Ein juckender Wollpullover oder ein Mückenstich können empfindliche Zeitgenossen schier in den Wahnsinn treiben. Noch viel schlimmer von Juckreiz betroffen sind Menschen mit Hautkrankheiten wie Neurodermitis, Nesselsucht oder Schuppenflechte. Auch Dialyse-Patienten und Leberkranken macht der quälende Reiz oft schwer zu schaffen.
Jucken ist zwar ein alltägliches Phänomen, aber wissenschaftlich schwierig zu erforschen. Das musste Elke Weisshaar, Hautärztin am Uniklinikum Heidelberg, feststellen, die dazu im letzten Jahr einen Kongress organisierte: „Wie Juckreiz entsteht, wissen wir bis heute nicht genau. Aber inzwischen ist immerhin klar geworden, dass es sich nicht einfach um einen Schmerzreiz handelt.“ Wenn die Haut juckt, leiten eigene Juckreiz-Nerven Impulse an das Rückenmark, von wo diese weiter ins Gehirn gelangen. Schmerzleitende Bahnen sind daran nicht beteiligt.
Einige Auslöser sind bereits identifiziert. Der bekannteste ist Histamin: Die Juckreiz-Nerven verfügen über eigene Rezeptoren für dieses Gewebshormon. Es wird bei allergischen Reaktionen verstärkt ausgeschüttet. Daher juckt es Heuschnupfen-Geplagten an Augen und Nase. Auch bei Neurodermitis führt ein erhöhter Histamin-Spiegel zu dem ständigen Drang, sich zu kratzen. Und wenn ein Mückenstich juckt, ist dafür ebenfalls das im Gift-Cocktail der Insekten enthaltene Histamin verantwortlich.
Auch andere Boten- und Entzündungsmoleküle sowie Abfallstoffe des Stoffwechsels können die Juckreiz-Nerven stimulieren: • Nierenkranken müssen sich ebenfalls häufig am ganzen Körper kratzen, da sich bei ihnen Schadstoffe ansammeln. Auch bei Krebserkrankungen oder einer Leberzirrhose können Substanzen freigesetzt werden, die Juckreiz auslösen.
• Allerdings spielt nach einer norwegischen Studie die Psyche eine große Rolle: Wer ein enges soziales Netz und wenig belastende Probleme hat, bei dem juckt die Haut seltener.
Und was hilft gegen die Pein? Weisshaar: „Kratzen ist jedenfalls keine Lösung, weil das Hautinfektionen begünstigt.“ Sehr gut wirken kühlende Salben, die Menthol oder Kampher enthalten, ebenfalls spezielle Kühlgels oder -sprays. Hilfreich sind auch Gerbstoff-Präparate mit Capsaicin, dem Wirkstoff aus der Chili-Schote. Weniger hält die Hautärztin von den weit verbreiteten rezeptfreien Antihistaminika-Salben: „Bei einem Mückenstich sind diese vertretbar. Aber bei starkem chronischen Juckreiz ist ihre Wirksamkeit bisher nicht eindeutig belegt.“ Unklar ist beispielsweise, ob die äußerlich aufgetragenen Histamin-Hemmer überhaupt in tiefere Hautschichten vordringen können. Wenn diese Salben den Juckreiz trotzdem kurzfristig stillen, dürfte das eher an ihrer kühlenden Wirkung liegen. Auf dem Kongress in Heidelberg haben die Experten auch neue und bessere Therapie- Ansätze vorgestellt: Beispielsweise mildert UV-Bestrahlung das Jucken. Die Strahlen scheinen Entzündungsreaktionen in der Haut zu bremsen, und nach mehrmaliger Behandlung nimmt sogar die Zahl der Juckreiz-Nerven ab. Dr. Ulrich Fricke
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Uwe Gieler
Die Sprache der Haut
Das Wechselspiel von Körper und Seele
Walter-Verlag 2005
€ 16,–
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Dr. Elke Weisshaar
Uniklinikum Heidelberg
Abt. Klinische Sozialmedizin
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69115 Heidelberg
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