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Stören Immunzellen das Hirnwachstum im Alter?

Gesundheit|Medizin

Stören Immunzellen das Hirnwachstum im Alter?
Auch im Erwachsenengehirn bilden sich noch neue Neuronen - doch im Alter nimmt diese Fähigkeit zur Neurogenese immer weiter ab. (Bild: metamaworks/ istock)

Immunzellen spielen für unsere Gesundheit eine entscheidende Rolle – sie können aber auch unerwünschte Reaktionen wie Allergien auslösen. Forscher haben nun möglicherweise eine weitere „Nebenwirkung“ dieser Zellen entdeckt: Einige von ihnen scheinen in sogenannte Stammzellnischen des alternden Gehirns vordringen zu können und stören dort möglicherweise die Neurogenese. Dies könnte erklären, warum diese für Lernen und Gedächtnis wichtige Neubildung von Gehirnzellen im Alter zunehmend gestört ist. Die Ursache für diese Blockadewirkung der Immunzellen ist allerdings noch unbekannt, wie das Team berichtet.

Lange Zeit dachten Neurowissenschaftler, dass sich Nervenzellen im Gehirn nur während der embryonalen Entwicklung bilden. Doch das stimmt nicht, wie man heute weiß. Bestimmte Stamm- und Vorläuferzellen scheinen sich ein Leben lang zu neuen Neuronen entwickeln zu können. Selbst im Gehirn von 90-Jährigen gibt es noch Keimzonen für neue Nervenzellen, wie kürzlich eine Studie enthüllte. Allerdings verlieren diese Stammzell-Reservoire mit zunehmendem Alter an Funktionalität. „Warum und wie sich die Stammzellnischen während des Alterungsprozesses verändern, ist jedoch unklar“, erklären Ben Dulken von der Stanford University und seine Kollegen. Um mehr darüber herauszufinden, haben die Wissenschaftler nun Neuronen-Geburtsstätten im jungen und alten Gehirn miteinander verglichen.

Unerwartete Eindringlinge

Für ihre Studie analysierten die Forscher Zellen aus der sogenannten subventrikulären Zone von Mäusen – einer wichtigen Stammzellnische bei vielen Tieren, einschließlich des Menschen. Dabei untersuchten sie drei Monate junge Nager und 28 bis 29 Monate alte Mäuse-Senioren. Würde sich die Zusammensetzung und Aktivität der Zellen bei beiden Gruppen unterscheiden? Die Ergebnisse enthüllten: In allen Stammzellnischen waren neun Zelltypen enthalten, die charakteristisch für solche Bereiche des Gehirns sind. Bei den alten Mäusen stießen Dulken und seine Kollegen daneben allerdings auf etwas Unerwartetes: große Mengen an T-Killerzellen. „Ganz wenige Killerzellen waren zwar auch in der subventrikulären Zone junger Tiere vorhanden. Bei den älteren Mäusen war deren Anzahl jedoch um das 16-Fache höher“, berichtet Dulkens Kollegin Anne Brunet.

Das Seltsame daran: „Der gängigen Lehrmeinung nach gelangen diese Immunzellen wegen der Blut-Hirn-Schranke gar nicht so leicht in das gesunde Gehirn“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Wir zeigen aber, dass sie zumindest in das gesunde, alternde Gehirn vordringen können – und dort genau die Regionen erreichen, wo neue Neuronen entstehen.“ Welche Folgen könnten diese Eindringlinge für die Neurogenese haben? Weitere Experimente zeigten, dass die Invasion der Immunzellen in die subventrikuläre Zone mit einer verringerten Zahl proliferationsfähiger neuronaler Stammzellen einherging. Gewebeuntersuchungen an Gehirnen menschlicher Verstorbener offenbarten einen ähnlichen Zusammenhang. Die Vermutung, dass die Immunzellen die Neubildung von Gehirnzellen stören, lag daher nahe.

Reaktion auf Antigene?

Tatsächlich stellten die Forscher bei weiteren Untersuchungen fest, dass die aus den Stammzellnischen von Mäusen isolierten T-Zellen auffällig stark dazu neigten, den entzündungsfördernden Botenstoff Interferon-Gamma auszuschütten – stärker als der gleiche Typ Immunzellen aus dem Blut. Dem Team zufolge scheint diese Substanz die Produktion neuer Nervenzellen stoppen zu können. Doch warum agierten die T-Zellen im Gehirn derart destruktiv? Offenbar reagierten sie auf einen vermeintlichen Feind, wie sich zeigte. So wiesen Dulken und seine Kollegen nach, dass die Immunzellen die sogenannte klonale Expansion durchlaufen hatten. Bei diesem Prozess wird durch den Kontakt mit einem Antigen die Aktivierung und anschließende Vermehrung spezifischer Immunzellen ausgelöst, die dann zum Beispiel Krankheitserreger bekämpfen.

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Das Besondere: Vergleiche mit T-Zellen aus dem Blut zeigten, dass die Immunzellen im Gehirn auf andere Antigene getrimmt waren als ihre Pendants im Rest des Körpers. Sie schienen demnach gezielt auf spezifische Antigene im Gehirn zu reagieren. Welche Antigene das sind, wollen die Wissenschaftler in Zukunft herausfinden. „Sie könnten mitverantwortlich sein für die Störung der Neuronenproduktion in den Stammzellnischen des alternden Gehirns“, resümiert Brunet. Gelingt es, die genauen Mechanismen hinter dem nun beobachteten Phänomen zu entschlüsseln, könnten sich dadurch auch neue Ansätze für die Prävention und Behandlung des altersbedingten geistigen Verfalls ergeben. Denn die neuen Neuronen, die im Erwachsenenalter entstehen, gelten als essenziell für Gedächtnis, Lernprozesse und sogar sensorische Fähigkeiten wie das Riechen.

Quelle: Ben Dulken (Stanford University) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-019-1362-5

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