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UNGEFÄHR 46

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UNGEFÄHR 46
Wie viele Chromosomen hat der Mensch? 46, lautete bisher die Antwort. Künftig heißt es womöglich: ungefähr 46. Es können auch weniger sein. Oder mehr.

Die Chromosomenzahl kennt man als feste Größe: Der Mensch hat 46. Der Goldfisch protzt mit 94. Die Maus rückt mit 44 fast in menschliche Nähe. Darauf schworen Biologen bis vor Kurzem Stein und Bein. Bis Günther Zupanc von der Jacobs University in Bremen die Lehrmeinung vom artspezifisch fixen Chromosomensatz auf den Kopf stellte. Im Messerfisch Apteronotus leptorhynchus beobachtete er in den Nervenzellen ein verblüffendes Durcheinander an Chromosomen. Von der Hälfte bis zum Dreifachen der durchschnittlich 22 Chromosomen kam dem Neurologen alles unter. Nur rund ein Fünftel der Zellen trug überhaupt den Standardsatz, wie Zupanc im September 2008 in der Zeitschrift „ Developmental Neurobiology“ schrieb. Die meisten Zellen begnügten sich mit weniger Erbinformation. Fast in jeder zweiten Zelle fehlte sogar mehr als die Hälfte der Chromosomen. Einige trugen nicht den doppelten Satz wie üblich, sondern hielten manche Chromosomen in dreifacher Version bereit.

Der Forscher hält den Fisch keineswegs für einen Sonderling: „ Die zum Teil drastischen Abweichungen im Chromosomensatz, die sogenannte Aneuploidie, dürfte höchstwahrscheinlich in allen Lebewesen vorkommen.“ Sie wurde auch in anderen Knochenfischen beobachtet. Forscher des kalifornischen Scripps Research Institute in La Jolla stolperten bei Mäusen darüber. „Die drastische Aneuploidie ist universell. Jeder von uns ist ein Chromosomenmosaik“, glaubt Zupanc. Das Chromosomenchaos war den Forschern bis dahin entgangen, weil die Zahl der Erbgutträger relativ aufwendig zu bestimmen ist. Gerne übernahmen die Wissenschaftler deshalb die fixen Werte aus der Literatur. „Sie sind jedoch nur Durchschnittswerte der tatsächlichen Chromosomenzahl“, stellt Zupanc klar.

DER KÖRPER TOLERIERT DAS CHAOS

Außerdem nahm man an, dass aneuploide Zellen kurz nach ihrem Entstehen absterben und auf natürliche Weise aus dem Körper ausrangiert werden. Doch Zupanc entlarvte auch diese Theorie als Mär. Die Abweichler unter den Zellen erleiden zwar etwas häufiger einen programmierten Zelltod als die Normalos. Aber er hat bei seinen Fischen beobachtet, dass sich die überlebenden Abweichler zu funktionstauglichen Nervenzellen entwickeln. Sie tun im Fischhirn ein Leben lang ihren Dienst – ganze drei bis vier Jahre lang. Doch warum macht das Chromosomenchaos die Fische nicht krank? Der Genetiker Manfred Schartl vom Würzburger Biozentrum hat zusammen mit Lissabonner Kollegen jetzt zumindest eine Erklärung dafür gefunden, weshalb ein dreifacher Chromosomensatz niederen Wirbeltieren nichts ausmacht. Während Menschen beispielsweise mit einem dreifachen Chromosom 21 an Down-Syndrom leiden, kennen Fische nichts dergleichen. Am Karpfen Squalius alburnoides fiel Schartl auf, dass der Fisch eine der drei Kopien einfach stilllegt. Die überschüssigen Gene werden nicht mehr abgelesen und bleiben ohne Folgen. Diese Fehlerkorrektur ist bei Säugern und dem Menschen im Laufe der Evolution abhanden gekommen, mutmaßten die Autoren im Oktober 2008 im Fachblatt „ Current Biology“.

ELEGANTE GEN-STEUERUNG

Zupanc will indes der ausgeprägten Aneuploidie nichts per se Krankmachendes anlasten: „Warum sollte ein Phänomen krankhaft sein, das wir in der Mehrzahl der Zellen finden? Vermutlich ist das Verändern der Chromosomenzahl bei der Zellteilung eine elegante Methode, um zu steuern, welche Gene in eine neue Zelle kommen.“ Indem zum Beispiel ein Teil der Chromosomendubletten bei der Zellteilung über Bord geht, verschwinden auf einen Schlag Tausende Gene. Ihre Baupläne für Eiweißstoffe wandern in den Orkus. Das könne sich positiv auswirken, meint der Forscher, wenn einige der Eiweißstoffe zuvor Schaden angerichtet haben.

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Das Down-Syndrom führt laut Zupanc nur dann zu geistiger und körperlicher Behinderung, wenn das Chromosom 21 bereits im frühen Embryo dreifach statt doppelt angelegt wird. Der dreifache Satz findet sich dann in allen Körperzellen. Dieses Übermaß beeinträchtigt die Gesundheit. Es ist in der Tat bekannt, dass die Symptome viel schwächer ausgeprägt sind, wenn das Chromosom 21 nicht in allen Zellen in dreifacher Version vorliegt. Wenn nur sehr wenige Zellen drei Mal die 21 beherbergen, merken die Träger wahrscheinlich gar nichts davon.

Günther Zupancs Fazit: Nur eine eklatante Abweichung von der durchschnittlichen Chromosomenzahl und ihrer üblichen Schwankungsbreite in die eine oder andere Richtung macht krank – bei Fisch wie Mensch. ■

von Susanne Donner

GUT ZU WISSEN: CHROMOSOMEN

Chromosomen beherbergen die Erbinformationen der Lebewesen. Sie bestehen aus Desoxyribonukleinsäure, kurz: DNA. Beim Menschen wie bei Tieren und Pflanzen befinden sich die Chromosomen im Kern jeder Zelle, ob Haut, Muskel oder Herz. Unter dem Lichtmikroskop erinnert ihre Form an eine Wäscheklammer: Ungefähr in der Mitte ist eine Einschnürung. Zu beiden Seiten gehen unterschiedlich lange Arme ab. Allerdings nehmen die Chromosomen diese typische Gestalt nur in einer kurzen Phase während der Zellteilung ein.

Lebewesen verfügen über mehrere unterschiedliche Chromosomen, die jeweils andere Erbinformationen enthalten. Die gesamte Palette bildet den Chromosomensatz. Dieser Satz ist für jedes Lebewesen charakteristisch. Die Erdkröte besitzt 22, der Karpfen 104 und manche Farnarten sogar über 600 Chromosomen – jeweils im Durchschnitt, wie man jetzt weiß. Die bloße Zahl sagt jedoch nichts über den Entwicklungsgrad aus. Der Mensch trägt in seinen regelrecht ausgestatteten (euploiden) Zellen 46 Chromosomen. Dazu zählt das Geschlechts-Chromosomenpaar XY für den Mann und XX für die Frau. Die übrigen Chromosomen liegen bei beiden Geschlechtern jeweils in zweifacher Ausfertigung vor, was als doppelter oder diploider Chromosomensatz bezeichnet wird.

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