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Am Beispiel lernen

Die Gründungsgeschichte des Victoria and Albert Museum

Am Beispiel lernen
Handwerkern und Kunsthandwerkern grundlegende Kenntnisse in Stil und modernen Techniken zu vermitteln und den Geschmack potentieller Kunden aller Schichten zu schulen – diese Absichten verfolgte ein Museum, für dessen Gründung sich vor allem Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha, der Gemahl Königin Victorias, energisch einsetzte.

Das 19. Jahrhundert war eine Ära der Museumsgründungen. Die neuen Institutionen zur Bewahrung gefährdeter Artefakte, die seit der Französischen Revolution offenkundig notwendig geworden waren, reagierten auf den schnellen gesellschaftlichen Wandel, der alte Lebensformen im Zeitraffer veränderte und europaweit neue Mobilität freisetzte. Die Dynamik des Weltmarkts verlangte neue Formen der Professionalisierung und der Weiterbildung. Doch keine Einrichtung hatte solch nachhaltigen Einfluss und zeugte so zahlreiche Folgeinstitutionen in Europa und darüber hinaus wie das Victoria and Albert Museum (V&A), das weltweit erste Museum für Kunst und Gewerbe oder, wie es im Deutschen heißt, für angewandte Kunst.

Es baute auf früheren Bildungseinrichtungen wie der Government School of Design von 1837 und dem 1852 eingerichteten Museum of Manufactures auf, die mit Blick auf die französische und die deutsche Gewerbekonkurrenz gegründet worden waren. Kaum bekannt ist, dass auch die im Auftrag des preußischen Handelsministeriums seit 1845 im schlesischen Liegnitz von Alexander von Minutoli initiierte „Ausstellung einer Vorbildersammlung für Handwerker und Gewerbetreibende“ – einer nach Sachgebieten gegliederten Mustersammlung von 7000 Objekten – als Vorläufer anzusehen ist (Teilverkäufe daraus begründeten seit 1867 das Gewerbe-Museum in Berlin, das insbesondere Kronprinzessin Viktoria, eine Tochter Prinz Alberts, getreu den Visionen ihres Vaters förderte).

Das Museum of Manufactures war zunächst im Marlborough House nahe dem Buckingham-Palast in Westminster untergebracht, bevor es in Londons Westen verlagert und in South Kensington Museum umbenannt wurde. Die Neugründung, die zum späteren und heutigen V&A führte, sollte zum einflussreichsten Museum der viktorianischen Epoche werden, in Großbritannien und weit darüber hinaus. Zu einer Zeit, da Industrialisierung und Mechanisierung traditionelle Fertigungstechniken von Handwerk und Kunsthandwerk erschütterten, verfolgte man das Konzept, museale Sammlungen zur Förderung der Marktfähigkeit heimischer Produkte einzusetzen – ein Museumsmodell, an dem Prinz Albert erheblichen Anteil hatte; als Präsident der 1754 gegründeten Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (Gesellschaft zur Beförderung der Künste, der Manufakturen und des Handels) besaß er großes Interesse an den gewerblichen Künsten. Unter dem Pseudonym Felix Summerly veröffentlichte der spätere Gründungsdirektor des V&A, Henry Cole, seit 1847 das „Art Manufactures Maga‧zine“ und gab bei Künstlern Entwürfe für Alltagsobjekte in Auftrag. Beide Initiatoren folgten dem Vorbild der Meister der Renaissance: Auch Raf‧faels, Leonardos, Dürers oder Holbeins Entwürfe nützlicher Gegenstände hatten die Allianz von Kunst und Gebrauchskunst befördert.

Die weltweite Verbreitung von Museen war unmittelbares Ergebnis des Erfolgs, den die erste „Weltausstellung“, die „London Exhibition of the Works of Industry of All Nations“ (siehe dazu Seite 26), beim Publikum erzielt hatte. Gewerbliche Erzeugnisse vieler Nationen waren erstmals miteinander in Wettbewerb getreten, neueste industrielle Erfindungen und innovative Produktionsformen hatten mehr als sechs Millionen Besucher begeistert. Der kommerzielle Erfolg der Great Exhibition hatte es den Veranstaltern nicht nur ermöglicht, zahlreiche Ausstellungsexponate anzukaufen, sondern auch, Grundbesitz in South Kensington zu erwerben. Dort sollte „Albertopolis“, Londons erstes Kulturforum, realisiert werden.

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Mehr als 30 Museen wurden bis 1912 nach dem Vorbild des V&A gegründet, so etwa in Bombay (dem heutigen Mumbai; 1855), in Edinburgh (1860), Paris (Musée des Arts Décoratifs; 1864), Wien (Museum für Kunst und Industrie; 1864), Berlin (Gewerbe-Museum; 1867), Rom (1872), Budapest (1872), Brünn (dem heutigen Brno; 1873), Oslo (1876), Zagreb (1880), Prag (1884), Kopenhagen (1890), Washington (1897) und Toronto (1912). Heute zählt das V&A mit einem 2,76 Millionen Objekte umfassenden Bestand, der 2 000 Jahre universaler Kunstentwicklung abdeckt, als Leitfossil zu den weltgrößten Museen für Kunst und Gewerbe.

Fast alle Errungenschaften heutiger Museologie haben ihre Wurzeln in den revolutionären Neuerungen des V&A. So nahm es – wie zuvor bereits die Government School of Design – auch Schülerinnen auf. Das didaktische Konzept sah vor, dass britische Kunsthandwerker ihre Fertigkeiten an europaweit erworbenen Objekten und Sammlungen schulen sollten. Zu diesem Zweck kaufte man als wichtig erachtete Kunstwerke auf. Zugleich ermöglichten neuartige Reproduktionstechniken, dass Besucher ihre Kenntnisse mit Hilfe von Mu‧seumskopien (Gips, Elektrotypien, Elfenbeinimitaten) erweitern konnten. Frühe Gipskopien aller Stile und Pe‧rioden stellte die Londoner Firma Brucciani her. Der erste Katalog der Gipsabgüsse erschien 1854. 1861 kaufte das Museum eine Muster‧kollektion von 3 000 Gipsformen an, die Steinmetze für das neu zu errichtende Westminster Parliament angefertigt hatten. Reproduktionen byzantinischer und mittelalterlicher Elfenbeintafeln, mit Hilfe der Galvanotechnik hergestellte Nachbildungen gotischer Plastik und Bronzereliefs der Renaissance beeinflussten die Entwicklung der modernen britischen Skulptur. Mit Kopien zu arbeiten bedeutete eine radikale Wende in der Wertschätzung von Originalen…

Dr. Marie-Louise Gräfin von Plessen

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