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Das Ende der alten Ordnung

Schiller als Historiker – „Wallenstein“

Das Ende der alten Ordnung
Schillers „Wallenstein“, ein Stück an der Schwelle vom Ancien régime zu einer höchst fragwürdigen Moderne, handelt von Schuld und Verrat, von Machtstreben und Eigennutz. Entsprechend widersprüchlich ist die Interpretation seiner Protagonisten.

Eines Abends, mitten im Dreißigjährigen Krieg, geht es im festlich erleuchteten Saal des Schlosses zu Pilsen hoch her: Wallenstein hat seine Generalität versammelt, man tafelt ausgiebig, und als das Fest sich seinem Höhepunkt nähert, werden die Generäle aufgefordert, einen Eid auf Wallenstein zu schwören, mit dem sie sich ihm gegenüber zur Gefolgschaft verpflichten – im Gegenzug zu Wallensteins Bereitschaft, weiter bei der Armee zu verbleiben. Wallenstein hatte nach Kränkungen durch den kaiserlichen Hof beschlossen, des Kaisers Dienste zu verlassen, hat sich dann aber den Bitten der Generäle gefügt, und nun sollen diese ihm Treue schwören, sofern es der dem Kaiser geleistete Eid erlaube.

Man hat die 70. Flasche geleert, nun soll unterschrieben werden. Alle folgen der Aufforderung, bis auf einen: Max Piccolomini, der die Unterschrift verweigert, weil er irgend etwas Unrechtes ahnt; ein anderer erkennt, daß die zuvor gezeigten Blätter vertauscht wurden und mit denen, die jetzt vorliegen, nicht übereinstimmen: Von der dem Kaiser gegebenen Eidesformel steht nichts mehr da. Betrug ist offenbar geschehen, „vor Tisch war ein gewisser Vorbehalt und eine Klausel drin, von Kaisers Dienst“, die jetzt fehlt.

Octavio Piccolomini, einer der Wallensteinschen Generäle, weiß, was das bedeutet: Hochverrat. Wallenstein will sich nicht nur vom Kaiser lossagen, sondern das Heer mitnehmen; so meint er sich am kaiserlichen Hof zu rächen, der ihn schlecht gehalten und behandelt hat. Aber andere im Heer sehen, was hier gespielt wird, und jeder merkt: Hier will sich jemand absolut setzen, will uneingeschränkter Herrscher über ein Heer sein, das eigentlich des Kaisers ist. Wallenstein, der bislang als Kriegsheld erschienen war, gerät in ein trübes Licht: Ist er zum Verräter geworden?

So lesen wir es in Schillers Wallenstein-Drama. Schiller hat die berühmte Bankettszene ziemlich genau der Geschichte nachgeschrieben, hat seine Quellen sorgfältig studiert – obwohl das Studium im strengen Sinne kein Quellenstudium war, da er sich nur an die allgemein zugängliche Geschichtsliteratur hielt. Das ist freilich insofern verständlich, als Schiller seine „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ ja nicht für ein wissenschaftliches Publikum schrieb, sondern sie zunächst im „Historischen Kalender für Damen“ veröffentlichte.

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In der Geschichtsliteratur fand er Quellenzitate, die er in seine historische Darstellung einbaute. So läßt sich nur von einem indirekten Quellenstudium sprechen; dennoch setzte Schiller sich mit der seiner Meinung nach unbefriedigenden Wallenstein-Literatur seiner Zeit auseinander und kritisierte sie. Sein eigentliches Ziel: „die geheimen Triebfedern“ des Wallensteinschen Handelns „mit historischer Zuverlässigkeit zu erkennen“. Er interessierte sich für Wallensteins Charakter. Schiller hat in seiner „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ zwar auch die diversen Schlachten beschrieben, die Bewegungen der Heere verfolgt und die Kriegstopographie so lückenlos wie möglich ausgebreitet, hat Zahlen genannt, was Fußvolk und Reiterei anging, aber schon damals galt sein Interesse eigentlich den Heerführern, und nach Gustav Adolfs frühem Tod blieb nur Wallenstein.

Aber: Wer war das? Auch der Historiker wußte es nicht. Er sei, so Schiller, „ein gleich undurchdringliches Geheimnis für Freund und Feind“ gewesen. Wallensteins Charakter sei widersprüchlich, „und die Widersprüche, in die er sich nachher verwickelte, machten, daß man endlich ganz und gar an ihm irre ward. Indem er die Schweden in sein Bündnis zu ziehen suchte und ihnen sogar ihre besten Truppen abforderte, äußerte er …, daß man damit anfangen müsse, die Schweden aus dem Reiche zu verjagen … aller Glaube an seine Wahrhaftigkeit verschwand, und endlich glaubte man in seinem ganzen Benehmen nichts als ein Gewebe von Betrug und niedrigen Kniffen zu sehen, um die Alliierten zu schwächen und sich selbst in Verfassung zu setzen“. Das Betrugsmanöver in Pilsen: der Wendepunkt in Wallensteins Geschichte. Von da an geht es abwärts, unaufhaltsam, bis zu seinem Tod, den er nicht von anderen, sondern von eigenen Leuten erleidet. Das Rad der Fortuna, es neigt sich nach unten, und Wallenstein kann tun und lassen, was er will: Er fällt.

Der Historiker hat in seiner „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ sein Wissen so umgesetzt, daß eine spannende Geschichtserzählung daraus entstanden ist – Schiller berichtet so, als sei er selbst dabeigewesen; dem Geschichtsschreiber ist die Faszination anzumerken, die Wallensteins Schicksal bei ihm auslöste. Am Ende fand der Historiker Schiller zu einer einzigartigen Formel, um Leben und Tod des Herzogs zu erklären: „So fiel Wallenstein, nicht weil er Rebell war, sondern er rebellierte, weil er fiel“. Und er setzte hinzu: „Ein Unglück für den Lebenden, daß er eine siegende Partei sich zum Feinde gemacht hatte – ein Unglück für den Toten, daß ihn dieser Feind überlebte und seine Geschichte schrieb“.

Der Dramatiker ist dem im großen und ganzen gefolgt – mit allerdings einigen kleinen, aber entscheidenden Veränderungen. Nicht Wallenstein selbst ist es, der den Treueid auf sich verlangt, sondern es sind einige seiner Anhänger; so wird er von der Schuld, einen Verrat zu begehen, wenigstens teilweise befreit. Aber Wallenstein bleibt ein Rätsel, und Schiller tut alles, um ihn in seiner Rätselhaftigkeit auf die Bühne zu bringen. Obwohl er anfangs gar nicht selbst auftritt, wird schon in den Berichten und Schlachtenerzählungen seiner Solda?ten etwas spürbar von seiner grenzenlosen Macht über andere. Es ist der Glanz seiner Persönlichkeit, sein Charisma, das alle verführt, blendet, besiegt. Wallenstein hatte unendliches Kriegsglück, keine Kugel konnte ihm etwas anhaben. Er segelt auf dem Schiff der Fortuna, und im Augenblick segelt er noch hoch vor dem Wind. Aber er hat auch mit dem Teuflischen zu tun, dessen ist sich einer der Jäger nur zu gewiß. Und dann seine unheimlichen Prophetien, aus den Sternen bezogen, das graue Männlein, das ihn besucht: Auch etwas von der unheimlichen Aura um Wallenstein wird schon deutlich, vom sich immer wieder verdunkelnden Glanz, von den Irritationen, die von ihm ausgehen.

Es muß dieses Zweideutige gewesen sein, das Schiller zunehmend gereizt hat. Wallenstein ist jenseits von Gut und Böse, oder besser: Er ist beides zugleich. Ein mächtiger Herr, mit magischer Gewalt über die Menschen ausgestattet; er läßt niemanden kalt. Er polarisiert die Welt in Anhänger und Feinde, aber er bleibt jedem, Freund und Feind, ein Rätsel. Er scheint alles zu durchschauen – nur ihn durchschaut man nicht. Er selbst glaubt sich dem Jupiterstern und der Venus zugehörig, die den tückischen Mars, den alten „Schadenstifter“, isolieren und ohnmächtig machen.

In der Tat, Wallenstein hat etwas Jupiterhaftes an sich, es ist seine Gottgleichheit, wie sie das Lager sieht, und das gibt ihm, so meint er, seine nachtwandlerische Sicherheit. „Wer möchte / Mein Leben mir nach Menschenweise deuten?“ fragt er und gibt selbst die Antwort: Niemand vermag das. Doch er ist bei allem Draufgängertum ein Fatalist, traut den Sternen mehr als den Menschen – und doch auch ihnen am Ende nicht, als ihre Konjunktion bedrohlich wird und die Gestirne seinen Untergang verkünden. Wallenstein ist der Schrecken der Bauern, der Schrecken auch des Kaisers – und doch von Schwermut und Zweifelsucht geplagt, umwölkt von Melancholie, ein endlos Zaudernder, einer, der die Tat bedenkt und dann vor ihr zurückschreckt, der sich in seinen selbsterdachten Plänen verfängt. Er, dessen Soldaten die Freiheit hochleben lassen, die sie unter ihm haben, weiß am besten, daß es einen freien Willen nicht gibt. „Saturnus’ Reich ist aus“, sagt er, aber es ist eigentlich Wallensteins Reich, mit dem es aus ist. Denn er ist eine saturnische Existenz, das Saturnische ist in ihm, tief, als Zweifelsucht, als Unberechenbarkeit und als das verträumte Zögern, das ihn immer stärker beherrschen wird. Saturnische Melancholie umfängt ihn, das Brütende und Ungewisse, auch das Richtungs- und Steuerlose. Sein eigentlicher Feind ist unsichtbar – er wohnt in seiner eigenen Brust.

Schon in „Wallensteins Lager“ war etwas spürbar geworden von der Bedrohlichkeit der politischen Situation: von Wallensteins Unwillen zur Subordination, von der Spannung in der Beziehung zum kaiserlichen Hof in Wien; von Verschwörung ist die Rede und von Wallensteins Selbstherrlichkeit. Ein Ungewitter zieht über ihm herauf. Seine Gegenspieler haben seinen Sturz schon beschlossen, und so wird er denn isoliert, eingegrenzt, immer stärker umgarnt, von den Wankelmütigen und den Glücksrittern unter seinen Gefolgsleuten verlassen und schließlich umgebracht. Wallensteins Untergang – ein Weltenende. Der Schluß dieses Dramas gehört zu den großartigsten Schlüssen in der deutschen dramatischen Lite?ratur. Was bleibt, ist Unsicherheit – nicht nur über Wallensteins Charakter, sondern auch über die Fragen, die sein Handeln und sein Tod aufwerfen. War er ein Verräter? Das ist schon für den Historiker eine zentrale Frage, denn einerseits war ihm der Verrat letztlich nicht nachzuweisen, andererseits war er auch nicht völlig davon freizusprechen.

Wallenstein rebellierte gegen den Kaiser aus Gründen, die nicht recht durchsichtig sind. Er war die einzige Hoffnung des Kaisers, und war zugleich seine größte Bedrohung: Wallenstein drohte vom Kaiser abzufallen und am Kaiser zum Verräter zu werden, und mehr noch: Er drohte, sich mit den Schweden zu verbünden, und wir wissen nicht recht, warum. War er den Krieg leid, wollte er ein Friedensfürst sein? Wollte er seine eigene Macht vergrößern, da er wußte, daß der Kaiser auf ihn und sein Heer angewiesen war, wollte er immer mehr haben, aus unbezähmbarer Ehrsucht, war er ein unverläßlicher Partner, ein schwieriger Charakter, des Glückes abenteuerlicher Sohn und der Länder Geißel, wie es schon im Prolog zu Schillers Drama heißt, oder war er ein Freiheitsverkünder, der sich gegen die Herrschaft des Kaisers auflehnte und damit gegen die Macht einer tyrannischen Kirche? Wollte Schiller ein Signal in Richtung auf die Französische Revolution hin geben (daß dem absolutistischen Staatsanspruch, der Herrschaft des Ancien régime ein Ende bereitet werden müsse), oder ist Wallenstein nur jemand, der sich heimlich mit den Schweden verbündet und der seine Generäle betrügt, weil er sie etwas anderes unterschreiben läßt als das, was ihnen vorgelesen war?

Insubordination, Befehlsverweigerung, Ungehorsam: Das Militär hat dafür harte Strafen. Wenn Wallenstein sich darüber hinaus gegen Treu und Glauben vergeht, als Rebell jede Ordnung in Frage stellt, dann wird er zum irrationalen Despoten, dann ist er alles andere als ein Vertreter der Humanität, nämlich im Grunde genommen nichts mehr als ein Emporkömmling, der höchst Irdisches haben möchte: Besitz, Macht, Geltung.

Aber es geht nicht nur darum, daß Wallenstein möglicherweise zum Verräter geworden ist – das Thema des Verrats zieht weitere Kreise. Schon in der „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ stellte sich auch die Frage, ob seine Generäle nicht Verräter an Wallenstein wurden, da sie sich auf Geheiß des kaiserlichen Hofes gegen ihn, gegen ihren Feldherrn, verbündeten. Das alles sind keine lebensfernen Situationen – der Aufstand der Offiziere am 20. Juli 1944 ist die erschreckende Parallele im 20. Jahrhundert: Auch da ging es um Gehorsam, Eid und die moralische Notwendigkeit, den Eid zu brechen, Verrat zu üben aus Gründen der Pflicht, der Menschlichkeit. Alles das muß die Gestalt Wallensteins noch rätselhafter erscheinen lassen, als sie ohnehin schon ist.

Die Kaisertreuen oder diejenigen, die sich als solche verstehen, haben im Grunde genommen keine Wahl: Sie müssen den Verräter Wallenstein ihrerseits verraten. In der „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ hat Schiller die Situation der Kaisertreuen unter den Anhängern und Gefolgsleuten Wallensteins prägnant geschildert: „Man hatte die Wahl zwischen Verräterei und Pflicht, zwischen dem rechtmäßigen Herrn und einem flüchtigen, allgemein verlassenen Rebellen; wiewohl der letztere der gemeinschaftliche Wohltäter war, so konnte die Wahl doch keinen Augenblick zweifelhaft bleiben. Man verbindet sich fest und feierlich zur Treue gegen den Kaiser, und diese fordert die schnellsten Maßregeln gegen den öffentlichen Feind. Die Gelegenheit ist günstig, und sein böser Genius hat ihn von selbst in die Hände der Rache geliefert. Um jedoch der Gerechtigkeit nicht in ihren Arm zu greifen, beschließt man, ihr das Opfer lebendig zuzuführen, und man scheidet voneinander mit dem gewagten Entschluß, den Feldherrn gefangen zu nehmen. Tiefes Geheimnis umhüllt dieses schwarze Komplott.“

Wo ist gut, wo ist böse, wo ist Gerechtigkeit, wo Rache, wo Hybris und wo Friedenssehnsucht? Wallenstein: Verräter oder Friedensfürst? Schiller läßt uns, was sein Drama angeht, im dunkeln, aber in seiner „Geschichte des dreißigjährigen Kriegs“ kommt er zu einem Standpunkt, der einem Freispruch vom Vorwurf der Verräterei relativ nahe kommt: „Durch Mönchsintrigen verlor er zu Regensburg den Kommandostab und zu Eger das Leben; durch mönchische Künste verlor er vielleicht, was mehr war als beides, seinen ehrlichen Namen und seinen guten Ruf vor der Nachwelt. Denn endlich muß man zur Steuer der Gerechtigkeit gestehen, daß es nicht ganz treue Federn sind, die uns die Geschichte dieses außerordentlichen Mannes überliefert haben; daß die Verräterei des Herzogs und sein Entwurf auf die böhmische Krone sich auf keine streng bewiesene Tatsache, bloß auf wahrscheinliche Vermutungen gründen. Noch hat sich das Dokument nicht gefunden, das uns die geheimen Triebfedern seines Handelns mit historischer Zuverlässigkeit aufdeckte, und unter seinen öffentlichen, allgemein beglaubigten Taten ist keine, die nicht endlich aus einer unschuldigen Quelle könnte geflossen sein. Viele seiner getadeltsten Schritte beweisen bloß seine ernstliche Neigung zum Frieden; die meisten andern erklärt und entschuldigt das gerechte Mißtrauen gegen den Kaiser und das verzeihliche Bestreben, seine Wichtigkeit zu behaupten. Zwar zeugt sein Betragen gegen den Kurfürsten von Bayern von einer un?edlen Rachsucht und einem unversöhnlichen Geiste; aber keine seiner Taten berechtigt uns, ihn der Verräterei für überwiesen zu halten. Wenn endlich Not und Verzweiflung ihn antreiben, das Urteil wirklich zu verdienen, das gegen den Unschuldigen gefällt war, so kann diese dem Urteil selbst nicht zur Rechtfertigung gereichen.“ Also kein Verräter, jedenfalls nicht von Anfang an – aber einer, der dann zum Verräter wird. Und dennoch, das sagt Schiller ja in aller Deutlichkeit, rechtfertigt nichts das Urteil, das ihn des Verrates schuldig spricht.

Man ist sich denn auch immer uneins geblieben. Es gibt deutliche Stimmen für Wallenstein; sie argumentieren, daß sein Denken gegen das Überlieferte gerichtet sei, gegen die geltende Ordnung, die er nicht anerkenne, im Gegensatz zu seinem Gegenspieler Octavio Picco?lomini, der sich als ein Verteidiger der Ordnung enthülle, als Vertreter des eigentlich erstarrten Lebens, des Förmlichen. Wallenstein aber ver?achte das und denke an lebendiges Leben; dahinter verberge sich eine Erfahrung der Geschichtlichkeit, die neu sei, und Wallenstein sei ein Vertreter dieses Neuen und wolle das ewig Alte nicht anerkennen. Seine Pläne seien von der Idee des Friedens bestimmt, von der Vorstellung eines neuen Reiches, das er sich wie zu den Zeiten Vergils als ein Friedensreich erträumte. So sei er auch nicht untreu geworden, sondern er habe über die erstarrte Konvention hinauswollen und deswegen Bilder eines neuen Lebens entworfen. Auch dazu gab es eine Gegenrede: Wallensteins Blickfeld werde immer enger, er sehe nur noch das Nächste, was zu tun sei. Vor allem enthalte seine Lebenssicht nicht die Idee eines neuen Lebens, zumal bei Schiller mit keinem Wort davon die Rede sei; man könne aus dem Haß gegen das Alte noch kein Eintreten für die Sache eines neuen Lebens erschließen. Diese Argumentation, die Wallenstein schuldig spricht, beruft sich darauf, daß den Klassikern nichts verhaßter gewesen sei als die Nichtachtung von Treu und Glauben – Wallenstein gerate also schon deswegen ins Zwielicht, weil er in Frage stelle, was nicht in Frage zu stellen sei. Er nehme zwar die Chance wahr emporzu?kommen, aber das Ende des Dramas lehre, daß der Weltordnung wieder zur Geltung verholfen werde und sich die Nemesis erfülle. Wallenstein gerate dadurch ins Zwielichtige, ja, er werde schließlich moralisch ins Unrecht gesetzt; er sei ein irrational-despotischer Revolutionär und bleibe ein Emporkömmling, der vornehmlich nach Besitz, Macht und Geltung strebe – und das verurteile das Drama eindeutig. Wer hat recht? Beide, keiner, jeder ein bißchen? Lesen wir das Drama unvoreingenommen, dann müssen wir sagen, daß Schiller keine rechte Antwort auf die Fragen seiner Zeit hatte. Die Restauration: Sie betrieb ein frag?würdiger Vertreter, als Octavio Piccolomini zum Fürsten erhoben wurde. Aber Zukunft hatte sie nicht. Und das Reich des Friedens? Wallenstein suchte es vergeblich zu verwirkli?chen. Unsere Sympathie ist auf Wallensteins Seite, und dennoch bleibt er die dunkle Gestalt, eine Figur am Ende eines Zeitalters, nicht am Beginn eines neuen. Wir werden Schillers Drama wohl am ehesten gerecht, wenn wir es als Stück an einer Zeitenwende, einer Übergangszeit ansehen, am Ende des 18. Jahrhunderts, des sicheren und stabilen, und zugleich am Beginn des 19. Jahrhunderts, des unsicheren, das, wie Jacob Burckhardt einmal gesagt hat, ein Jahrhundert der Revolution werden sollte. Mit der Französischen Revolution begann für Schiller eine höchst fragwürdige Moderne, endete die alte Ordnung der Dinge, und eine neue war nicht in Sicht. Auch davon kündet das Drama.

Prof. Dr. Helmut Koopmann

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