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Kontrovers: Feministische Linguistik

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Kontrovers: Feministische Linguistik
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Das Binnen-I in Aktion. Bild: Emu, wikipedia.org
Sprachregeln wie das Binnen-I, die aus dem Professor eine ProfessorIn machen oder Doppelnennungen wie Präsident/Präsidentin sollen die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft vorantreiben. Doch viele Sprachforscher halten das nicht nur für sinnlos, sondern sogar für kontraproduktiv. Die Gesellschaft könne die Sprache verändern und nicht umgekehrt, argumentieren sie.

„Die Universitätspräsidentin/Der Universitätspräsident ist oberste Dienstbehörde und Dienstvorgesetzte/Dienstvorgesetzter für die Beamtinnen und Beamten der Universität“. Solche Satz-Ungetüme tummeln sich spätestens seit 2001 in den deutschen Gesetzen und Regelwerken. Damals trat das Bundesgleichstellungsgesetz in Kraft, das die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch in der Sprache gewährleisten soll. Was Feministinnen als Fortschritt und Erfolg werteten, wird von anderen Sprachforschern hingegen als kontraproduktiv kritisiert: Solche Doppelnennungen schärften erst die Gegensätze, die sie eigentlich beseitigen wollen, erklärt etwa Wolfgang Klein, Leiter des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen in der Februarausgabe der Zeitschrift „bild der wissenschaft“. Der Sexismus, der eigentlich bekämpft werden soll, werde mit diesen Schreibweisen erst in die Sprache eingeführt.

Das sehen die Vertreterinnen feministischer Sprachreformen freilich anders. Die deutsche Sprache sei männerzentriert und damit frauenfeindlich, argumentieren sie. Wenn von Studenten, Professoren, Politikern oder Demonstranten die Rede sei, so reiche es eben nicht, einfach anzunehmen, die Frauen seien eben mitgemeint. „Die deutsche Sprache ist, wie die meisten Sprachen, ein patriachalisch organisiertes System“, erklärt etwa Luise Pusch in „bild der wissenschaft“. Die Sprachforscherin leitet den Verein für Frauenbiografie-Forschung in Hannover und gilt als eine der engagiertesten Verfechterinnen weiblicher Formen in der Sprache.

Knackpunkt der Diskussion um die männliche und weibliche Bedeutung von Begriffen ist das sogenannte generische Maskulinum, wie Sprachwissenschaftler sagen. Dieses bezeichnet den Fall, bei dem die maskuline Form auch dann verwendet wird, wenn das tatsächliche Geschlecht unwichtig ist oder wenn Frauen und Männer gleichermaßen gemeint sind. Das Maskulinum wird hier als neutralisierend und verallgemeinernd empfunden – so zumindest definiert es der Duden.

Wer also von einem Protestmarsch von zweitausend Demonstranten erzählt, meint damit nicht nur die männlichen Demonstranten, sondern auch die mitmarschierenden Frauen. Wer von den Rechten der Indianer in Nordamerika berichtet, geht nicht davon aus, dass damit nur die Rechte von Männern gemeint sind, sondern schließt die weiblichen Angehörigen dieser Kulturen mit ein. Bei Worten wie Gast oder Mitglied, die keine explizite weibliche Form kennen, tritt das Wesen dieses generischen Maskulinums am deutlichsten zutage. Dennoch tauchen immer wieder Worterfindungen auf wie Mitgliederinnen oder gar Gästinnen – manchmal provozierend gebraucht, manchmal schlichtweg aus sprachlicher Unkenntnis.

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Dieses generische Maskulinum durch alternative Rede- und Schreibweisen zu ersetzen, dafür kämpfen feministische Linguistinnen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Teilerfolge haben sie längst errungen: „Den Professor“, wie vorgeschlagen durch „das Professor“ zu ersetzen, ist zwar nicht geglückt, doch Doppelschreibweisen wie Professor/Professorin oder das bei Stellenanzeigen mehr oder minder beliebte große Binnen-I mit Formulierungen wie „ProfessorIn“ sind ein Folge dieser Bemühungen.

Doch eben diese Fixierung auf die männliche und weibliche Bezeichnung hat erst die Trennung geschaffen, die sie eigentlich beseitigen wollte, kritisieren Psycholinguisten wie Wolfgang Klein. „Früher wäre es mir nicht im Traum eingefallen, Frauen nicht einzubeziehen“, beklagt der Sprachwissenschaftler den daraus resultierenden Niedergang des generischen Maskulinums. Doch die Doppelnennungen unterstreichen jetzt erst, dass ein weiblicher Professor nur eine Professorin sein kann und möglicherweise doch keine Frauen gemeint sein könnten, wenn von Politikern die Rede ist. Die gesellschaftlichen Bedingungen, die dazu führen, werde man durch die Umbenennungen jedoch nicht ändern, merkt Klein in „bild der wissenschaft“ an.

In die gleiche Kerbe schlägt auch Gisela Klann-Delius, Linguistikprofessorin am Institut für Deutsche und Niederländische Philologie der Freien Universität Berlin: Die Sprache sei für gesellschaftliche Probleme weder verantwortlich, noch könne sie diese beheben, erklärt die Forscherin. Jedes Wort besitzt die Bedeutung, die sich geschichtlich herausgebildet hat, und lässt im Kopf das zugehörige Stereotyp entstehen. So ist der Begriff „Koryphäe“ beispielsweise weiblich, und dennoch denken die meisten dabei eher an einen kahlhäuptigen männlichen Gelehrten im Studierzimmer als an eine hochkompetente Wissenschaftlerin.

„Der Gebrauch der Sprache ist ein Spiegel der Gesellschaft – und in dieser Gesellschaft ist der Mann die Norm“, bilanziert Klann-Delius. Von Zwangsmaßnahmen zur Reform der Sprache hält sie dennoch nichts, denn an den wahren gesellschaftlichen Gegebenheiten ändern diese nichts: „Das sind die üblichen Beruhigungsmittel, mit denen Frauenrechtler besänftigt werden.“

ddp/wissenschaft.de – Ulrich Dewald

Bücher: „Die Amtsmännin als Reisegästin“, Artikel in „bild der wissenschaft“, Ausgabe 2/2008, S. 86 Gisela Klann-Delius: „Sprache und Geschlecht – eine Einführung“, Metzler Verlag Stuttgart/Weimar 2005, ISBN 3476103498, 14,95 Euro. Luise Pusch: „Die Frau ist nicht der Rede wert – Aufsätze, Reden und Glossen“, Suhrkamp Taschenbücher 1999, ISBN 3-518-39421-5, 7,50 Euro. ddp/wissenschaft.de – Ulrich Dewald
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