Ein funktionstüchtiges, dreidimensionales Stückchen Herz: Forschern ist es gelungen, aus induzierten menschlichen Stammzellen Gebilde zu züchten, die als Modell für die oberen Herzkammern dienen können. Das Gewebe zieht sich rhythmisch zusammen, zeigt typische Genaktivität und reagiert auf Medikamente in ähnlicher Weise wie das natürliche Vorbild. Die Gebilde könnten dadurch zur Entwicklung von Therapien bei Vorhofflimmern beitragen, sagen die Forscher.
Der Bedarf an neuen Behandlungsmöglichkeiten ist hoch: Beim sogenannten Vorhofflimmern handelt es sich um die häufigste Form der Ryhtmusstörungen des Herzens: Weltweit sind mehr als 33 Millionen Menschen betroffen – Tendenz steigend. Bei der sogenannten absoluten Arrhythmie kommt es zu einer Beeinträchtigung der Funktion der Vorhöfe des Herzens. Ursache sind gestörte elektrische Aktivierungsimpulse im Herzgewebe, die zu unkoordinierten Kontraktionen führen. Dadurch zuckt der Bereich des Vorhofs „flimmernd“. Die Betroffenen klagen meist über unspezifische Beschwerden wie plötzliche Leistungsabfälle und Müdigkeit. Vor allem problematisch ist jedoch, dass Vorhofflimmern das Risiko für die Entstehung von Blutgerinnseln erhöht, die zu Schlaganfällen oder Herzversagen führen können.
Herausforderung Vorhofflimmern
Leider lassen die bestehende Behandlungsansätze noch viel zu Wünschen übrig: Die sogenannten Antiarrhythmika besitzen nur eingeschränkte Wirksamkeit und können problematische Nebenwirkungen hervorrufen. Wie die Forscher um Marta Lemme vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erklären, liegt dies zum Teil daran, dass es für die Entwicklung neuer Arzneimittel keine guten Testgewebe gibt. Tiermodelle haben eine begrenzte Vorhersagekraft, da die Merkmale menschlicher und tierischer Herzmuskelzellen nicht genau übereinstimmen. Stattdessen menschliche Vorhofkardiomyozyten oder Herzmuskelzellen im Labor zu züchten, hat sich ebenfalls als wenig praktikabel erwiesen: Die Isolierung und künstliche Kultivierung funktioniert schlecht. Das innovative System von Lemme und ihren Kollegen könnte diese Lage nun deutlich verbessern.
Wie die Wissenschaftler berichten, entsteht ihr neuartiges Testmaterial aus sogenannten humanen induzierten pluripotenten Stammzellen (hiPCS). Sie gehen aus menschlichen Haut oder Blutzellen hervor: Durch bestimmte Labortechniken werden die ausgereiften Zellen wieder in einen embryonalen Zustand versetzt, der eine erneute Entwicklung zu Zellen unterschiedlicher Körpergewebe ermöglicht. Dadurch lassen sich letztlich Hautzellen in Herzzellen verwandeln. Durch bestimmte Substanzen ist es zudem möglich, diese Herzzellen derart genetisch zu programmieren, dass sie sich speziell zu den Versionen entwickeln, die das Gewebe der Herz-Vorhöfe bilden, erklären die Wissenschaftler.
Aus Hautzellen werden experimentelle Herz-Vorhöfe
Durch spezielle Kulturtechniken ist es ihnen nun auch gelungen, die reprogrammierten Herzmuskelzellen zur Bildung dreidimensionaler Einheiten anzuregen, die dem Vorhof-Muskelgewebe in entscheidender Weise ähneln. Tests zeigten, dass die Zellen eine entsprechend typische Genexpression aufweisen und sich auch natürlich verhalten: Bei Reizung spannen und entspannen sich die Gebilde rhythmisch. Außerdem reagieren sie auf Arzneistoffe in einer Weise, wie es von Herzmuskelzellen bekannt ist, berichten die Forscher.
„Diese Vorhofmuskelstreifen bieten nun die Möglichkeit, Vorhofflimmern in der Schale zu modellieren und Medikamente zu testen“, resümiert Lemme. „Konkret werden wir nun verschiedene Mittel testen, um experimentelle Arrhythmien auszulösen. Anschließend können wir dann neue potenzielle Arzneimittel testen“, sagt die Wissenschaftlerin. Außerdem wollen die Forscher ihr System noch weiter verbessern, um das Modell dem natürlichen Vorbild immer ähnlicher werden zu lassen.
Quelle: Cell Press, Stem Cell Reports, 10.1016/j.stemcr.2018.10.008