… Zum Kernbestand vieler Museumssammlungen gehören Porträts bekannter Persönlichkeiten. Würdige Herren, elegante Damen – sie alle lassen den Museumsbesucher etwas ratlos zurück. Was können uns Porträts mitteilen, außer dass sie ein Konterfei überliefern? Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, was Porträts über Adel und Patriziat, über Herrschaft, Repräsentation und Selbstverständnis auszusagen vermögen.
Das erste Bild, ein Porträt des bedeutenden französischen Hofmalers Hyacinthe Rigaud, stammt aus dem Jahr 1723 und zeigt Graf Konrad Detlev von Dehn, der zu diesem Zeitpunkt Gesandter Herzog August Wilhelms von Braunschweig-Lüneburg an verschiedenen Höfen war. Das Bildnis von stattlicher Größe – es misst 137 mal 105 Zentimeter – wurde vom Herzog für die Bildersammlung des „fürstlichen Lusthauses“ in Salzdahlum in Auftrag gegeben. Heute verwahrt es das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig.
Der Graf, in raumgreifender, herrscherlicher Pose, blickt den Betrachter selbstbewusst und direkt an. Er trägt eine weißgepuderte Allongeperücke und einen blausamtenen Rock mit großen, goldumrandeten Ärmelaufschlägen, dazu einen Kürass (Brustharnisch) und einen Degen. Ein blauer Mantel umflattert ihn dramatisch. Die rechte Hand des Grafen rafft den Mantel, zugleich weist er mit ausge‧strecktem Zeigefinger auf sich selbst. Die linke Hand liegt auf einem Helm mit rotem Federbusch. Im Hintergrund ist eine Säulenarchitektur zu erkennen. Sie symbolisiert Herrschaft und unterstreicht den offiziellen Charakter des Gemäldes.
Herrschaftsarchitektur, kostbare Kleidung einschließlich der imposanten Allongeperücke – die wenig später am Hof aus der Mode kam und nur noch in einigen Amtstrachten überlebte –, Kürass, Helm und Degen sind als adlige Standeszeichen zu werten. Die theatralische Inszenierung der Person unterstützt ihr standesbewusstes Auftreten. Die Rüstungsteile verweisen auf die militärische Bedeutung des Adels insgesamt, besitzen aber in Bezug auf den Grafen eine rein symbolische Bedeutung, denn dieser bekleidete nie eine militärische Position.
Er war vielmehr bereits als Page an den Wolfenbütteler Hof gekommen und hatte, ein ausgesprochener Günstling des Herzogs August Wilhelm, atemberaubend schnell die Karriereleiter erklommen: Als 28-Jähriger wurde der so gewandte wie kluge und kunstsinnige Dehn zum Staatsrat, wenig später zum Geheimrat (also zum Mitglied des obersten Regierungskollegiums bei Hof) ernannt. Einträgliche geistliche Ehrenämter kamen hinzu. 1723 reiste von Dehn als Gesandter des Herzogs nach Versailles, um zur Thronbesteigung des 13-jährigen Ludwig XV. zu gratulieren und die guten Beziehungen des Wolfenbütteler Fürsten zum französischen Hof zu befestigen. Diese Mission, während derer er sich von Rigaud darstellen ließ, kann als Höhepunkt der diplomatischen Laufbahn des Grafen gewertet werden.
So ist das Gemälde zunächst ein Zeugnis des Repräsentationsbedürfnisses eines erfolgreichen, auf internationalem Parkett tätigen Adligen, doch das ist nicht alles. Das zeigt ein Bildelement, auf das uns Jochen Luckhardt, Direktor des Herzog Anton Ulrich-Museums, hinweist: Links im Bild ist nämlich ein goldener Sessel mit Armlehne dargestellt. Nach der Hofetikette in Versailles stand von Dehn ein derartiger Sessel keineswegs zu. Im strengen Hofreglement wurden die Sitzgelegenheiten den Besuchern einer Audienz nach ihrem Rang zugeteilt; Dehn hätte als Envoyé extraordinare, der rangmäßig unter einem Ambassadeur (Gesandter ersten Ranges) und natürlich einem Fürsten stand, lediglich ein Taburett, einen lehnenlosen Hocker, beanspruchen dürfen. Der Lehnsessel zeigt: Graf von Dehn lässt sich hier also zugleich als Stellvertreter seines Herzogs porträtieren.
Dieses war der Diplomat in ganz besonderem Maß. Wie der Germanist Gotthardt Frühsorge darlegt, hatte August Wilhelm 1714 dem damaligen Kammerjunker in einem „unerhörten Akt“ das Recht der „Kontrasignatur“ übertragen. Dadurch erhielt Dehn das Recht, die Verordnungen aller oberen Behörden gegenzuzeichnen und sie damit rechtskräftig zu machen, konnte also den Herzog in allen Regierungsgeschäften uneingeschränkt vertreten – wie der aufmerksame Betrachter auch im Bild erkennen kann…
Dr. Heike Talkenberger/Dr. Marlene P. Hiller