Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Das Ende der „guten Leute“

Montségur 1244

Das Ende der „guten Leute“
Die Burg Montségur wurde fürdie verfolgten Katharer im wörtlichen Sinne zu einem „sicheren Berg“. Doch im März 1244 fiel auch diese letzte Bastion in die Hände der päpstlichen Inquisitoren. Da die „Ketzer“ nicht in den Schoß der Kirche zurückkehren wollten, wurden sie noch an Ort und Stelle auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Innerhalb weniger Tage hatte sich alles verändert. In ihrer Jugend hatte Arpais de Péreille auf der Burg Mont?ségur („sicherer Berg“) am Nordhang der östlichen Pyrenäen glückliche Tage verlebt. Ihr Vater Raymond war der Herr des Berges, seine Ritter und Dienstleute umgaben ihn. Selbst für Arpais und ihre beiden Schwestern waren Kammerfrauen da. Ihre Großmutter Forneira besaß weitere Ländereien in der Umgebung, in Lavelanet und in Péreille, dem Stammsitz der Familie. Auf Montségur empfing die Dame ihre Glaubensgenossen, wandernde Frauen und Männer, die sich „gute Leute“ nannten und als „Vollkommene“ überall großes Ansehen genossen. Oft geleiteten Arpais’ Vater und Onkel diese Vollkommenen auf ihren Reisen im Schatten der Pyrenäen. Regelmäßig kamen Menschen aus der Umgebung auf den Berg, manchmal sogar aus Toulouse oder Albi, um einen der Vollkommenen an das Bett eines Sterbenden zu rufen, damit er ihm die Seelentaufe („Consolamentum“) spende. Eine solche „Taufe“ hatte Arpais mit eigenen Augen mehr als einmal in den Häusern auf dem Montségur miterlebt. Schließlich hatten sich ihre Großmutter, ihre Schwester Esclarmonde und – nach der Geburt ihres Bruders, des einzigen Sohnes und Stammhalters der Familie – auch ihre Mutter als Vollkommene der priesterlichen Elite der okzitanischen Katharer angeschlossen. Während die Männer in ihrer Familie als Lehnsleute des Grafen von Foix den unwirtlichen Felsen zu einem Herrschaftszentrum des okzitanischen Adels ausbauten, sorgten die Frauen dafür, daß der Montségur mehr und mehr auch zum geistlichen Mittelpunkt des Katharertums wurde.

Jetzt, es war der 18. März 1244, befand sich Arpais als Gefangene in den trostlosen Mauern der Festung Carcassonne, gemeinsam mit vielen Dutzend Bewohnern der Burg und des Dorfes Montségur. Ihre Wärter standen im Sold der päpstlichen Inquisitoren. Die Erinnerungen an die vergangenen Tage verstärkten ihre Qual. Ihre Mutter, die jüngere Schwester und die bewunderte Großmutter waren tot, verbrannt auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Ebenso die Mehrzahl derer, die als Vollkommene das Herz des okzitanischen Katharertums gebildet und auf dem Mont?ségur Zuflucht vor den Kriegswirren gesucht hatten. Ihr Ehemann, ihr Vater und ihr Bruder sahen ohne Hoffnung auf Wiedergewinnung ihrer früheren Stellung im Gefängnis einem Prozeß wegen Begünstigung der Ketzerei entgegen.

Aber hätte sie dies nicht voraussehen können? Waren nicht in den letzten Jahren immer mehr schlechte Nachrichten aus Toulouse und der fernen Provence bis in die Bergeinsamkeit des Montségur vorgedrungen? Wann hatten sich die ersten Wolken über Arpais’ Welt zusammengebraut? Bei ihrer Geburt in den Jahren vor 1200 standen die Katharer in der Blüte ihres Ansehens im Land. An den Höfen des okzitanischen Adels sangen die trobadors und predigten die Vollkommenen. Arpais hatte als Kind ihre Eltern und Großeltern darüber sprechen hören, daß selbst der mächtige Graf Raymond von Toulouse, der Oberlehnsherr aller Gebiete zwischen Pyrenäen und Seealpen, eine Katharerin geheiratet habe: Béatrice de Béziers, die Tochter des Vizegrafen von Carcassonne.

Im Alltag der okzitanischen Dörfer, Burgen und Städte waren Katholiken und Katharer oft in derselben Familie zu finden, durch Heiraten, Geschäfte und Lehnsverhältnisse vielfältig und friedlich miteinander verbunden. Arpais heiratete im Alter von 15 oder 16 Jahren den Ritter Guiraut de Rabat aus der Nachbarschaft. Auch er entstammte einer okzitanischen Adelsfamilie, die, stolz auf die Unabhängigkeit von den katholischen Königen Frankreichs bedacht, offen ihre Sympathien für die Katharer zeigte.

Anzeige

Die ersten Jahre ihres Lebens hatte Arpais in Lavelanet und bei ihrer Großmutter in Péreille zugebracht. Der Montségur stand kalt und ehrfurchtgebietend über den Dörfern der Tabe. Die verfallenen Mauern auf seiner Spitze gehörten zum Familienbesitz. Man erzählte sich, die Festung sei einst in der Zeit des großen Kaisers Karl gegen die Mauren jenseits der Berge errichtet worden. Dann, es war der Sommer des Jahres 1204, war der katharische Diakon von Mirepoix zu ihrem Vater nach Péreille gekommen. Er bat ihn darum, die Festung auf dem Montségur wieder instand setzen zu lassen und darin seinen Glaubensgenossen Unterschlupf zu gewähren. Der Montségur sollte für die umherziehenden Vollkomme?nen zum „sicheren Berg“ werden.

Durch großzügige Spenden der zahlreichen adligen Anhänger der Katharer, unter ihnen auch Forneira de Péreille, wurde der Ausbau rasch vorangetrieben. Die Burg wurde von einem mächtigen Bergfried und einer Ringmauer beherrscht, deren Reste noch heute den Eindruck der Uneinnehmbarkeit hinterlassen. Der Aufstieg zum Burgtor in über 1200 Metern Höhe war nur von einer Seite aus auf einem schmalen und gefährlichen Grat möglich. Alle anderen Seiten sind durch steil abfallende Felsklippen geschützt. Eine dreifache Mauer versperrte im 13. Jahrhundert den Heraufziehenden den Weg, im Osten war auf einem Vorsprung zusätzlich ein Graben gezogen worden.

Der Besuch aus Mirepoix war als Vorbote künftigen Unheils gekommen. Anlaß zur Besorgnis boten zu dieser Zeit Neuigkeiten aus dem fernen Rom. Mit Papst Innozenz III. hatte ein junger und energischer Papst den Stuhl Petri bestiegen. Immer ungeduldiger forderte er Graf Raymond VI. von Toulouse und den katholischen Klerus in Okzitanien auf, die Bewegung der Katharer aufzuhalten. Seit dem Frühjahr 1204 waren zwei päpstliche Legaten aus dem nahe gelegenen Zisterzienserkloster Fontfroide im Land unterwegs, um Verbündete im Kampf gegen die Katharer anzuwerben. Während Graf Raymond taktierte, da er den offenen Konflikt mit Rom scheute, machte sich der katharische Diakon von Mirepoix nach Péreille auf. Was würde geschehen, wenn sich Raymond schließlich doch gegen die Katharer im eigenen Land stellte? Wenn er um der eigenen Herrschaft willen dem Drängen Roms und seines katholischen Onkels, König Philipps II. August von Frankreich, nachgab? …

Dr. Jörg Oberste

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

Os|teo|ly|se  〈f. 19; Med.〉 Abbau, Auflösung von Knochengewebe [<grch. osteon … mehr

Gy|nä|ko|sper|mi|um  〈n.; –s, –mi|en; Biol.〉 Samenzelle, die ein X–Chromosom enthält [<grch. gyne, … mehr

Sin|fo|nik  〈f. 20; unz.; Mus.〉 oV Symphonik 1 Lehre von der sinfonischen Gestaltung … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige