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Auf dem Weg zum Nationalkrieg

1870/71. Der Wandel des Krieges

Auf dem Weg zum Nationalkrieg
Die öffentliche Meinung in Europa setzte 1870 ganz auf einen französischen Erfolg. Doch Preußen war sehr viel besser auf diesen Krieg vorbereitet als die Großmacht im Westen. Den größten Schwierigkeiten sahen sich die deutschen Truppen paradoxerweise nach dem Sieg von Sedan gegenüber.

Als im Sommer 1870 der Krieg ausbrach, galt unter den meisten internationalen Auguren Frankreich als Favorit für den Sieg. Unter Kaiser Napoleon III. war das Land zur stärksten Militärmacht auf dem europäischen Kontinent aufgestiegen und knüpfte damit scheinbar an die großen Zeiten Napoleons I. an. Im Krim-Krieg (1854–1856) hatte man mit britischer Unterstützung sogar das mächtige Russland besiegt. 1859 gelang im italienischen Einigungskrieg ein militärischer Triumph über Österreich. Auch wenn in der Folgezeit einige diplomatische Misserfolge eingefahren wurden, so galt die französische Armee doch noch immer als modern, bestens bewaffnet, gut ausgebildet und gut geführt. Im Vergleich dazu erschien die Armee Preußens, der traditionell kleinsten europäischen Großmacht, weniger beeindruckend. Auch die Siege in den vorangegangenen Jahren, 1864 über Dänemark und 1866 über Österreich, änderten an dieser Einschätzung wenig. Denn wer war schon Dänemark? Und Österreich schien ohnehin aufs Verlieren abonniert zu sein.

Wie so oft lagen auch diesmal viele Experten falsch. In Preußen hatte sich nämlich seit der gescheiterten Revolution von 1848 eine Menge verändert. Das Land befand sich in einem rasanten Aufstieg zum Industriestaat. Der Wirtschaftsaufschwung spülte viel Geld in die bis dahin klammen Staatskassen. Dieses Geld wurde auch zur Modernisierung und Aufrüstung der Armee verwendet. Die innenpolitisch heftig umstrittene Heeresreform des Kriegsministers Albrecht von Roon stürzte den Staat zwar in eine Verfassungskrise, aber die positiven Effekte hinsichtlich der Stärke der Armee waren nicht zu leugnen. Preußen setzte die seit 1814 geltende allgemeine Wehrpflicht in größerem Maßstab um und baute das stehende Heer aus. Da gleichzeitig die Bevölkerung Preußens wuchs, wurde die Armee zahlenmäßig erheblich verstärkt.

Parallel dazu wurden organisatorische Reformen durchgeführt. Besonders wichtig war die zunehmende Bedeutung des Generalstabs, der unter seinem Chef Helmuth von Moltke 1866 auf Befehl König Wilhelms I. die Leitung des Feldheers übernahm. Damit sollte eine einheitliche und kontinuierliche oberste Führung durch Fachleute etabliert werden, die bereits im Frieden Aufmarsch- und Operationspläne entwarf und Einfluss auf die Truppenausbildung nahm. Der Ausbau von strategischen Eisenbahnlinien und die Vorbereitung des Aufmarschs durch die Eisenbahnabteilung des Generalstabs ermöglichten eine schnelle Truppenkonzentration im Kriegsfall. Auch auf taktischem und operativem Gebiet wurde reformiert. Angesichts der steigenden Feuerkraft moderner Armeen befürwortete Moltke eine Kombination aus operativer Offensive und taktischer Defensive. Der Gegner sollte zu Frontalangriffen gezwungen werden, was ihm zwangsläufig schwere Verluste zufügen würde. Der dann erfolgende Gegenangriff würde den Sieg auf dem Schlachtfeld bringen.

Die neue Militärmacht Preußens entfaltete im Krieg von 1866 zum ersten Mal ihre volle Wirkung. Nicht nur, dass die Preußen alle Gefechte gewannen, sondern sie siegten auch bei Königgrätz in der größten Schlacht des 19. Jahrhunderts. Moltkes Konzept ging weitgehend auf. Vor allem das Zündnadelgewehr, die Waffe der Infanterie, erzielte durchschlagende Wirkung. Mit diesem Hinterlader konnte der Soldat im Liegen schießen, was ihn selbst schützte und seine Treffgenauigkeit erhöhte. Obendrein konnte er häu‧figer schießen als seine mit Vorderladern bewaffneten Gegner. Bei Königgrätz erzielte die preußische Infanterie auf diese Weise entscheidende Erfolge. Doch in dieser Schlacht trat auch die Schwäche der preußischen Feldartillerie zutage. Von 1866 an wurde daher hektisch auf die Stahlrohrgeschütze der Firma Krupp umgerüstet, die sich 1870/71 als ausschlaggebender Vorteil erweisen sollten.

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Der Sieg von 1866 brachte Preußen einen erheblichen Zuwachs an Territorium und an Bevölkerung, was sich natürlich auf die militärische Stärke des Landes positiv auswirkte. Zudem wurden nun auch die verbliebenen anderen deutschen Staaten zu Verbündeten. Diese Staaten (vor allem Bayern, Baden, Württemberg und Sachsen) reformierten ihre Armeen nach preußischem Vorbild, so dass diese vereint eine stattliche Streitmacht darstellten. Die in allen deutschen Staaten eingeführte allgemeine Wehrpflicht ermöglichte im Sommer 1870 die Mobilisierung von fast 1,2 Millionen Mann. 462000 Soldaten wurden bis Anfang August, ausgerüstet mit allem Material, an die französische Grenze verlegt. Sie marschierten in drei Armeen auf. Moltke, der die operative Führung übernahm, rechnete mit einer französischen Offensive, die unter Umständen den Aufmarsch gefährden konnte. Doch diese Offensive kam nie.

Die französische Armee war denkbar schlecht auf den Krieg vorbereitet. In den Jahren zuvor hatte zwar auch sie einige Reformen und Verstärkungen erlebt. Aber insgesamt blieb sie hinter der Aufrüstung östlich des Rheins zurück. Zahlenmäßig konnte die französische Berufsarmee mit den deutschen Wehrpflichtigenarmeen nicht Schritt halten. Theoretisch konnte Frankreich etwa 560000 Mann aufbieten. Die quantitative Unterlegenheit wurde auch kaum durch eine bessere Ausbildung der Berufssoldaten ausgeglichen. Vor allem aber erwies sich die französische Armeeorganisation als Desaster. Die Führung war uneins und verfügte über keine klaren Vorstellungen, wie dieser Krieg zu führen sei. Für eine Großoffensive nach Deutschland hinein hoffte die politische Führung auf die Unterstützung Österreichs, Dänemarks und womöglich der süddeutschen Staaten. Doch nichts dergleichen geschah. Die Süddeutschen standen sogar fest an der Seite Preußens. So erwies sich die Großoffensive als unmöglich. Eine kohärente Defensivstrategie fehlte ebenfalls.

Noch schlimmer aber war die Tatsache, dass der französische Aufmarsch im Chaos endete. Die widersinnige Organisation trieb groteske Blüten. Elsässische Reservisten mussten mitunter zuerst zu ihren Truppenteilen nach Nordafrika reisen, ehe sie im Osten Frankreichs in die Kämpfe eingreifen konnten. Ausrüstung, Munition und andere Versorgungsgüter erreichten die ihnen zugewiesenen Verbände nicht oder mit großer Verspätung, weil sie in anderen Teilen Frankreichs gelagert wurden. Die Bahnen waren vollständig überlastet, während auf den Bestimmungsbahnhöfen sich das Material stapelte, da die Lagerkapazitäten fehlten. So kam es, dass Anfang August nicht einmal 300000 schlecht ausgerüstete und mangelhaft versorgte Soldaten an der Grenze standen. Moltke konnte sein Glück nicht fassen…

Literatur: Michael Howard, The Franco-Prussian War. The German Invasion of France, 1870–1871. London 1961. Dennis Showalter, The Wars of German Unification. London 2004. Matthias Steinbach, Abgrund Metz. Kriegserfahrung, Belagerungsalltag und nationale Erziehung im Schatten einer Festung 1870/71. München 2002. Dierk Walter, Preußische Heeresreformen 1807–1870. Militärische Innovation und der Mythos der „Roonschen Reform“. Paderborn 2003. Geoffrey Wawro, The Franco-Prussian War. The German Conquest of France in 1870 –1871. New York 2003. Wencke Meteling, Ehre, Einheit, Ordnung. Preußische und fränzösische Städte und ihre Regimenter im Krieg 1870/71 und 1914-19. Baden-Baden 2010.

Prof. Dr. Stig Förster

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