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HORMON AUS DER PLASTIKFLASCHE

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HORMON AUS DER PLASTIKFLASCHE
Getrickst, geschlampt, gelogen? Um die Sicherheit der Alltags-Chemikalie Bisphenol A wird heftig gestritten.

Täglich hantieren wir damit: Wir essen Bohnen aus der Dose und erwärmen die Lasagne in Mikrowellengeschirr. Wir trinken Wasser aus wiederbefüllbaren Kunststoff-Flaschen oder beschichteten Leitungen und geben unseren Kindern Milch in Plastik-Nuckelflaschen. Wir legen CDs ein, tragen Brillengläser aus Kunststoff und befüllen Thermoskannen. In all diesen Materialien kann Bisphenol A stecken. Dieser Stoff, den Chemiker 2,2-Bis(4-hydroxyphenyl)propan nennen, entweicht in minimalen Mengen in unser Essen, und wir atmen ihn mit dem Hausstaub ein. Bei mehr als 90 Prozent der erwachsenen US-Bevölkerung finden sich Abbauprodukte davon im Urin.

Ob dies nun Grund zur Sorge ist oder nicht, darüber streiten sich Wissenschaftler seit mehr als zehn Jahren. In Deutschland fordert das Umweltbundesamt (UBA) seit Langem, Bisphenol A auf den Index zu setzen, während das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) den Plastikgrundstoff für Kinder und Erwachsene als gesundheitlich unbedenklich einstuft. Durch aktuelle Studien kommt Pfeffer in die Diskussion: Die kanadische Regierung hat 2008 als erste Bisphenol A (BPA) in Babyflaschen verboten.

Der Östrogen-Imitator

Doch was ist das für ein Stoff? Reiht man viele BPA-Moleküle aneinander, ergibt das Polycarbonat, einen durchsichtigen, harten Kunststoff, das Epoxidharz, das für Beschichtungen verwendet wird. Da das Material nicht akut toxisch ist, wurde ihm lange kaum Beachtung geschenkt. Aus Studien mit Ratten errechneten Behörden einen TDI-Wert von 0,05 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht und Tag für Menschen. Der TDI-Wert (tolerable daily intake, deutsch: erlaubte Tagesdosis) gibt die Menge an, die ein Mensch sein ganzes Leben lang jeden Tag aufnehmen kann, ohne dass seine Gesundheit Schaden leidet.

Allerdings könnten kleinere Mengen als diese, wenn sie ständig im Körper zirkulieren, vor allem bei Föten und Neugeborenen verheerende Wirkungen haben, befürchten kritische Forscher. Denn: Bisphenol A dockt an Östrogen-Rezeptoren in Brustgewebe, Gebärmutter, Gehirn oder Knochen an und löst dort entsprechende Reaktionen aus. Kurz gesagt: BPA imitiert das Hormon Östrogen.

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Hormone wirken im Körper schon in kleinsten Dosen. Dass BPA einen solchen „Niedrigdosis-Effekt“ hat, bemerkte der Entwicklungsbiologe Frederick vom Saal von der University of Missouri 1998 zufällig bei Labormäusen: Deren Prostata vergrößerte sich, nachdem sie in Öl gelöstes Bisphenol A gefressen hatten. Die Pubertät setzte früher ein, die Spermienqualität litt. Andere Forscher bestätigten diese Beobachtungen oder deckten andere Schadwirkungen auf. Aus den Laborbefunden werden unterschiedliche Schlüsse für den Menschen gezogen: Die BPA-Gegner meinen, neurologische Defekte wie Verhaltens- und Entwicklungsstörungen bei Babys, verändertes Sexualverhalten bei Erwachsenen, Brust- und Prostatakrebs, Fehlgeburten, Fruchtbarkeitsstörungen, Veränderungen der Schilddrüsenfunktion, sogar Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten könnten auf das Konto des Allround-Plastikstoffs gehen. Dagegen sehen andere Wissenschaftler, wie Daniel Dietrich, Umwelttoxikologe an der Universität Konstanz, in der Debatte um das Bisphenol A einen „Sturm im Wasserglas“.

Das europäische Institut für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat Bisphenol A 2008 zum zweiten Mal geprüft. Abermals wurde der Stoff als gesundheitlich unbedenklich eingestuft. Zum Entsetzen der Kritiker wurde sogar der Grenzwert von ehemals 0,01 auf 0,05 Mikrogramm, also auf die für Erwachsene erlaubte Tagesdosis, erhöht. Die Exposition menschlicher Föten sei zu vernachlässigen, urteilten die EFSA-Experten, da BPA im Körper der Mutter rasch abgebaut und ausgeschieden werde. Außerdem sei auch das Neugeborene in der Lage, BPA abzubauen und auszuscheiden – in Mengen, die den tolerierten Grenzwert weit übersteigen würden.

VON DER MUTTER ZUM KIND

Manche Wissenschaftler sehen das ganz anders. Josef Köhrle etwa, Hormonexperte an der Charité in Berlin meint: „Die EFSA-Bewertung halte ich für voreilig und unvollständig angesichts der wissenschaftlichen Datenlage.“ So hat etwa der Würzburger Toxikologe Gilbert Schönfelder bereits 2001 nachgewiesen, dass BPA von der Mutter auf das Kind übergeht. Andere Forscher hätten dies bestätigt, meint Schönfelder. Er und Ibrahim Chahoud von der Charité sowie Andreas Gies vom UBA haben deshalb einen Brief an die EFSA-Direktorin geschrieben, in dem sie ihre Empörung mitteilten. „Skandalös“ sei es, so Schönfelder, dass die EFSA ihre Entscheidung „auf der Basis fragwürdiger Argumente“ fälle.

Doch die europäische Behörde hält die meisten Niedrig-Dosis-Studien für wertlos. Möglicherweise seien Kontaminationen aus Laborgeräten im Spiel. Deshalb könnten die gemessenen Effekte von anderen Forschern nicht nachgestellt werden. Schlamperei also? „Das Argument greift nicht“, meint der Berliner Wissenschaftler Chahoud. „Schließlich wurden in verschiedenen Ländern und in völlig unterschiedlich erdachten Studien Niedrig-Dosis-Effekte gemessen.“ So deckte etwa eine aktuelle Studie von Hugh Taylor, Toxikologe an der Yale University, kürzlich auf, dass Spuren von Bisphenol A zu sogenannten epigenetischen Veränderungen bei Mäusemüttern und ihren Nachkommen führen, also die Gen-Regulation beeinflussen. Konkret: Das sogenannte HOXA10-Gen, das für die Entwicklung der Gebärmutter und für die Fruchtbarkeit der Tiere verantwortlich ist, wurde seltener in sein Protein übersetzt. Die Mäusebabys entwickelten eine erhöhte Östrogen-Sensitivität, reagierten also schon bei sehr kleinen Mengen auf den Botenstoff.

GELBE, DICKE MÄUSE

Epigenetische Veränderungen durch Bisphenol A werden bislang in der Risikobewertung der Behörden gar nicht berücksichtigt. Unabhängige Forscher haben jedoch das Bisphenol bereits daraufhin abgeklopft, ob es Gene an- oder abschalten kann. Mit dem Ergebnis: BPA verhindert die Methylierung der DNA-Stränge, einen der wichtigsten Prozesse bei der Gen-Regulation, auf breiter Front. Um das zu überprüfen, hatte man gelbfelligen Agouti-Mäuse-Müttern BPA verabreicht. Wie sich herausstellte, waren deren Nachkommen besonders gelb, dick und krank, was auf eine Manipulation der Erbsubstanz schließen lässt. Auch wenn nicht klar ist, ob sich diese Mäuseversuche auf den Menschen übertragen lassen, warnt Taylor: „Es gibt keine sicheren BPA-Konzentrationen. Schwangere Frauen sollten die Substanz vorsorglich meiden.“

Seltsam ist die Debatte schon. Bisphenol A ist eine der am besten untersuchten Chemikalien weltweit. Es gibt mittlerweile 5000 Studien. Rund 500, davon mehr als 200 Niedrig-Dosis-Studien, befassen sich mit den Wirkungen der Alltags-Chemikalie auf Mensch, Tier und Pflanze. Einige wenige fanden keine Wirkung von Bisphenol A. Diese seien allerdings auffallend häufig von der Industrie finanziert worden, monieren Kritiker. Frederick vom Saal, Wortführer der Gegnerschaft, überprüfte im Jahr 2007 insgesamt 163 Niedrigdosis-Studien. Das Ergebnis: Von 152 öffentlich finanzierten Studien wiesen 138 auf gesundheitliche Schäden durch Bisphenol A hin. Dagegen kam keine einzige der 11 industriell gesponserten Studien zu einem negativen Ergebnis. Aber gerade auf diese wenigen Studien stützen sich die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA und die EFSA, monieren die Kritiker. „Wenn man keine wissenschaftlichen Argumente hat, dann bleibt einem eben nur, die Schuld beim Geldgeber zu suchen“, setzt Daniel Dietrich dagegen.

Doch warum sind die Studien so widersprüchlich? Eine Stellungnahme von 36 kritischen Forschern, die im März 2009 in der Fachzeitschrift „Environmental Health Perspectives“ erschien, zählt Gründe auf, warum Industrieforschung die Ergebnisse unabhängiger Labors nicht nachstellen kann: In Privatlabors werde mit veralteten Geräten gearbeitet, die so niedrige Dosen gar nicht erfassen könnten. Zudem würden teilweise sogenannte CD-SD-Ratten eingesetzt, die extrem hohe Dosen vertragen. Kurz: Die Kritiker glauben, es werde getrickst, gepfuscht, geschönt, um ein Bisphenol-A-Verbot zu verhindern.

EIN BOMBENGESCHÄFT

Daniel Dietrich kann darüber nur den Kopf schütteln: „Tatsache ist, dass die Industrie und deren Auftragslabors immer die neuesten Geräte haben.“ Doch für die Hersteller steht wirklich viel auf dem Spiel. Bisphenol A ist ein Bombengeschäft: Weltweit werden derzeit rund 3,7 Millionen Tonnen jährlich produziert, mit einem Nachfrageplus von 6 bis 10 Prozent pro Jahr. Nach Schätzungen des UBA sind es deutschlandweit rund 410 000 Tonnen. BPA ist seit 50 Jahren eine der wichtigsten Alltags-Chemikalien. Die großen Hersteller heißen Bayer, GE Plastics und Mitsubishi. Und diese betreiben fleißig Lobbyarbeit bei den Behörden.

Zumindest was die Gefährdung für Säuglinge betrifft, haben einige Akteure mittlerweile umgedacht. Das kanadische Gesundheitsministerium stufte Bisphenol A vor Kurzem als gefährlich für Kinder bis 18 Monate ein, nachdem es die aktuelle Studienlage geprüft hatte. Vor allem neurologische Störungen durch BPA bei Mäuseföten und -neugeborenen veranlassten die kanadischen Behörden zu diesem Schritt. So kam es in einigen Versuchen mit der Chemikalie zu Veränderungen in Gehirnregionen, die für den sogenannten Sexualdimorphismus der Tiere zuständig sind. Dies hatte später Folgen für das Verhalten: Weibliche Tiere etwa, die BPA bereits als Fötus oder später mit der Muttermilch eingenommen hatten, legten weniger mütterliches Verhalten an den Tag, waren aggressiver oder aktiver. „Better safe than sorry!“, lautete der Kommentar des kanadischen Gesundheitsministers Tony Clement zum Bisphenol-Verbot.

IN DEN USA IST MAN ALARMIERT

Auch die FDA rudert zurück und hat „Bedenken“ geäußert, vor allem im Bezug auf die BPA-Belastung von Kindern. John Bucher, Direktor des Toxikologieprogramms NTP der US-Behörde, meint: „ Aktuelle Studien haben viele Fragen aufgeworfen.“ Weitere Untersuchungen sollen nun klären, auf welchen bisher verborgenen Wegen BPA in den menschlichen Körper gelangt und in welchen Mengen. Frederick vom Saal hat nämlich kürzlich an Affen demonstriert, dass die geschätzte Belastung von Menschen weit – mindestens um das Achtfache – über dem TDI liegen könnte. Auch im Urin von Frühchen hat man bedenklich hohe BPA-Ausscheidungen gemessen. Die Belastungen waren zehnmal so hoch wie bei 6- bis 11-Jährigen. Verursacht waren sie wohl durch klinische Geräte: Beatmungsgeräte oder Katheter, die mit BPA-haltigem Epoxidharz ausgekleidet sind.

Für die Belastung der europäischen Bevölkerung liegen bislang keine Daten vor. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit untersucht derzeit rund 400 Freiwillige. Auch das Bundesgesundheitsministerium plant Studien, die die Exposition der Deutschen klären sollen. Zudem will man zukünftig genauer ergründen, wie Menschen die Substanz im Körper ab- und umbauen, denn bisher gibt es nur Ergebnisse aus Tierversuchen, aus denen beide Seiten unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Die Befürworter meinen, BPA werde vom menschlichen Körper innerhalb von sechs Stunden ausgeschieden, sei also harmlos. Im Blut komme hormonell aktives BPA gar nicht vor, weil es vorher in der Leber umgewandelt würde. Die Kritiker sagen: Ein Teil des aktiven BPAs gelangt sehr wohl ins Blut. Und in der kurzen Verweilzeit im Körper sei es durchaus schädlich. „Bei jeder Aufnahme des Stoffes kommt es zu kurzen Konzentrationsspitzen. Das ist gefährlich, weil eine pulsförmige Freisetzung ein häufiges Steuerungsmittel im Hormonhaushalt ist“, so vom Saal. Zudem hat eine Studie der Universität Rochester im Staat New York kürzlich belegt, dass fastende Probanden stets gleich große Mengen an BPA ausscheiden. Das ist ein Hinweis darauf, dass die Substanz im Körper, etwa in den Fettzellen, gespeichert wird. Eine alternative Erklärung wäre, dass nicht, wie bislang vermutet, die Nahrung Hauptquelle einer BPA-Belastung ist.

Verstörendes Ergebnis

Eine neue Dimension hat der Streit bekommen, seit immer mehr Menschen-Studien publiziert werden. Für Wirbel sorgte etwa eine in der renommierten Fachzeitschrift JAMA veröffentlichte Arbeit: Iain Lang und David Melzer, Gesundheitswissenschaftler an der University of Exeter and Plymouth, hatten jeweils rund 700 Männer und Frauen untersucht, die an der US-amerikanischen Langzeitstudie NHANES teilnehmen. Sie maßen die Menge an BPA-Abbauprodukten im Urin und verglichen diese mit dem Auftreten von Krankheiten. Das verstörende Ergebnis: Hohe BPA-Ausscheidungen fanden die Forscher vor allem bei jüngeren und übergewichtigen Menschen. Zudem waren Patienten mit Diabetes und Herzkrankheiten wesentlich stärker belastet als andere Studienteilnehmer. Die höchsten BPA-Werte waren gekoppelt mit einem dreifach erhöhten Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Keinen Zusammenhang fanden Lang und Melzer mit Arthritis, Krebs, Asthma oder erhöhten Blutfettwerten. In einer zweiten Arbeit bestätigte Melzers Arbeitsgruppe diese Ergebnisse kürzlich.

Bereits früher hatten Studien Hinweise geliefert, dass BPA Übergewicht mitverursacht. Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Beispielsweise könnte BPA an Fettzellen und ihren Vorläufern andocken und das Wachstum der Fettzellen verstärken, etwa in Ungeborenen. Dies wäre eine Programmierung in frühen Lebensjahren. Eine andere mögliche Erklärung: Die Chemikalie blockiert Adiponektin, einen Stoff aus Fettzellen, was in Zellkulturen nachgewiesen wurde. Das Hormon dämmt Entzündungen im Fettgewebe ein und sorgt dafür, dass die Zellen gut auf Insulin reagieren. Ein Mangel daran führt zu Insulin- Resistenz und könnte dadurch Diabetes Typ 2 sowie Fetteinlagerungen begünstigen. BPA kurbelt außerdem die Insulin-Produktion in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse an, was ebenso eine Insulin- Resistenz und damit einen erhöhten Zuckerspiegel im Blut fördert. Dass vom BPA allein die Bäuche schwellen und die Blutzuckerwerte in die Höhe schießen, glaubt jedoch nicht einmal vom Saal. Reichlich Nahrung und wenig Bewegung müssen dazukommen. Wie die Alltags-Chemikalie dem Herzen schaden könnte, dafür hat Scott Belcher, Pharmakologe an der University of Cincinnati, kürzlich einen Hinweis gefunden. Als er Mäuse BPA aussetzte, bemerkte er vor allem bei weiblichen Tieren Herzrhythmusstörungen. Der Grund: BPA steigerte die Freisetzung von Kalzium aus den zellulären Speichern, was eine unkontrollierte Kontraktion im Herzmuskel auslöste.

NOCH KEINE BEWEISKRAFT

Vor allem wegen der Melzer-Studien gilt BPA mittlerweile auch für Erwachsene als nicht ganz harmlos. „Doch ein Beweis ist nicht erbracht“, sagt David Melzer. Der Entwicklungsbiologe Frederick vom Saal, aber auch der Epigenetiker Randy Jirtle gehen aber lieber jetzt schon auf Nummer sicher: Sie selber essen nichts mehr aus Konservendosen und trinken Limonade nur noch aus Glasflaschen.

Eine Gefahr sieht man in Expertenkreisen jedoch nicht allein im Bisphenol. Auch andere Substanzen stehen unter dringendem Verdacht, beim Menschen hormonähnliche Wirkungen zu entfalten: Phtalate in Arzneimittelkapseln, Tributylzinn in Textil-Aufdrucken, chemische UV-Filter in Sonnencreme, Pestizide wie das Endosulfan, Parabene in Kosmetik – all diese Chemikalien, die uns das moderne Leben erleichtern und verschönern, könnten als Cocktail verheerende Wirkung haben. Noch zu klären ist, ob die beeinträchtigte Fruchtbarkeit der Menschen in Industrienationen, die steigenden Brust- und Prostata-Krebsraten oder sogar Verhaltensstörungen bei Kindern (zum Beispiel Hyperaktivität), Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten auf das Konto der Hormon-Simulatoren gehen.

Doch möglicherweise führt das Engagement einiger Behörden, Wissenschaftler und Konsumenten schon bald dazu, dass die Branche vom BPA und anderen in Verruf geratenen Umwelthormonen ablässt. So wie bereits in den USA und Kanada geschehen: Die großen Handelsketten Wal-Mart und Toys‘R’Us kündigten an, sämtliche Babyflaschen aus Polycarbonat aus dem Sortiment zu nehmen. ■

bdw-Autorin KATHRIN BURGER verwendet wegen der widersprüchlichen Faktenlage lieber möglichst wenig Plastik in der Küche.

von Kathrin Burger

Wissen hören: Chemikalien, die wie Hormone wirken: Ein Interview zum Thema finden Sie unter „Podcasts“ auf www.wissenschaft.de

KOMPAKT

· Aufgrund aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse hat das kanadische Gesundheits- ministerium Bisphenol-A (BPA) als gefährlich für Kinder eingestuft.

· In Deutschland befehden sich zwei Behörden: Das Umweltbundesamt will BPA verbieten, das Bundesinstitut für Risikoforschung hält den Stoff für harmlos.

· Für Unruhe sorgen Tierversuche, die belegen, dass BPA die Gen-Regulation beeinflusst.

Worin Überall Bisphenol A steckt

• Bisphenol A findet man in Verbundstoff-Verpackungen, mikrowellenfestem Geschirr, Milchtüten, Flaschen und Behältern für Lebensmittel und Getränke sowie in Dosenbeschichtungen.

• Plastik aus BPA ist manchmal mit PC oder Code 7 (siehe „Der Kunststoff-Code, S. 43) gekennzeichnet. In ungekennzeichneten Plastikmaterialien steckt oft BPA.

• Die Materialien Polyethylen (Kürzel: PE, Code 2 oder 4) und Polypropylen (PP, Code 5) gelten dagegen als ungefährlich.

• Darin kommt BPA außerdem noch vor: Kunstglas, Lampen- schirme für Straßenlaternen, Teile von Haushaltsgeräten, Mobiltelefone, Teile von elektronischen Geräten, CDs, transparente Kunststoffteile an Autos, Sonnenbrillen, Kühlschrankeinsätze, Motorradhelme, Zahnversiegelungen und Kunststoff-Füllungen, Farben und Lacke, Innenbeschichtung von Wasserrohren, Klebstoffe, Nagellack, Beschichtung für bedruckte Platinen in elektronischen Geräten.

TIPPS FÜR DIE KÜCHE

• Beim Erwärmen oder unter Einwirkung saurer Mischungen können sich BPA-Moleküle besonders leicht aus Kunststoffen herauslösen. Lebensmittel sollte man daher nie in Plastikbehältern erwärmen, Fertiggerichte nicht in der Verpackung erhitzen.

• Bisphenol A ist fettlöslich, daher steckt es vermehrt in fetthaltigen Lebensmitteln wie Pesto oder Ölen, wenn diese mit Plastikoberflächen in Berührung kommen.

• Der BUND empfiehlt, zur Lebensmittelaufbewahrung Behälter aus Glas, Edelstahl oder Keramik zu nutzen. Auch die Materialien Polyethylen (PE), PET und Polypropylen (PP) sind frei von BPA. PET enthält allerdings hormonähnlich wirkende Weichmacher.

• Für Babyflaschen gilt: Nicht in die Spülmaschine, nicht mit kochendem Wasser füllen, nicht in der Mikrowelle erhitzen. Fertig gemischte Babymilch nicht länger als nötig warm halten.

• Bisphenol-A-freie Babyfläschchen bestehen aus Polyethersulfon, das noch wenig erforscht ist. Problemlos sind Polyamid- und PP-Flaschen.

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