“ taufte das Team eines dieser Proteine und entwickelte einen Antikörper dagegen, mit dem im Tierversuch das scheinbar Unmögliche gelang: Durchtrennte Nervenfasern des Rückenmarks wuchsen wieder zusammen. 2005 standen nach jahrelangen Tests klinische Studien mit querschnittgelähmten Menschen bevor (bild der wissenschaft 10/2005, „Supermans Traum“).

Mittlerweile ist Phase 1 dieser langwierigen Studie mit mehr als 50 Patienten am Zentrum für Neurowissenschaften Zürich abgeschlossen. Sie war sehr erfolgreich, wie der 65-jährige Professor für Hirnforschung an Universität und ETH Zürich berichtet: „Einige der Patienten, denen man die volle Dosis Antikörper über vier Wochen verabreicht hatte, zeigten einen völlig unerwarteten Erholungsverlauf, gemessen an der Größe ihrer Verletzungen.“ Nebenwirkungen traten nicht auf. „Das sind Resultate, die optimistisch stimmen und sich hoffentlich in der nächsten Phase bestätigen.“

Erfolgversprechend ist die Therapie vor allem bei Menschen, die zwar eine schwere Verletzung, aber keine vollständige Durchtrennung des Rückenmarks erlitten haben und deren Behandlung innerhalb der ersten zwei Wochen nach dem Unfall beginnt. Um für die nächste Phase der Studie aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, müssen Spontanheilungen im voraus zuverlässig ausgeschlossen werden. „Mit unserer verbesserten Diagnostik gelingt uns das heute mit mehr als 85 Prozent Genauigkeit“, sagt Schwab. „Dadurch können wir uns in Phase 2 des klinischen Versuchs, die hoffentlich noch 2014 beginnen wird, auf Patienten mit schlechtem Spontanerholungsverlauf kon- zentrieren.“

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Warum der Körper das Nervenwachstum überhaupt blockiert, ist mittlerweile weitgehend geklärt: „Die Hauptfunktion der Wachstumshemmstoffe scheint die Stabilisierung des erwachsenen Zentralnervensystems zu sein“, erklärt der Neurobiologe. „Die Nervenfasern sollen keine zusätzlichen Seitenzweige in falsche Regionen ausbilden.“ In Tierversuchen zeigte sich, dass ein angeborenes völliges Fehlen von Nogo-A zu Fehlschaltungen führt und folglich neuropsychiatrische Störungen erzeugt. Das Ausschalten dieses körpereigenen Stoppsignals für zwei bis vier Wochen, die eine Therapie dauern würde, wäre aber unbedenklich.

Auch bei der Behandlung von Schlaganfall-Patienten werden Nogo-A-Antikörper in Zukunft eine Rolle spielen. Dabei geht es nicht primär um Faserwachstum, erklärt Shih-Yen Tsai, Wissenschaftler am Edward Hines Jr. Hospital in Chicago. „Der Nogo-A-Antikörper fördert die Neuorganisation des Gehirns, sodass gesunde Gehirnregionen die verlorengegangenen Funktionen kompensieren können.“ In Tierversuchen wurden bereits vielversprechende Resultate erzielt, auch bei Schlaganfällen, die bereits Monate zurücklagen. „Das könnte für den Menschen bedeuten, dass eine erfolgreiche Behandlung selbst nach Jahren noch möglich ist“, sagt Tsai.

Und damit nicht genug: Nogo-A-Antikörper könnten außerdem bald bei Multipler Sklerose und bei Amyotropher Lateralsklerose zum Einsatz kommen. Für beide Erkrankungen laufen bereits groß angelegte Medikamentenstudien.

Ismene Kolovos

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