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Wie wurde das Menschengehirn so groß?

Gesundheit|Medizin

Wie wurde das Menschengehirn so groß?
Gehirn
Das große Gehirn macht uns Menschen einzigartig. Aber welche Gene liegen dem zugrunde? (Grafik: Fiddes et al./Cell)

Wir Menschen haben ein im Verhältnis zum Körper ungewöhnlich großes Gehirn – dies gilt als Basis unserer Intelligenz. Doch was ermöglichte das Hirnwachstum bei unseren Vorfahren? Eine mögliche Antwort könnten nun Forscher in unserem Erbgut gefunden haben: Sie identifizierten eine Genfamilie, die nur bei uns Menschen aktiv und besonders stark entwickelt ist. Der sogenannte NOTCH2NL-Cluster steuert die Entwicklung von Hirnzellen aus Stammzellen und könnte daher einer der Treiber für das Hirnwachstum des Menschen sein.

Wir teilen 99 Prozent unserer Gene mit unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Und auch in der Aktivität vieler Gene sowie im Veralten und Aussehen sind uns die Menschenaffen ziemlich nah. Doch ein Merkmal unterscheidet uns: das Gehirn. Im Laufe der Entwicklung von den letzten gemeinsamen Vorfahren von Menschenaffe und Mensch zu unseren vor- und frühmenschlichen Urahnen erlebte unser Denkorgan eine dramatische Größenzunahme. „Unsere Gehirne wurden durch die Erweiterung bestimmter funktionaler Areale der Großhirnrinde dreimal so groß“, erklärt David Haussler von der University of California in Santa Cruz, Leiter einer der beiden jetzt veröffentlichten Studien. „Das ist eines der Merkmale, die uns zu Menschen macht.“ Was den äußeren Anstoß für dieses Hirnwachstum gab – ob eine reichhaltigere Ernährung, das komplexere Sozialverhalten oder andere Faktoren, ist umstritten. Noch rätselhafter aber war bisher, wie diese Größenzunahme biologisch-genetisch vonstattenging.

Einzigartig menschliche Genfamilie

Jetzt haben gleich zwei Forscherteams eine mögliche Erklärung dafür gefunden. Das Team um Haussler hatte für ihre Studie die Genexpression im Gehirn von Menschen und Makaken verglichen und dabei besonderes Augenmerk auf die Regulation der neuronalen Stammzellen gelegt. Es zeigte sich: Eine ganze Genfamilie, der sogenannte NOTCH2NL-Komplex, war zwar in menschlichen Gehirnzellen aktiv, nicht aber bei den Affen. Auch bei Orang-Utans, Schimpansen und Gorillas fand sich nur eine verkürzte, inaktive Version dieser Genfamilie. Nähere Untersuchungen enthüllten, dass diese Gene erst im Laufe der Menschheitsentwicklung vor rund drei bis vier Millionen Jahren dupliziert und repariert wurden und damit ihre volle Funktionsfähigkeit erlangten. Nach der Abtrennung unserer Vorfahren von den Neandertalern wurde NOTCH2NL dann noch zwei weitere Male dupliziert, wie die Forscher berichten.

Das Interessante daran: Die NOTCH-Gene gelten als Schlüsselfaktoren für das Organwachstum bei nahezu allen Tieren einschließlich des Menschen. Es war daher durchaus naheliegend, dass eine bestimmte Familie dieser Gene für das Hirnwachstum wichtig ist. Ob das stimmt, hat das zweite Forscherteam untersucht. Pierre Vanderhaeghen von der Freien Universität Brüssel und seine Kollegen hatten zunächst in embryonalem Hirngewebe ebenfalls nach spezifisch menschlicher Genaktivität gesucht. Dabei stießen sie auf 35 Gene, darunter viele aus der NOTCH2NL-Familie.

Mehr Kopien – größeres Gehirn

„Angesichts der enormen Bedeutung des NOTCH-Signalweges während der Neurogenese vermuteten wir, dass die NOTCH2NL-Gene als artspezifische Regulatoren der Hirngröße fungieren könnten“, sagt Vanderhaeghen. Um die Funktion dieser Gengruppe zu überprüfen, pflanzten die Forscher Mäuseembryos menschliche NOTCH2NL-Gene ein und beobachten, wie sich dies auf die Hirnentwicklung auswirkte. Und tatsächlich: Die Zahl der Neuronen-Vorläuferzellen im Gehirn der Tiere stieg deutlich an. In Kulturen menschlicher Hirnstammzellen machten die Wissenschaftler dann den Gegentest: Sie entfernte diese Gengruppe aus dem Erbgut einiger Zellen und ließen sie zu Organoiden heranwachsen. Es zeigte sich: Ohne NOTCH2NL entwickelten sich die Protohirne zwar schneller, blieben aber klein.

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Zusammen mit den Ergebnissen unserer Kollegen spricht dies dafür, dass die mehrfache Duplizierung der NOTCH2NL-Gene und die typisch menschliche Ausstattung mit dieser Genfamilie Schlüsselkontrolleure der menschlichen Hirngröße und -funktion sind“, sagt Vanderhaeghen. „Weniger Kopien von NOTCH2NL führen zu geringerer Hirngröße, während mehr Kopien ein Wachstum des Gehirns bewirken.“ Noch allerdings sind einige Fragen offen, wie die Forscher betonen. So ist der genaue Mechanismus noch unbekannt, über den die NOTCH2NL-Gene das Hirnwachstum ankurbeln. Zudem gibt es noch weitere Gene, die eine Rolle spielen könnten: „Spannenderweise gibt es in der gleichen Erbgutregion noch weitere menschenspezifische Gene mit unbekannter Funktion“, sagt Vanderhaeghen. „Es wird interessant sein herauszufinden, ob sie möglicherweise weitere Aspekte der Hirnentwicklung kontrollieren.“

Quellen: Ikuo Suzuki (Université Libre de Bruxelles) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2018.03.067; Ian Fiddes (University of California, Santa Cruz) et al., Cell, doi: 10.1016/j.cell.2018.03.051

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