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Das fette Graviton ist tot

Astronomie|Physik Technik|Digitales

Das fette Graviton ist tot
Es passt einfach nichts zusammen: Wir wissen seit fast zehn Jahren, dass die Geschwindigkeit, mit der sich unser Universum ausdehnt, fortwährend zunimmt. Eine naheliegende Erklärung dafür, dass nämlich die treibende Kraft für diese beschleunigte Ausdehnung im Vakuum steckt, stellte sich schnell als die wohl katastrophalste Fehlannahme heraus, die es in der Physik je gegeben hat. Das fette Graviton hätte wieder alles kitten können. Doch ein Experiment eines Physikerteams um Eric Adelberger von der Universität von Washington hat dem fetten Graviton jetzt den Todesstoß versetzt. Der lachende Dritte ist Sir Isaac Newton, dessen Gravitationsgesetz mehr als dreihundert Jahre nach seiner Formulierung einen weiteren Test bestanden hat.

Gemäß der Quantenphysik ist das Vakuum nicht leer, sondern erfüllt von Teilchenfeldern. Diese Teilchenfelder versorgen das Vakuum mit einer bestimmten Energie. Die Höhe dieser Vakuumenergie kann man im Prinzip ausrechnen. Dazu muss man wissen, dass die Teilchenfelder genau wie die Saite einer Geige in allen möglichen Frequenzen schwingen können. Eine Geigensaite bringt nicht nur den einen Ton hervor, der der Gesamtlänge der Saite entspricht, sondern auch – im Prinzip unendlich viele – Obertöne. Der erste Oberton entspricht der halben Saitenlänge, der zweite einer drittel Saitenlänge und so weiter.

Will man nun die Höhe der Vakuumenergie ausrechnen, dann muss man die Energien aller Frequenzen der Teilchenfelder zusammenzählen. Eigentlich sind das unendlich viele Frequenzen. Doch genauso wie es bei der Geigensaite nur “im Prinzip” unendlich viele Obertöne gibt, so können auch die Wellenlängen der Teilchenfelder nicht unendlich klein werden. Bei der Geigensaite bricht die Folge der Obertöne spätestens dann ab, wenn die entsprechende Wellenlänge kleiner als der Durchmesser eines Atoms der Saite würde.

Im Vakuum gibt es ebenfalls solch eine natürliche Untergrenze, nämlich die so genannte Planck-Länge. Unterhalb der Planck-Länge unterliegt der Raum selbst starken Quantenschwankungen und weist eine verschwommene, “schaumartige” Struktur auf, in der Längen nicht mehr sinnvoll definiert werden können. Deshalb scheint es naheliegend zu sein, beim Aufsummieren der Energiebeiträge nur die Beiträge zu berücksichtigen, die Wellenlängen oberhalb der Planck-Länge entsprechen. Die gute Nachricht: Man erhält auf diese Weise tatsächlich ein Ergebnis für die Vakuumenergie, das nicht unendlich groß ist – was der Fall wäre, wenn man über unendlich viele Frequenzen summieren müsste.

Doch die schlechte Nachricht folgt auf dem Fuß. Denn mit der Berechnung der Vakuumenergie verfolgten die Physiker ein bestimmtes Ziel: Diese Vakuumenergie sollte eine Erklärung dafür liefern, warum unser Universum sich schneller und schneller ausdehnt. Astronomen entdeckten diese mysteriöse beschleunigte Ausdehnung des Universums im Jahr 1998. Setzt man die mit den Teilchenfeldern berechnete Vakuumenergie in die Gleichungen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie ein, dann erhält man als Resultat tatsächlich ein sich beschleunigt ausdehnendes Universum. Nur: Mit der errechneten Vakuumenergie müsste sich das Universum 10 hoch 120 mal (eine 1 mit 120 Nullen) schneller ausdehnen, als die Astronomen es beobachten! In der Geschichte der Physik gibt es wohl keine theoretische Berechnung, die ein so katastrophal falsches Ergebnis lieferte.

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Rekapitulieren wir noch einmal: Warum hatten die Teilchenphysiker sich dafür entschieden, bei der Berechnung der Vakuumenergie nur die Energien aufzusummieren, die Teilchenfeldern mit Wellenlängen oberhalb der Planck-Länge entsprechen? Nun, weil es naheliegend ist! Wissenschaftlich ausgedrückt: Ein philosophisches Prinzip mit Namen Ockhams Rasiermesser fordert, dass man es in der Wissenschaft erst einmal mit der einfachsten Lösung versuchen soll. Weniger wissenschaftlich könnte man auch sagen: Den Physikern fiel einfach nichts besseres ein.

Raman Sundrum von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore fiel im Jahr 2004 etwas ein, das zumindest hätte besser sein können. Die Stringtheorie, die versucht, alle vier physikalischen Grundkräfte in einer übergreifenden Theorie zu vereinigen, nimmt an, dass alle Elementarteilchen aus schwingenden Fäden bestehen. Insbesondere soll das Graviton – das Teilchen, das die Gravitationskraft überträgt – ein in sich geschlossener “String” sein. Sundrum fragte sich nun: Was spricht eigentlich dagegen, dass das Graviton viel größer ist als man es von einem Elementarteilchen erwarten würde? Seine Antwort: Nichts! Denn erstens ist das Graviton bisher nicht entdeckt worden. Somit gibt es keine experimentellen Ergebnisse, die dieser Annahme widersprechen. Und zweitens gab es bis 2004 keine Gravitationsmessungen bei so kleinen Abständen, dass sie die Existenz eines “fetten Gravitons” hätten aushebeln können.

Aber was wollte Sundrum mit dem fetten Graviton bezwecken? Nun, ein fettes Graviton, das versucht, die Schwerkraft zwischen Objekten zu vermitteln, die weniger weit voneinander entfernt sind als das Graviton “dick” ist, wäre vergleichbar mit einem Bär, der versucht, mit seinen großen Tatzen die Tasten eines Handys zu bedienen – es funktioniert einfach nicht. Das fette Graviton wäre “blind” für alles, was sich in Bereichen abspielt, die kleiner sind als es selbst. Deshalb schlug Sundrum vor, die Größe des fetten Gravitons als Untergrenze für die Wellenlänge zu wählen, bis zu der die Teilchenfelder bei der Berechnung der Vakuumenergie aufsummiert werden.

Freilich tat Sundrum zunächst einmal genau das Umgekehrte: Er ging von dem Wert der Vakuumenergie aus, den die Astronomen benötigen, um die beschleunigte Ausdehnung des Universums zu erklären. Daraus berechnete er, wie groß das fette Graviton sein müsste, damit der richtige Wert für die Vakuumenergie herauskommt. Sein Ergebnis: etwa 85 tausendstel Millimeter.

Nun hat die Existenz eines fetten Gravitons, wie schon angedeutet, aber eine weitere Konsequenz: Sie verändert Newtons dreihundert Jahre altes Gravitationsgesetz bei Abständen unterhalb eben dieser 85 tausendstel Millimeter. Aufgrund der Schwäche der Gravitationskraft und aufgrund großer Störeffekte, die bei solch kleinen Abständen auftreten, war es bisher nicht möglich, das Gravitationsgesetz für einen derartig kleinen Abstand zu überprüfen.

Eric Adelberger und seinem Team ist das nun gelungen. Mit einem Torsionsexperiment, das auf den Prinzipien aufbaut, mit denen Henry Cavendish (1731 bis 1810) die Gravitationskonstante bestimmte, wiesen die Physiker nach, dass Newtons Gravitationsgesetz bis hinab zu einem Abstand von 56 tausendstel Millimeter korrekt ist. Damit ist Sundrums fettes Graviton gestorben. Astronomen und Physiker müssen weiter nach einer Erklärung für die Dunkle Energie suchen, die das Universum auseinandertreibt.

Adelbergers Experiment lieferte ein weiteres Ergebnis: Zusätzliche, “aufgerollte” Raumdimensionen, deren Existenz die Stringtheorie vorhersagt, müssen kleiner als 44 tausendstel Millimeter sein. Für die Stringtheoretiker ist dieses Ergebnis jedoch nicht so tragisch. Denn unterhalb der 44 tausendstel Millimeter ist noch viel Platz für die Extra-Dimensionen.

D.J. Kapner et. al.: Physical Review Letters 98, 021101 (2007) Clive Speake: Nature, Vol. 446, 31 Axel Tillemans
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