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Bauwerk der Unmenschlichkeit

Der Bau der Berliner Mauer

Bauwerk der Unmenschlichkeit
Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 zementierte nicht nur die deutsche Teilung, er beschwor die letzte große Propagandaschlacht zwischen den ideologischen Systemen herauf: „Bauwerk der Unmenschlichkeit“ für die einen, „antiimperialistischer Schutzwall“ für die anderen.

Aus seiner Sicht hatte Ronald Reagan bei seinem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland 1984 nachvollziehbare Gründe, nicht nur mit Bundeskanzler Helmut Kohl zusammenzutreffen, sondern auch mit Conrad Schumann. Wie Reagan selbst, der in früheren Jahren Hollywood-Schauspieler gewesen war, war ja auch Conrad Schumann in der westlichen Welt ein Medienstar. Im Gegensatz zum US-Präsidenten war er dies allerdings ungewollt geworden: Conrad Schumann war der Held des berühmtesten Bildes des Kalten Krieges, er war jener Grenzsoldat, der, zur Bewachung der die Mauer errichtenden Bauarbeiter eingeteilt, am 15. August 1961 mit einem kühnen Sprung über den Stacheldraht in den Westen geflohen war. Noch während der Errichtung der Mauer wurde es „das Foto“ schlechthin, wenngleich es damals eine ganze Reihe von Bildern gab, welche die Dramatik der Ereignisse ähnlich eindrucksvoll dokumentierten. Man denke nur an die sich gegenüber stehenden sowjetischen und us-amerikanischen Panzer, an aus dem Fenster springende oder sich mittels Bettlaken abseilende Menschen in der Bernauer Straße, an zugemauerte S-Bahn-Stationen oder an jenen 9-jährigen Schüler, der auf seinem täglichen Schulweg aus einer Enklave ein Kilometer vom Stadtrand Westberlins von einem britischen Schützenpanzerwagen eskortiert wurde.

Kein Foto jedoch transportierte überzeugender Ideologie und Selbstverständnis des Westens als Conrad Schumanns „Sprung in die Freiheit“, keins führte das Ulbricht-Regime zugleich entlarvender vor. Selbst der gemeine Soldat – so seine Botschaft –, per Fahneneid zum Dienst auf seinen Staat eingeschworen und verpflichtet, ein Garant seines Bestehens zu sein, erträgt diese Anordnungen seiner Befehlshaber nicht. Er handelt spontan und unter Lebensgefahr. Daß er noch im Sprung den Stacheldraht des verhaßten Systems niedertritt, hätte kein Regisseur glaubwürdiger inszenieren können. Und weil das Foto selbst so schnell Starcharakter bekam, wurde es für seinen Fotografen Peter Leibing eine zweischneidige Sache: Einerseits verschaffte es ihm noch Jahrzehnte später so manches Zubrot, andererseits auch eine juristische Auseinandersetzung um seine Urheberschaft – ein Kollege, der neben ihm stand, wollte es aufgenommen haben.

Eines aber konnte diese auf so spektakuläre Weise geglückte Flucht über die Mauer gerade nicht wiedergeben: das ganze Ausmaß des Leidens an ihr. Das vermochten nur Fotos gescheiterter Fluchtversuche, welche die Opfer von Schießbefehl und Todesstreifen zeigten und damit immer zugleich Anklage erhoben. Schon in den Tagen ihrer Errichtung waren Menschen an der Mauer zu Tode gekommen, innerhalb eines Jahres etwa 30 Personen. Doch waren viele der Opfer unbekannt, die Umstände ihrer Flucht unklar oder schlecht dokumentiert. Da starb am 17. August 1962 – über ein Jahr nach ihrer Errichtung – der Bauarbeiter Peter Fechter. Von Kugeln getroffen blieb er im Mauerschatten liegen und verblutete, obwohl man ihm von Ostseite aus hätte helfen können. Vom Westen aus hielten Kameraaugen sein Sterben in allen Phasen fest, das Verhalten der Grenzer, den Abtransport der Leiche. Erst mit Peter Fechter fand Mauerheld Schumann sein tragisches Gegenstück, erst Fechter wurde „das“ Maueropfer schlechthin, erst beide zusammen dokumentierten fortan die Spannweite menschlicher Schicksale am „Bauwerk der Unmenschlichkeit“. Natürlich immer vor dem Hintergrund der Meta-Ikone „Stacheldraht“. Dieses Zeichen konnte weltweit von niemandem mißdeutet werden: Unabhängig von Lebensalter, Bildungsgrad und Kultursystem war „Stacheldraht“ das Äquivalent für Willkürherrschaft, Menschenverachtung, Gefängnis oder gar Konzentrationslager. Wo immer nach dem 13. August – ob in Wochenschau, Fernsehen, Zeitung oder Broschüre – Bilder der Grenze durch Berlin gezeigt wurden, das Zeichen „Stacheldraht“ durfte nicht fehlen.

Es verwundert nicht, daß mit dem Bau der Mauer auch mancher „Zeremonienmeister“ dieser das Ulbricht-Regime so delegitimierenden Bilder auf den Plan trat. Schon in den 50er Jahren hatten sie sich als Spezialisten für ähnliche Aufgaben – oft im Auftrag eines Bundesministeriums – einen Namen gemacht und antikommunistische Propaganda betrieben. Zu nennen sind hier etwa der Volksbund für Frieden und Freiheit (VFF) oder die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Nun, nach der zementierten Teilung der beiden deutschen Staaten bekam ihr Tun einen quasi-offiziellen Charakter. In der „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ sowie im späteren „Haus am Checkpoint Charly“ entstanden Institutionen, die das Unrecht an der Mauer durch Ausstellungen im öffentlichen Bewußtsein auf Jahre hinaus verankerten und lebendig hielten.

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Dr. Dirk Schindelbeck

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