Mehr als 300 Millionen Menschen weltweit leiden heute an Asthma – Tendenz steigend. In den Industrieländern ist diese chronische und immunbedingte Entzündung der Atemwege bereits die häufigste Erkrankung bei Kindern. Schon länger weiß man, dass neben einer genetischen Prädisposition vor allem Umwelteinflüsse eine wichtige Rolle für das Asthmarisiko spielen. Als potenziell schützend gegen diese Überreaktion des Immunsystems gilt dabei vor allem die in Ställen und auf Bauernhöfen verbreitete Mikrobenflora. Doch in jüngster Zeit mehren sich auch Hinweise darauf, dass Einflüsse im Mutterleib, bei der Geburt oder direkt danach ebenfalls zum Asthmarisiko beitragen. Dazu gehört der Kaiserschnitt, aber auch Antibiotikagaben und sogar die Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft. Allen diesen potenziellen Einflüssen ist jedoch gemeinsam, dass sie das Mikrobiom des Neugeborenen beeinflussen – die Bakterien, die in und an seinem Körper leben.
Marie-Claire Arrieta von der University of British Columbia in Vancouver und ihre Kollegen haben nun das Wissen um die kritischen Einflüsse im Säuglingsalter deutlich erweitert. In ihrer Studie analysierten sie die Bakterien im Kot von drei Monate alten Säuglingen und verfolgten in den folgenden drei Jahren, ob diese Kinder Ekzeme oder ein pfeifendes Atemgeräusch entwickelten – beides gilt als Indiz für ein erhöhtes Asthmarisiko. Dabei stießen sie auf einen auffallenden Zusammenhang: Die Kinder, die später diese Voranzeiger für Asthma entwickelten, unterschieden sich schon als Säuglinge von ihren Altersgenossen: Die Menge von vier Bakteriengattungen – Faecalibacterium, Lachnospira, Veillonella und Rothia (FLVR) – waren in ihrem Kot und damit auch in ihrem Darm signifikant reduziert, wie die Forscher berichten. Gleichzeitig enthielt der Kot dieser Kinder weniger Acetat. Diese kurzkettigen Fettsäuren sind ein Stoffwechselprodukt der Bakterien und haben sich bereits in Tierversuchen als schützend gegen Asthma erwiesen. Interessanterweise waren diese Unterschiede bei den einjährigen Kindern schon nicht mehr nachweisbar.
Die ersten 100 Tage sind kritisch
Nach Ansicht der Forscher spricht dies dafür, dass nicht nur die Umwelt und die Bakterien der Atemwege wichtig für das Asthmarisiko bei Kindern sind, sondern auch ihre Darmflora in der frühesten Kindheit. “Unserer Ergebnisse sprechen dafür, dass die ersten 100 Tage des Lebens ein kritisches Fenster darstellen, in denen die Darmflora mit dem Risiko von Asthma und Allergien verknüpft ist”, konstatieren die Forscher. Dass es hier tatsächlich einen ursächlichen Zusammenhang gibt, belegten sie mit einem ergänzenden Versuch an Mäusen: Verabreichten sie keimfreien, neugeborenen Mäusen einen Bakteriencocktail aus dem Kot der asthmagefährdeten Säuglinge, reagierten diese auf eine Reizung ihrer Atemwege mit einer starken entzündlichen Reaktion. Bekamen sie vorher jedoch eine Impfung mit den vier FLVR-Bakteriengattungen, blieb die asthmaähnliche Reaktion bei den Mäusen aus.
“Diese Entdeckung eröffnet uns neue Wege, um diese für viele Kinder lebensbedrohliche Erkrankung zu verhindern”, sagt Koautor Stuart Turvey von Children’s Hospital in Vancouver. “Sie zeigt, dass es ein kurzes, rund 100 Tage weites Fenster gibt, in denen wir Babys vorbeugend gegen Asthma behandeln können.” Möglicherweise, so hoffen die Forscher, könnte eine frühe Gabe der fehlenden Mikroben bereits dazu beitragen, die Kinder später vor Asthma zu bewahren. Noch muss dies zwar in Studien überprüft werden. Die Ergebnisse wecken aber die Hoffnung, durch solche und ähnliche probiotische Behandlungen die Entstehung von Asthma und anderen allergischen Erkrankungen verhindern zu können. Zudem könnte eine Analyse der Darmflora bei Säuglingen helfen, schon früh die besonders gefährdeten Kinder zu identifizieren.