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Wie Ägypten Hepatitis C besiegt

Gesundheit|Medizin

Wie Ägypten Hepatitis C besiegt
In Ägypten wurde die Bevölkerung landesweit auf Hepatitis C getestet. (Foto: Ägyptisches Ministerium für Gesundheit)

Wer an Hepatitis C erkrankt, hat gute Chancen die Leberentzündung unbeschadet zu überstehen. Doch die Krankheit kann chronisch werden, vor allem weil sich lange keine Symptome zeigen. Bleibt sie unbemerkt, kann sie nach vielen Jahren zu Leberzirrhose und -krebs führen. In Ägypten war Hepatitis C überdurchschnittlich weit verbreitet. Heute steht das Land kurz davor, das Virus auszurotten. Der Grund: Über 25 Jahre befasste man sich mit der Krankheit, arbeitete Fehler der Vergangenheit auf und reformierte das Gesundheitssystem. Laut der Weltgesundheitsorganisation gilt Ägypten als internationales Vorbild bei der Bekämpfung von Hepatitis C. Die Geschichte eines zähen Kampfs gegen das Virus

In jeder ägyptischen Familie gab und gibt es mindestens eine Person, die an einer Erkrankung der Leber leidet. Eine Ursache dafür war die Wurmerkrankung Schistosomiasis, auch Bilharziose genannt, bei der sich Würmer in die Leber einnisten. In der landwirtschaftlich geprägten Gesellschaft Ägyptens kamen viele Menschen bei ihrer täglichen Arbeit mit Kanalwasser in Berührung, das mit Würmern (Schistosoma) kontaminiert war. Schätzungen von Ärzten zufolge waren in den 1950er-Jahren bis zu 45 Prozent der Bevölkerung – vor allem auf dem Land – von Schistosomiasis betroffen.

Amr Helmy, Professor für Leberchirurgie und ehemaliger Gesundheitsminister des Landes, erklärt: „Zwischen 1950 und 1980 haben sich das Gesundheitsministerium und die Universitätskliniken sehr angestrengt, Schistosomiasis und die damit einhergehenden Komplikationen zu behandeln. Doch dabei haben wir Hepatitis C verbreitet.“ Zu jener Zeit war das Hepatitis-C-Virus, kurz HCV, noch unbekannt. Es wurde erst 1989 entdeckt.

„Viele Jahre lang wurde Schistosomiasis durch die intravenöse Verabreichung von Brechweinstein (Kaliumantimonyltartrat) behandelt“, so Helmy. „Damals verwendeten wir in der Regel gläserne Spritzen, aber die Sterilisationsmethoden für medizinische Instrumente waren suboptimal. So verbreiteten wir Hepatitis C. Vor allem weil die Behandlung mit Brechweinstein für alle Soldaten Pflicht war.“

Krankenhäuser als Hort der Übertragung

Erst eine landesweite Kampagne des Gesundheitsministeriums im Jahr 2008 hatte die Ursache des Problems identifiziert – dass das Gesundheitssystem für die Verbreitung des Virus sorgte. Damals wurde auch erstmals bekannt gegeben, wie viele Menschen betroffen sind: Bei 15 Prozent der Bevölkerung im Alter von 15 bis 59 Jahren ließen sich HCV-Antikörper im Blut nachweisen. Außerdem zeigte sich, dass die Anzahl der Gesundheitszentren in einer Provinz und die Anzahl der dort infizierten Personen zusammenhingen: Überall, wo Versorgungseinrichtungen ihr medizinisches Besteck nur ungenügend desinfizierten, gab es hohe Infektionsraten.

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Menschen melden sich in einem Krankenhaus zum Hepatitis-C-Test. (Foto: Ägyptisches Ministerium für Gesundheit)

„Die Lösung des HCV-Problems bedurfte einer Reform des gesamten Gesundheitssystems“, erklärt Manal Hamdy, Professorin für pädiatrische Hepatopathie an der medizinischen Fakultät der Ain Shams Universität in Kairo. Neben ihrer Forschung ist Manal seit zwölf Jahren Mitglied des „Nationalen Komitee zur Bekämpfung von HCV“, das dem Gesundheitsministerium angegliedert ist. Um HCV einzudämmen, arbeitete das Komitee an der Bereitstellung von Medikamenten und Therapien zu erschwinglichen Preisen.

„Bis vor wenigen Jahren hatte Ägypten, in Relation zu seiner Bevölkerungszahl, mit circa 200.000 Neuinfizierungen pro Jahr die höchste Infizierungsquote der Welt“, erklärt Hamdy. „Vor allem deshalb, weil ein Mensch mit HCV viele Jahre lang symptomfrei leben kann. Unter Umständen weiß er gar nichts von seiner Erkrankung und trägt so zur Verbreitung des Virus bei.“

Erste Schritte zur Lösung des Problems

Von 2006 bis 2014 richtete das „Nationale Komitee zur Bekämpfung von HCV“ ein landesweites Netz von Gesundheitszentren zur Behandlung von HCV-Patienten ein. Die Zentren wurden digital miteinander verknüpft, um Krankheitsfälle und Behandlungsverläufe zu erfassen. Das Angebot wurde zunächst kaum genutzt und die Heilungschancen betrugen wegen der geringen Wirksamkeit der damaligen Medikamente (Interferon und Ribavirin) nur 50 bis 55 Prozent.

Dennoch machte sich das neue Versorgungsnetz, die Schulung von Ärzten und die elektronische Erfassung der Patientendaten bezahlt. Wahid Dos, Professor der Hepatopathie und Vorsitzender des „Nationalen Komitees zur Bekämpfung von HCV“, erklärt: „Dass Ägypten die HCV-Krise frühzeitig erkannt hatte, wirkte sich sehr positiv auf die Unterstützung und Solidarität internationaler Organisationen und großer Pharmaunternehmen aus. Diese entwickelten erfolgreich hocheffektive Therapien gegen HCV, die 2014 auf den Markt kamen.“ Sobald die neuen Behandlungsmethoden verfügbar waren, konnten diese rasch über das bestehende Netzwerk implementiert werden.

Durchschlagendes Medikament zu kleinem Preis

Die neuen Medikamente kamen einem Wundermittel gleich. Insbesondere für jene Patienten, die die Hoffnung auf Heilung von der Viruserkrankung und ihren Folgen wie Leberzirrhose, Leberkarzinom und Leberversagen bereits aufgegeben hatten. Studien zeigten, dass die Wirksamkeit des Medikaments bei über 90 Prozent liegt und in nur drei Monaten erreicht ist. Hinzu kommt, dass die Medikamente zu Hause eingenommen werden können.

„Unsere größte Herausforderung damals waren die hohen Preise der neuen Medikamente“, erinnert sich Wahid Dos. „Eine einzelne Tablette wurde international für 1000 US-Dollar gehandelt. Zu diesem Preis war es unmöglich, die Medikamente nach Ägypten zu holen. Doch nach langen Verhandlungen konnten sie in Ägypten zu nur einem Prozent des Weltmarktpreises angeboten werden.“ Die Details der Verhandlungen sind nicht bekannt. Aber vermutlich ergab sich für die Pharmaunternehmen eine attraktive Chance: Sie konnten das Medikament flächendeckend in Ägypten einsetzen und so eine der größten Post-Market-Studien durchführen. Davon profitierte auch Ägypten.

Mediziner reisten auch per Bus in die ländlichen Provinzen, um dort Tests durchzuführen. (Foto: Ägyptisches Ministerium für Gesundheit)

2015 ergab die landesweite HCV-Kampagne, dass im Durchschnitt nur noch fünf Prozent der Bevölkerung mit HCV infiziert waren. Das war eine gute und eine schlechte Nachricht zugleich: Laut der letzten Bevölkerungsstatistik hat Ägypten ungefähr 100 Millionen Einwohner, das heißt circa fünf Millionen Menschen tragen HCV in sich. Ergebnis der Kampagne war, dass zwei Millionen von ihrer Infektion wussten. Sie wurden bis Ende 2017 behandelt. Ungefähr drei Millionen Menschen ahnten aber vermutlich nichts von ihrer Erkrankung. Nun ging es darum, diese Personen ausfindig zu machen.

Imam Waked ist Professorin der Hepatopathie am Nationalen Leberinstitut in Menoufia, einer ländlichen Provinz im Nildelta mit hohen HCV-Infektionsraten. Sie erklärt: „Obwohl die HCV-Kampagnen sehr aufwendig sind, lohnen sie sich. Wenn Menschen nach und nach ihre Arbeitskraft verlieren, sich schließlich aus der Gesellschaft zurückziehen, und die Folgen der HCV-Erkrankung behandelt werden müssen, ist das viel teurer als Früherkennung und schnelle Behandlung.“

Suche nach drei Millionen HCV-Infizierten

Ungefähr ein Jahr später begann die nächste landesweite HCV-Kampagne mit dem Ziel, alle Menschen mit HCV über 18 Jahren ausfindig zu machen. Das bedeutete, Blutproben von etwa 55 Millionen Menschen zu analysieren. Hierfür wurden in allen 28 Provinzen des Landes drei zeitlich versetzte Projektphasen durchgeführt: In den ersten Provinzen begann die Kampagne im Oktober 2018 und in den letzten Provinzen wird sie bis Ende April 2019 abgeschlossen sein.

Gleichzeitig führte man Schnelltests durch. Wie Wahid Dos erklärt, kann eine Blutprobe einfach, schnell und günstig auf HCV-Antikörper untersucht werden. Ist das Ergebnis positiv, wird noch ein RNA-Test gemacht, um festzustellen, ob der Patient immer noch HCV-infiziert ist oder ob die Antikörper von einer früheren, bereits geheilten Infektion herrühren. An mehr als 5000 Krankenhäusern, medizinischen Zentren und Krankenversicherungen des Landes fanden jüngst Untersuchungen statt.

Niedrige Kosten der Analyse und Behandlung

Imam Waked schätzt, dass sich die Kosten einer Analyse auf ungefähr 10 Ägyptische Pfund belaufen, das sind umgerechnet 45 Eurocent. Die Kosten einer dreimonatigen Behandlung fielen damit von 6000 Ägyptischen Pfund (270 Euro) im Jahr 2014 auf 700 Ägyptische Pfund (32 Euro) im Jahr 2018. Die Kosten konnten gesenkt werden, weil der Staat 20 Pharmaunternehmen aufforderte, generische oder ähnliche Medikamente zur HCV-Therapie zu entwickeln. Und der Wettbewerb drückte den Preis.

Nach Jahrzehnten der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Einbußen, die Millionen von Ägyptern erlitten haben, gibt es nun für viele Menschen Hoffnung. Heute existiert ein erfolgreiches Netzwerk aus Forschern, dem Gesundheitssystem, Pharmaunternehmen, politischen Entscheidungsträgern und Vereinigungen für Patientenrechte, und sie alle haben ein gemeinsames Ziel: HCV bis 2020 auszurotten.

Ashraf Amin ist Leiter des Wissenschaftsressorts der ägyptischen Zeitung Al-Ahram. Sein Artikel erscheint im Rahmen eines Austauschprogramms für Wissenschaftsjournalisten aus Ägypten und Deutschland. Der Austausch ist Teil des Projekts „Scientific Storytelling“ des Goethe-Instituts. Das Projekt wird durch das Auswärtige Amt gefördert. Weitere Informationen finden Sie auf www.goethe.de/dialogundwandel

Quellen:
Esmat et al., „One Step Closer to elimination of Hepatitis C in Egypt“, The Lancet Gastroenterology & Hepatology, Okt. 2018
A. Elsharkawy et al., „Planning and prioritizing direct-acting antivirals treatment for HCV patients in countries with limited resources: Lessons from the Egyptian experience“, Journal of Hepatology, April 2018
A. El-Akel et al., „National treatment program of hepatitis C in Egypt: Hepatitis C virus model of care“, Journal of Viral Hepatitis, Feb. 2017

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