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Neandertalergene und Covid-19

Gesundheit|Medizin

Neandertalergene und Covid-19
DNA
Genetischer Risikofaktor (Bild: angkhan/ iStock)

Warum eine Infektion mit dem Coronavirus nur bei manchen Menschen einen schweren Verlauf nimmt, beginnen Forscher erst allmählich aufzuschlüsseln. Demnach scheinen neben Vorerkrankungen und Alter auch bestimmte Gene eine Rolle zu spielen. Jetzt legt eine Vorveröffentlichung nahe, dass eine der beiden Genregionen, die offenbar schwere Verläufe begünstigt, wahrscheinlich von den Neandertalern stammt. Genvergleiche ergaben, dass dieser sechs Gene umfassende DNA-Abschnitt große Ähnlichkeit mit den DNA-Abfolgen eines 50.000 Jahre alten Neandertalers aufweist. Wie und warum diese Gene den Verlauf von Covid-19 beeinflussen und ob diese Wirkung auch für andere Infektionen gilt, ist jedoch noch völlig unklar.

Schon vor einigen Wochen identifizierten Wissenschaftler um David Ellinghaus von der Universität Kiel erste genetische Risikofaktoren, die möglicherweise mit einem schweren Verlauf von Covid-19 in Verbindung stehen. Für seine Studie hatte das Team das vollständige Erbgut von 1.610 Covid-19-Patienten aus fünf Städten in Italien und Spanien sequenziert und dann DNA-Buchstabe für DNA-Buchstabe mit dem Erbgut von 2.205 gesunden Kontrollpersonen verglichen. Dieser genomweite Vergleich ergab zwei Genregionen, die bei schwerkranken Covid-19-Patienten überproportional oft verändert waren. Die erste betraf eine Gruppe von sechs Genen auf Chromosom 3, die zweite ein Gen auf Chromosom 9, das für die Kontrolle der AB0-Blutgruppen zuständig ist. Eine Folgestudie der Covid-19 Host Genetics Initiative konnte die Häufung der Genveränderungen auf Chromosom 3 bei Menschen mit schweren Verläufen von Covid-19 bestätigen. Sie stellte zudem fest, dass diese knapp 50.000 Basen umfassende Genregion offenbar häufig als ganzes vererbt wird – die Gene dieses Abschnitts besitzen demnach einen starken Zusammenhalt.

Genabschnitt stammt vom Neandertaler

An diesem Punkt setzt nun die Studie von Hugo Zeberg und Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig an. Wie sie erklären, bleibt ein Erbgutabschnitt dieser Länge üblicherweise nur dann so stabil, wenn er entweder einer positiven Selektion unterliegt und damit dem Träger klare Vorteile bringt, wenn er eine ungewöhnliche geringe Mutationsrate aufweist oder aber wenn er einst als Block in die menschliche Population gelangte – beispielsweise bei Kreuzungen mit andere Menschenarten wie dem Neandertaler. Da es bislang keine Hinweise auf eine positive Selektion oder geringere Mutationsrate gibt, haben Zeberg und Pääbo die dritte Möglichkeit näher untersucht. Dafür verglichen sie die bei Covid-19-Patienten häufige DNA-Sequenz dieser sechs Gene mit dem Erbgut eines 50.000 Jahre alten Neandertalers aus Kroatien und zwei 120.000 und 50.000 Jahre alten Neandertalerfossilien aus Sibirien.

Die Genomvergleiche ergaben, dass der von Ellinghaus und seinem Team identifizierte Genabschnitt zum großen Teil in den Erbgutfragmenten des Neandertalers aus Kroatien vorkommt. Eine geringere Zahl dieser Genvarianten konnten Zeberg und Pääbo auch in den beiden anderen Neandertalergenomen wiederfinden. Ihrer Ansicht nach könnte dies dafürsprechen, dass diese sechs Gene umfassende Variante ursprünglich von den Neandertalern kam und über Kreuzungen ins Erbgut des Homo sapiens gelangte. „Die größere genetische Überstimmung mit dem kroatischen Neandertaler passt dazu, dass dieser früheren Studien zufolge näher an den Neandertalern steht, die die meiste DNA in den heutigen Menschen hinterlassen haben“, erklären die Forscher.

Besonders häufig in Südasien

In einer ergänzenden Analyse haben Zeberg und Pääbo untersucht, wie häufig dieser von den Neandertalern stammende Genabschnitt auf Chromosom 3 in der heutigen Bevölkerung vertreten ist. Dafür zogen sie die Genomdaten des 1000 Genome Project heran, das Erbgut von Menschen aus allen Kontinenten sequenziert und in einer zentralen Datenbank sammelt hat. Der Genomvergleich ergab: „Die vom Neandertaler stammenden Risikogene kommen in Afrika fast gar nicht vor – das stimmt damit überein, dass der Genfluss der Neandertaler in die afrikanischen Populationen sehr begrenzt war“, erklären die Wissenschaftler. Bei Europäern ist dieser Genabschnitt dagegen zu acht Prozent verbreitet, bei Amerikanern zu vier Prozent. In Südasien tragen sogar 30 Prozent der Menschen diese Genvarianten. „Die größte Häufigkeit hat sie in Bangladesch, wo 63 Prozent der Population mindestens eine Kopie der Neandertaler-Risikovarianten tragen“, berichten die Forscher. 13 Prozent der Bevölkerung ist dort für diese Variante homozygot.“ Das bedeutet, dass diese Menschen den Genabschnitt sowohl von ihrem Vater wie ihrer Mutter geerbt haben.

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Nach Ansicht von Zeberg und Pääbo könnte dieser vom Neandertaler stammende Genabschnitt daher das Risiko für schwere Verläufe von Covid-19 in bestimmten Regionen stärker erhöhen als in anderen. Allerdings: Bislang ist dies noch reine Spekulation. Denn wie stark und auf welche Weise diese DNA-Variante auf Chromosom 3 die Schwere der Covid-19-Erkrankung beeinflusst, ist bislang offen. Ebenso unklar ist auch, ob dieser Genabschnitt seine Träger nur anfälliger für das Coronavirus macht oder ob er auch die Reaktion auf andere Krankheitserreger beeinflusst.

Quelle: Hugo Zeberg und Svante Pääbo (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig), Preprint bioRxiv, doi: 10.1101/2020.07.03.186296

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