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Lügengeschichten beim Kinderarzt

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

Lügengeschichten beim Kinderarzt

Mit sechs Wochen kam der kleine Charles erstmals in die Klinik. Ständig musste er sich übergeben und verfiel anschließend in einen Dämmerzustand. Trotz zahlreicher Untersuchungen standen die Ärzte im englischen Leeds vor einem Rätsel. Unter ärztlicher Aufsicht besserte sich sein Zustand, und er konnte entlassen werden. Aber stets kam die Mutter wieder mit dem schwer leidenden Kind zurück. Charles starb kurz nach seinem ersten Geburtstag. Doch das Kind war niemals wirklich krank gewesen. Krank war seine Mutter: Sie hatte ihr Kind systematisch über eine Magensonde mit Salz vergiftet. Den behandelnden Kinderarzt Roy Meadow erinnerte diese psychische Störung an das „Münchhausen-Syndrom“, bei dem sich Patienten nach medizinischen Behandlungen und Eingriffen sehnen. Die Mutter hatte diesen Drang stellvertretend auf ihren Sohn übertragen. Daher beschrieb Meadow die Krankheit 1977 erstmals als „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“.

Wie viele Kinder derart von ihren Müttern missbraucht werden, ist bisher nur in groben Umrissen bekannt. Umfragen in den Vereinigten Staaten haben ergeben, dass fast jeder Kinderarzt mindestens einen Fall aus seiner eigenen Praxis kennt. Prof. Werner Johann Kleemann, Rechtsmediziner an der Universität Leipzig, rät zu verstärkter Aufmerksamkeit: „Besonders hellhörig sollte man werden, wenn ein Kind immer wieder anderen Ärzten vorgestellt wird, weil ihre Vorgänger angeblich nicht geduldig genug therapiert hätten.“ Am Verhalten der Mütter falle außerdem auf, dass sie zu Ärzten und Pflegepersonal ein freundschaftliches Verhältnis suchen.

Die Liste der bisher bekannt gewordenen Lügengeschichten ist lang und grausam. Ein in warmes Wasser getauchtes Fieberthermometer ist die mit Abstand harmloseste Variante. Am häufigsten täuschen die Mütter Blutungen vor, indem sie Blut um Mund oder After des Kindes schmieren oder es seinem Urin beimischen. Um Blutungen zu verstärken, flößen manche Frauen ihren Kindern gerinnungshemmende Medikamente ein. An zweiter Stelle stehen Anfälle mit Krämpfen und Atemnot, herbeigeführt durch Vergiftungen oder Abdrücken der Halsschlagader.

Über die Motive der Frauen – Männer sind nur in 10 Prozent der Fälle die Täter – kann bisher nur spekuliert werden. Im Vordergrund steht auf jeden Fall nicht die Lust an den Qualen des Kindes. Die Mütter sind beseelt von dem Gedanken, ein krankes Kind zu haben, und wollen sich ihrer Umwelt als opferbereite Super-Mama präsentieren. Viele von ihnen sind selbst von ihren Eltern auf unterschiedlichste Weise misshandelt worden, manche sind sogar Münchhausen-Mütter der zweiten Generation.

Große Unsicherheit herrscht unter den Kinderärzten, wie sie sich beim ersten Verdacht verhalten sollen. Werner Johann Kleemann rät zu einem behutsamen Vorgehen. Die Ärzte sollten Beweise wie Blut oder Urin sichern und mit Psychologen das weitere Vorgehen besprechen. Keinesfalls sollte man die Mutter durch möglicherweise vorschnell geäußerte Verdächtigungen aus der Praxis treiben. Sie würde dann sofort ausweichen und den nächsten Arzt aufsuchen. „Und da wir kein Zentralregister von Patientendaten haben, würde der neu angesteuerte Kollege das Kind auf das Drängen der Mutter hin abermals allen nur erdenklichen Diagnoseverfahren aussetzen und mit aussichtslosen Therapieversuchen beginnen.“ Dr. Ulrich Fricke

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Craig McGill

Do No Harm?

Munchausen Syndrome by Proxy

Vision Paperbacks, 2001

€ 15,95

Internet

Rechtsmedizin der Universität Leipzig:

webmed.uni-leipzig.de/ ~recht /Rechtsmedizin/ wissenswertes.htm

Psychotherapeutisches Zentrum Bad Mergentheim

www.ptz.de/pinnwand/plassmann.pdf

Kontakt

Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V.

Hinüberstr. 8

30175 Hannover

Tel.: 0511 | 30 48 50

Fax: 0511 | 30 48 549

www.dksb.de

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