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MISSION: GESUNDHEIT

Gesellschaft|Psychologie Gesundheit|Medizin

MISSION: GESUNDHEIT
Das traditionsreiche Robert Koch-Institut in Berlin ist bekannt für Mikrobenforschung, Impfempfehlungen und Pandemievorsorge. Jetzt wird es zu einem zentralen Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit ausgebaut.

Die Welt wurde um eine Plage und Gérard Krause um eine Erfahrung reicher. Die Nachricht, dass in Mexiko ein neuartiger Erreger aufgetaucht sei, erreichte den Leiter der Abteilung für Infektionsepidemiologie des Robert Koch-Instituts am Nachmittag des 24. April 2009 während einer wissenschaftlichen Tagung in Stockholm. Es habe bereits Tote gegeben, teilte ihm ein Mitarbeiter aus Berlin mit, die Mikrobe sei offenbar hoch ansteckend und drohe, sich rasant auszubreiten. Überrascht war Gérard Krause von der Meldung nicht. „Wir wussten, dass das irgendwann passieren wird und waren gut darauf vorbereitet“, sagt der 45-jährige Mediziner. Nur wann und wo die Mutante des Virus auftauchen würde, die fortan als „Schweinegrippe“ (oder „Neue Grippe“) um die Welt ziehen sollte, ließ sich nicht vorhersagen.

Krause handelte sofort: Noch von Stockholm aus informierte er die Institutsleitung und das Gesundheitsministerium in Deutschland, setzte sich in den Flieger zurück nach Berlin und traf am Abend mit seinen Mitarbeitern im Lagezentrum in Berlin-Weißensee zusammen. Es folgte ein arbeitsreiches Wochenende: Recherchen, Besprechungen, Absprachen rund um die Uhr. Am Sonntagabend waren die im Pandemieplan vorgesehenen Maßnahmen überarbeitet und an den aktuellen Bedarf angepasst. Ein umfassendes Informationspaket lag vor, abgestimmt mit den Seuchenreferenten der 16 Bundesländer. Als die rund 400 Gesundheitsämter in Deutschland am Montagmorgen mit der Arbeit anfingen, lagen ihnen die Empfehlungen des Robert Koch-Instituts bereits vor. „Mit unserer Expertise wollen wir Unsicherheiten verringern“, betont Krause. „Das ist eines unserer wichtigsten Ziele.“

DAS INFORMATIONS-CHAOS ENTWIRREN

Ausgerechnet dieses Ziel wurde verfehlt – trotz der exzellenten Vorarbeit (siehe auch „Lernen für die nächste Seuche“ , bild der wissenschaft 4/2010). „Da ist einiges in der Kommunikation schief gelaufen“, sagt Krause rückblickend. „Wir haben die Öffentlichkeit nicht im wünschenswerten Umfang erreicht.“ Die Frage, was man hätte anders und besser machen können, beschäftigt Gérard Krause sehr. Um für die Zukunft zu lernen, würde er das Informations-Chaos rund um die Neue Grippe gerne entwirren.

Auch Reinhard Burger, Vizepräsident des Robert Koch-Instituts, steht zu Beginn des Jahres 2010 noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse seit dem 24. April 2009. Der Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten blickt auf eine über 20-jährige Erfahrung in der Abwehr von Attacken aus dem Reich der Mikroben zurück. Die Neue Grippe war zweifelsohne eine der größten Herausforderungen während seiner Zeit im RKI – trotz anderer großer Schrecken wie Rinderwahn, der tödlichen Hirnerweichung „Creutzfeldt-Jakob“, einer neuen Lungenkrankheit namens SARS oder per Post verschickter „Milzbrandbriefe“. Die Aufgabe des RKI ist es, rasch zu handeln, Politik und Öffentlichkeit auf dem Stand der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu informieren und Empfehlungen ohne kommerzielle oder ideologische Interessen auszusprechen, betont Burger. Um dieses Ideal hat man sich auch bei der Neuen Grippe bemüht.

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Dann aber sei etwas in diesem Ausmaß bislang Einzigartiges, nicht mehr Steuerbares geschehen. „Jeder selbsternannte Fachmann, Halbfachmann oder Nichtfachmann hat sich in den Medien zur Neuen Grippe und der Impfung geäußert und damit die Bevölkerung verunsichert“, sagt Burger. Aus dieser „Kakophonie“ das angemessene, wissenschaftlich begründete Handeln herauszuhören, sei nahezu unmöglich gewesen. Der so entstandene „ Kommunikations-GAU“ ärgert Reinhard Burger. Ja, man müsse dringend über neue Kommunikationsstrukturen in einer medial verdichteten Welt mit vielen, möglicherweise zu vielen Multiplikatoren nachdenken. Auch das zählt Reinhard Burger zu den Aufgaben, denen sich das Robert Koch-Institut im 119. Jahr seines Bestehens stellen muss. Denn: „Der nächste gefährliche Erreger kommt bestimmt.“

EIN INSTITUT NACH MASS

Dass sich die Menschheit überhaupt gegen die zahllosen Krankmacher aus der unsichtbaren Welt der Mikroben zur Wehr setzen kann, ist wesentlich dem Mann zu verdanken, dessen Namen die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Biomedizin heute trägt. Eigens für Robert Koch, den Mitbegründer der modernen Bakteriologie und medizinischen Mikrobiologie (siehe Kurzporträt auf S. 34), wurde das „Königlich Preußische Institut für Infektionskrankheiten“ im Jahr 1891 neben der Charité gegründet. Neun Jahre später hatte man den imposanten roten Klinkerbau am Nordufer in Berlin-Wedding nach den Vorstellungen des berühmten Wissenschaftlers errichtet und dieser nahm ihn mit seinen Mitarbeitern in Betrieb. Im Robert Koch-Institut ist man stolz auf den Namenspatron, dessen 100. Todestag im Mai begangen wird, und auf die anderen großen Wissenschaftler, die das Institut hervorgebracht hat: die Nobelpreisträger Paul Ehrlich und Emil von Behring, beide Schüler Robert Kochs.

Das Robert Koch-Institut ist ein Haus mit Tradition. Und man versteht es, die eigene Geschichte vorzuzeigen. Reinhard Burger lässt es sich trotz seines prall gefüllten Terminkalenders nicht nehmen, persönlich durch das Museum im Hochparterre zu führen. Dort ausgestellt ist der Schreibtisch, an dem Robert Koch saß, die Mikroskope, durch die er schaute, Präparate und Mikrofotografien, die er mit eigener Hand fertigte. Bilder zeigen ihn auf seinen Forschungsreisen rund um die Welt, beispielsweise in Afrika bei der Suche nach dem Erreger der Schlafkrankheit oder bei der Sektion eines Krokodils.

Mausoleum beim hörsaal

Nur wenige Schritte entfernt befindet sich die Grabstätte Kochs. Er hatte es sich gewünscht, dass die Urne mit seiner Asche in dem Institut bestattet wird, das er von 1891 bis 1904 leitete. Gegenüber dem Mausoleum gehen Studenten in den Hörsaal, um am frühen Morgen eine Vorlesung über Mikrobiologie zu hören. Andere sind auf dem Weg zur Bibliothek im Dachgeschoss. Dort greift die Archivarin Heide Tröllmich nach einem der Bücher in den hölzernen Regalen, zieht es heraus und schlägt die erste Seite auf. Ein großes geschwungenes K ist mit blauer Tinte hineingeschrieben. „ Eines der Bücher, mit denen Robert Koch gearbeitet hat“, sagt sie und stellt den Band vorsichtig in das Regal zurück, wo er sich unauffällig zwischen die aktuellen Bücher zur Infektionsforschung reiht.

„Es ist schon ein besonderes Haus“, sagt Jörg Hacker, bis vor Kurzem Präsident des Robert Koch-Instituts. „Eine überaus interessante Melange aus faszinierender Historie, internationaler Spitzenforschung und verantwortungsvoller Ratgeber- und Berichterstatter-Funktion.“ Hacker, ein weltweit renommierter Mikrobiologe, leitete das Institut von März 2008 bis Februar 2010, als Nachfolger des Aidsforschers Reinhard Kurth, und ist jetzt Präsident der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Die Entscheidung, das RKI zu verlassen, sei ihm schwergefallen, betont er. Wer die Institution künftig leiten wird, stand bei Redaktionsschluss Mitte März noch nicht fest.

Rund 1000 Menschen arbeiten derzeit im Robert Koch-Institut, etwa ein Drittel davon sind Wissenschaftler. „Exzellente Wissenschaft“, unterstreicht Hacker, „ist die Basis des gesamten Verantwortungsbereiches des RKI.“ Ob es um das Erkennen, Verhüten und Bekämpfen von Infektionskrankheiten oder um die Analyse nicht übertragbarer Krankheiten und ihrer Risikofaktoren geht – ohne eigene, international wettbewerbsfähige und ausreichend finanzierte Forschung sind die Aufgaben, die sich dem RKI stellen, nicht zu erfüllen.

Eine der Wissenschaftlerinnen an der Basis ist Astrid Lewin. Die 49-jährige Biologin leitet die Projektgruppe „Zelluläre Infektabwehr“ und erforscht gemeinsam mit ihren Kollegen ein Kleinstlebewesen, das Robert Koch bereits vor über 125 Jahren als gefährlichen Krankheitserreger erkannt hatte. Es gibt bis heute Rätsel auf: das Tuberkulose-Bakterium. Weltweit fordert es alljährlich rund zwei Millionen Todesopfer. Multiresistente Tuberkulose-Stämme, denen nahezu kein Medikament etwas anhaben kann, breiten sich aus (siehe „Tuberkulose: Gefährlicher denn je“ , bild der wissenschaft 10/2009).

DIE STRATEGIEN DES ERREGERS

Vor allem zwei Eigenschaften der Mikrobe verstehen die Forscher bislang nicht: Wie schaffen es die gefährlichen Eindringlinge, ausgerechnet in den Makrophagen, den sonst so unerbittlichen Fresszellen des Immunsystems, zu überleben? Und was befähigt die Bakterien dazu, oft jahrzehntelang in einem Körper auszuharren, ohne Symptome auszulösen? „Um die Strategien des Erregers besser zu verstehen, untersuchen wir, wie das Tuberkulose-Bakterium mit seinen Wirtszellen interagiert“, sagt Astrid Lewin. Das ist ein ebenso anspruchsvolles wie langwieriges Unterfangen, denn zu den Besonderheiten des Tb-Erregers gehört, dass er in Kultur nur langsam wächst. Die Arbeit im Labor wird zum Geduldsspiel.

Mit einem weiteren gefährlichen, meist aber unterschätzten Erreger beschäftigt sich Annette Mankertz: dem Masern-Virus. Zu viele Menschen halten eine Masern- Infektion für harmlos und eine Impfung für unnötig, meint sie. Dabei sind Masern-Viren weltweit eine der Haupttodesursachen von Kindern: 160 000 Menschen sterben pro Jahr daran, überwiegend sind es Kinder in Entwicklungsländern. Biologin Mankertz leitet das „Nationale Referenzzentrum für Masern, Mumps und Röteln“. Bundesweit gibt es 16 Nationale Referenzzentren, die ausgewählte Erreger untersuchen. 5 Zentren sind am Robert Koch-Institut angesiedelt, darunter die für Grippe und Kinderlähmung. „Wir überwachen die Reiserouten der Masern-Viren in Deutschland“, erklärt Mankertz. Dazu sammeln und erfassen die RKI-Experten alle gemeldeten Masern-Ausbrüche und untersuchen Proben mit molekularbiologischen Methoden, um die Diagnose zu sichern. Die Datensammlung enthüllt beispielsweise, ob die Bevölkerung ausreichend geimpft und vor Masern-Viren geschützt ist. Damit sieht es in Deutschland schlecht aus: Nur rund drei Viertel aller Jugendlichen haben einen ausreichenden Schutz. „Wir haben hierzulande eine viel zu niedrige Impfquote“, klagt Annette Mankertz. Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation, die Masern bis zum Jahr 2010 in Europa zu eliminieren, sei verfehlt worden. Wie schnell sich das Masern-Virus in einer nicht ausreichend immunisierten Bevölkerung ausbreiten kann, demonstriert Annette Mankertz anhand einer Karte. Sie zeigt Deutschland mit den angrenzenden Ländern und lässt erkennen, wie eine heute als „D5-Luzern“ bezeichnete Masern-Virus-Variante im Jahr 2006 in der Schweiz auftauchte, vermutlich eingeschleppt von Urlaubern aus Niederbayern. Die Viren sorgten in der Gegend um Luzern für mehrere Ausbrüche und setzten ihre Route dann quer durch Österreich und Deutschland bis nach Dänemark und Norwegen fort. „Eine echte Erfolgsstory für das Virus“, bemerkt Annette Mankertz trocken.

SCHRECKENSKABINETT IM KELLER

Auf verwinkelten Wegen durch den engen, aus allen Nähten platzenden Labortrakt des RKI gelangt man in den Keller zu Norbert Bannert. Der Virologe leitet den Arbeitsbereich „ Schnelldiagnostik biologisch relevanter Erreger“ im Zentrum für biologische Sicherheit, das nach den Milzbrand- Anschlägen im Jahr 2001 im Robert Koch-Institut eingerichtet wurde. Bannert ist Herr über die modernen Hochleistungsmikroskope, mit denen sich winzige Übeltäter sichtbar machen lassen.

Wie Steckbriefe hängen die Porträts einiger Wesen aus dem Mikrokosmos an den Wänden im Gang: Viren, Bakterien, Einzeller, Pilze – ein Schreckenskabinett von immer wieder verblüffender Schönheit. Besonders heimtückisch, klein und gemein sind die Viren – kein Lichtmikroskop kann sie enttarnen, nur Elektronenmikroskope sind dazu imstande. Wie einst Robert Koch mit dem Lichtmikroskop konnten die RKI-Wissenschaftler mit dem Elektronenmikroskop schon so manchen zuvor unbekannten Erreger ablichten: eine neue Variante des Brechdurchfall erregenden Noro-Virus beispielsweise oder einen ungewöhnlichen, mit einer Geißel bewehrten Milzbrand- Erreger, der 2004 in einem Nationalpark der Elfenbeinküste für ein zunächst mysteriöses Schimpansensterben sorgte. Die Regionen im tropischen Regenwald, erklärt Bannert, seien ein großes Reservoir für bislang unbekannte Krankheitserreger. Das Aids erzeugende HI-Virus, das einst vom Schimpansen auf den Menschen übertrat, ist nur ein Beispiel dafür. „Es wird immer wieder etwas Neues auftauchen und uns beschäftigen“, ist sich Norbert Bannert gewiss.

Bärbel-Maria Kurth, die Leiterin der Abteilung „Epidemiologie und Gesundheitsberichterstattung“ stemmt einen Stapel Bücher und Broschüren auf den Tisch. „Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung“ ist darauf zu lesen, „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“, oder „Krebs in Deutschland: Häufigkeiten und Trends“. „Unsere Aufgabe ist es, ein Bild von der Gesundheit und Krankheit der Menschen in Deutschland zu erstellen, Gesundheitsrisiken aufzudecken und politischen Handlungsbedarf für eine bessere Prävention anzuzeigen“, erklärt die 56-jährige Wissenschaftlerin und verkürzt die Aufgabenstellung auf ein griffiges Motto: „Daten für Taten“.

Die Gesundheitsberichterstattung liegt seit dem Jahr 1999 in der Verantwortung des RKI und hat sich seither zu einem vielzitierten Aushängeschild entwickelt. „Das ist unser aktueller Renner“, sagt Bärbel-Maria Kurth lächelnd und zeigt auf ein beeindruckend dickes Buch, dessen Titel die Frage stellt: „20 Jahre nach dem Fall der Mauer: Wie hat sich die Gesundheit in Deutschland entwickelt?“ Der 300 Seiten starke Bericht, erwähnt Kurth stolz, sei „just in time“ Anfang November 2009 veröffentlicht worden und fasse alle seit dem Jahr 1990 gesammelten Daten zu gesundheitlich relevanten Entwicklungen in Ost- und Westdeutschland zusammen.

GESUNDHEITSRISIKO ARMUT

Die Datenauswertung der Berliner Wissenschaftler endete in der Vergangenheit des Öfteren mit einer Überraschung: Unmittelbar nach der Wiedervereinigung enthüllte eine Erhebung beispielsweise, dass die Menschen in Ostdeutschland trotz stärkerer Umweltbelastung weitaus weniger häufig an Allergien litten als Westdeutsche. Der Allergieforschung hat dieser unerwartete Befund neue Impulse gegeben. Inzwischen ist die nach Ost und West spezifizierte Gesundheitsberichterstattung allerdings obsolet geworden. „Wir hören jetzt damit auf“, sagt Bärbel-Maria Kurth. Ihre Daten zeigen, dass es mittlerweile andere, wichtigere Bezugsgrößen gibt: Sie heißen „Arbeitslos oder beschäftigt?“, „Arm oder reich?“.

Den besorgniserregenden gesellschaftlichen Wandel bestätigt eine vom RKI im Jahr 2003 initiierte, in Europa bislang einzigartige Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zu den ersten Ergebnissen gehört, dass rund 15 Prozent der Kinder hierzulande übergewichtig sind – und dass es eine relative hohe Quote psychisch auffälliger Kinder und Jugendlicher gibt. Immer wieder zeigt sich, dass es die Kinder aus bildungsfernen Familien sind, die sich schlechter ernähren, weniger Sport treiben oder mehr rauchen – und darüber ist Bärbel-Maria Kurth bestürzt. „ Sozial benachteiligte Kinder stecken in einem Teufelskreis, aus dem sie sich nicht alleine befreien können“, sagt sie energisch. „ Mehr Geld in die Bildung!“ lautet deshalb eine ihrer Forderungen. „Das ist nicht etwa meine persönliche Meinung“, betont die Wissenschaftlerin, „dass ist das, was uns die Daten als Notwendigkeit sagen.“

Die zunehmend überalternde Gesellschaft, das dadurch veränderte Krankheitsspektrum und die neuen Anforderungen an die medizinische Versorgung sind weitere Themen, die Bärbel-Maria Kurth und ihre Mitarbeiter aktuell beschäftigen. Und ihre Verantwortung wird noch wachsen. Denn: Gesundheitliche Trends aufzudecken, Konsequenzen aufzuzeigen und bedenklichen Entwicklungen möglichst rasch entgegenzusteuern, das sind zentrale Punkte des Zukunftsprogramms „RKI 2010″. Es wurde vor drei Jahren beschlossen und sieht vor, das RKI nach angelsächsischem Vorbild zu einem modernen Public Health-Institut für Deutschland auszubauen – zu einem großen Bundesinstitut, das sich umfassend um die Gesundheit der Bevölkerung kümmert.

WARTEN AUF DEN NEUBAU

Diese Erweiterung sei unerlässlich, betont der scheidende Präsident Jörg Hacker. Nicht nur, um auf die demographischen Probleme vorbereitet zu sein, sondern auch, um frühzeitig Gefahren zu erkennen, die die Globalisierung oder der Klimawandel mit sich bringen (siehe „RKI 2010: Fünf Herausforderungen“). Dazu sei auch eine noch bessere internationale Vernetzung nötig, etwa mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder dem im Jahr 2005 in Stockholm gegründeten Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) der Europäischen Union. Die künftigen Aufgaben haben dem Robert Koch-Institut bereits mehr Mitarbeiter beschert. Was dem Institut fehlt, ist ein Labor-Neubau, der genug Platz bietet, auch für moderne Hochsicherheitslabors. „Der Neubau ist außerordentlich wichtig, um die Forschung und die Arbeitsfähigkeit des Instituts, gerade im Krisenfall, langfristig zu sichern“, betont Vizepräsident Reinhard Burger.

Schon seit 2003 ist der Bau beschlossene Sache, zügig wurde ein Standort in unmittelbarer Nachbarschaft des RKI gefunden. „ Eigentlich sollte das Gebäude schon bezugsfertig sein“, sagt Burger. „Doch derzeit gibt es nur ein großes Loch in der Erde.“ Er hofft und drängt auf einen raschen Fortgang des Bauprojekts und dessen Förderung durch die zuständigen Berliner Behörden. „ Der Geist von Robert Koch inspiriert“, sagt Reinhard Burger mit einem Augenzwinkern. „Aber je weiter man vom Robert Koch-Institut entfernt arbeitet, desto geringer ist offensichtlich die Wirkung.“ ■

CLAUDIA EBERHARD-METZGER schrieb für bild der wissenschaft schon mehrfach über Infektionskrankheiten. dietmar gust erhielt 2007 den bdw-Fotopreis.

von Claudia Eberhard-Metzger (Text) und Dietmar Gust (Fotos)

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Die Broschüren „Gesundheit schützen, Risiken erforschen“ und „ RKI 2010 – eine Zwischenbilanz“ stellen die gegenwärtigen und künftigen Schwerpunkte der Arbeit des Robert Koch-Instituts vor.

Internet

Unter der Adresse www.rki.de finden Sie ausführliche Informationen zu allen Aktivitäten des Robert Koch-Instituts.

AUSSTELLUNG

Die Wanderausstellung MENSCHMIKROBE von RKI und Deutscher Forschungsgemeinschaft wird vom 3.6. bis 6.7.2010 in Berlin gezeigt (Thaersaal, Invalidenstr. 42), danach in Bonn und Würzburg www.menschmikrobe.de

Robert Koch

Die Zeit, in die Robert Koch am 11. Dezember 1843 hineingeboren wurde, war bestimmt von Industrialisierung, Verstädterung, Massenarmut, hoher Säuglingssterblichkeit und „ Volksseuchen“ wie Tuberkulose und Cholera.

Wie ohnmächtig die Medizin ansteckenden Krankheiten gegenüberstand, erlebte Koch, als er nach seinem Studium als Landarzt in Wollstein arbeitete, einer kleinen Stadt bei Posen im heutigen Polen. Seinerzeit glaubten die meisten Menschen, dass ansteckende Krankheiten von Geistern, üblen Ausdünstungen oder verseuchten Böden übertragen würden. Immer wieder einmal hatte jemand aber auch winzige Lebewesen dafür verantwortlich gemacht. Koch entschloss sich, der Sache auf den Grund zu gehen, und richtete in seiner Wohnung in Wollstein ein kleines Labor ein. Dort entdeckte er im Jahr 1876 in Proben von an Milzbrand erkrankten Tieren die Milzbrandsporen, die Ruheformen des Erregers. Später klärte er auch den Infektionsweg auf.

Weltruhm erlangte Koch, als er 1882 den Tuberkulose-Erreger und 1884 während einer Ägypten-Expedition den Cholera-Erreger entdeckte. Im Jahr 1905 wurde Robert Koch mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt, 1910 starb er 69-jährig in Baden-Baden.

KOMPAKT

· Antibiotikaresistente Erreger und neu auftretende, schnell reisende Viren fordern die Forscher des Robert Koch-Instituts heraus.

· Künftig müssen sie sich aber auch vermehrt um die Krankheiten älterer Menschen und die Folgen des Klimawandels kümmern.

· Mit guten Argumenten soll die Impfbereitschaft gefördert werden.

RKI 2010: fünf Herausforderungen

Mit seinem Programm „RKI 2010″ will sich das Institut den fünf größten Herausforderungen der Zukunft stellen:

1. Wiedererstarkte Erreger zurückdrängen

2007 starben in Trier mehrere Menschen an schweren Darmentzündungen. Als Verursacher wurde „Clostridium difficile 027″ ermittelt. Clostridium steht für eine Gruppe hartnäckiger Mikroben, die gängigen Antibiotika widerstehen und vor allem in Krankenhäusern kursieren. Solche Erreger besser in den Griff zu bekommen, ist ein Ziel des Projektes RKI 2010.

2. Neue Erreger gezielt bekämpfen

Jahr für Jahr sterben in Deutschland mehrere Dutzend Menschen an Magen-Darm-Infektionen durch hochinfektiöse Noro-Viren. Der verstärkte internationale Transport sorgt dafür, dass neu auftauchende Viren sich schnell rund um den Globus verbreiten. Moderne molekularbiologische Methoden ermitteln die Charakteristika solcher Erreger, um sie gezielt zu bekämpfen und Epidemien zu verhindern.

3. Klimawandel: Risiken frühzeitig erkennen

2007 brach in Italien das eigentlich für Asien typische Chikungunya-Fieber aus. Der Erreger wird von der Asiatischen Tigermücke verbreitet, die bei einer mäßigen Erwärmung auch bei uns heimisch werden könnte. Am Oberrhein wurden bereits Eier der Tigermücke gefunden. Im RKI werden Meldedaten zu klimasensiblen Erregern bundesweit analysiert.

4. Impfbereitschaft stärken

Zuständig für das Bewerten des Nutzens und der Risiken von Impfungen ist die STIKO, die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut. Sie besteht aus einem nationalen Expertengremium, dessen Arbeit vom RKI koordiniert und unterstützt wird. Das Projekt „RKI 2010″ will den wissenschaftlichen Bewertungsprozess für Außenstehende transparenter machen und die Impfbereitschaft der Bevölkerung stärken.

5. Krisen schnell erkennen und abwehren

Bei einer Pandemie gilt es oft, Sachverhalte zu einem Zeitpunkt zu bewerten, wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse noch nicht eindeutig sind. Computergestützte „ Real-Time-Modellierungen“ sollen bei einer Pandemie vorauszusagen helfen, welche Ausbreitungswege ein Erreger nimmt und wo die Infektionskette am besten unterbrochen werden kann.

DIE RKI-FINANZEN

Das Robert Koch-Institut mit seinen derzeit 951 Mitarbeitern verfügt über ein jährliches Budget von rund 60 Millionen Euro. Die Grundfinanzierung garantiert das Bundesministerium für Gesundheit. Durch Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der EU werden einzelne Projekte finanziert.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Grund|herr|schaft  〈f. 20; im MA〉 meist mit Recht auf Frondienst verbundene Herrschaft über Grund u. Boden sowie die diesen bewirtschaftenden Bauern

Kern|brenn|stoff  〈m. 1〉 die in einem Kernreaktor enthaltenen spaltbaren Isotope

B  I 〈n.; –, – od. –s; Mus.〉 das um einen halben Ton erniedrigte H II 〈ohne Artikel〉 1 〈Mus.〉 1.1 〈Abk. für〉 B–Dur (Tonartbezeichnung) … mehr

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