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Das Geheimnis der Leiden unter dem Schleier

Frauen in der klösterlichen Heilkunde

Das Geheimnis der Leiden unter dem Schleier
Das Wirken Hildegards von Bingen (1098–1179) prägt bis heute unsere Vorstellung von der Bedeutung heilkundiger Klosterfrauen für die mittelalterliche Medizin. Darüber hinaus finden sich auch in zeitgenössischen Schriftquellen nur spärliche Hinweise zu diesem Thema. Sie vermögen den Schleier nur wenig zu lüften, der die Krankheiten und die heilkundliche Behandlung der Konventualinnen vor der Außenwelt ebenso verbarg wie die frommen Frauen selbst.

Es sind vor allem Wunderberichte, in denen der Umgang mit den kranken Schwestern schemenhaft erkennbar wird. Aus den Ausführungen des gelehrten Mönchs Beda (um 673–735) über die Umbettung der Gebeine der heiligen Ediltrudis in seiner „Kirchengeschichte des englischen Volkes“ ergibt sich ein eher unerwartetes Bild. Gequält von einer großen Geschwulst unter ihrem Kiefer, war Ediltrudis im Jahr 679 gestorben. Bis zu ihrem Tod hatte sie als Äbtissin dem von ihr gegründeten Kloster Ely in Ostanglien vorgestanden. Mit ihrer Frömmigkeit und Demut war sie ein Vorbild für die Klostergemeinschaft gewesen. Mehr noch, ihre Jungfräulichkeit hatte Ediltrudis selbst während ihrer Ehe mit dem northumbrischen König Ecgfrith (670–685) stets bewahrt.

Ihrem untadeligen Lebenswandel entsprechend, hatte sie angeordnet, in einem schlichten Holzsarg inmitten der bereits verstorbenen Schwestern begraben zu werden. Als ihre Nachfolgerin 16 Jahre später das Grab öffnen ließ, um die Gebeine der frommen Klostergründerin in einen steinernen Sarg umzubetten und an einen würdiger erscheinenden Ort in der Kirche zu überführen, geschah Beda zufolge ein Wunder: „Als der Leichnam der frommen Jungfrau und Braut Christi aus dem geöffneten Grab ans Licht gebracht wurde, fand man ihn so unversehrt vor, als sei sie am gleichen Tag gestorben.“

Vor dem Hintergrund seines Wunderberichts geht der Geschichtsschreiber ausführlich auf die todbringende Erkrankung der Äbtissin und die Versuche zu deren Heilung ein. Keine heilkundige Klosterfrau hatte Ediltrudis behandelt, sondern ein männlicher Arzt namens Cynefrith. Der Geschichtsschreiber verrät nichts über dessen Herkunft oder soziale Stellung. Die Benediktsregel räumt der Pflege kranker Mitbrüder breiten Raum ein. Entsprechend gab es in den benediktinischen Klöstern und auch denen anderer Orden nicht nur eine eigene Krankenabteilung, das Infirmarium, sondern auch speziell mit Pflegediensten beauftragte Brüder und Heilkundige.

Es mag sich bei Cynefrith daher angesichts des klösterlichen Umfelds um einen Mönch gehandelt haben, doch ebensogut kann er ein Laie gewesen sein. Daß zahlreiche Laien bereits vor dem Niedergang der sogenannten Klostermedizin im 12. Jahrhundert als Heilkundige wirkten, ist hinlänglich bekannt. So berichtet schon Gregor von Tours (538/39–593) von einem Leibarzt des Merowingerkönigs Chilperich I. (561/567–584) namens Marileif. Marileifs Vater war der Schilderung des Chronisten zufolge ein Leibeigener gewesen, der in den kirchlichen Mühlen arbeitete. Brüder, Vettern und die übrigen Verwandten des Heilkundigen waren in den herrschaftlichen Küchen und Bäckereien tätig.

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Zurück zu dem Bericht Bedas über Ediltrudis: Die Geschwulst unter dem Kiefer habe der Äbtissin, so der Geschichtsschreiber, große Schmerzen in Kiefer und Hals bereitet. Wenngleich sie seinen Ausführungen zufolge ihr Halsleiden mit Freuden ertrug und dieses als Zeichen des Himmels wertete, versuchten die Schwestern, ihrer Äbtissin in den letzten Lebenstagen doch Linderung zu verschaffen. Sie ließen Cynefrith kommen und trugen ihm auf, die Geschwulst aufzuschneiden, damit die nach zeitgenössischer Auffassung schädliche Flüssigkeit her?auslaufe. Zwei Tage lang fühlte sich Ediltrudis besser. Nachdem am dritten Tag jedoch der Schmerz stärker als je zuvor zurückgekehrt war, starb die Frau. Als ihr Grab geöffnet wurde, war auch Cynefrith wieder zugegen. So sah der Arzt auch, daß selbst die Wunde, die sein Schnitt verursacht hatte, nahezu verheilt war.

Unter den Wunderberichten, die für die Heiligsprechung König Ludwigs IX. von Frankreich (1226–1270) zusammengetragen wurden, findet sich die Schilderung von der wunderbaren Heilung einer Ordensschwester namens Clementia aus der Zisterzienserabtei Lys (Département Seine-et-Marne). Mehr als 20 Jahre lang litt die Nonne an einer entzündlichen Augenerkrankung, die ihr Äußeres offenbar stark entstellte. Ihre Mitschwestern fürchteten, die Krankheit sei ansteckend. Clementia war deshalb nicht im Infirmarium, sondern isoliert untergebracht.

Die Nonne versuchte zunächst, die offenbar vereiterten Fistelgänge auszudrücken und so ihre Beschwerden selbst zu kurieren. Schließlich wurde ein männlicher Wundarzt hinzugezogen. Erfolglos bemühte sich dieser, das Leiden mit einer Kräutertherapie zu behandeln. Clementias Beschwerden wurden immer stärker. War zunächst nur ein Auge von der Entzündung betroffen gewesen, so weitete sich diese im Dezember des Jahres 1278 auf das zweite Auge aus. Die Zisterzienserschwester drohte zu erblinden. Nun ersuchte sie ihre Äbtissin um das Reliquienkästchen mit der Geißel und dem Büßerhemd König Ludwigs, die das Kloster verwahrte. Die Oberin willigte ein. Die Kranke stellte den Kasten an ihrem Bett auf. In der Nacht hörte sie eine Stimme, die ihr auftrug, zum Grab des heiligen Ludwig nach Saint-Denis zu pilgern. Nur dort könne sie von ihrem Leiden geheilt werden. Erst nach langem Zögern gestattete die Äbtissin der Kranken, das Kloster zu verlassen und sich auf die Reise zu begeben. Am Grab Ludwigs ereignete sich nun das Wunder von Clementias Heilung. Während die Kranke in stiller Andacht verharrte, verschwand ihr Leiden.

Die beiden zu unterschiedlicher Zeit und an unterschiedlichen Orten entstandenen Berichte legen die Frage nahe, ob es sich bei den geschilderten Behandlungsversuchen von Klosterfrauen durch männliche Heilkundige um Ausnahmen oder doch eher um die Regel gehandelt hat. Für Heilbehandlungen von Frauen durch männliche Ärzte galten schon außerhalb der Klostermauern strenge Vorschriften. Die im späten 7. Jahrhundert aus dem „Codex Euricianus“ zur „Lex Visigothorum“ erweiterten Gesetze der Westgoten legten beispielsweise fest, daß ein Heilkundiger freie Frauen nur im Beisein eines Elternteils oder eines nahen Verwandten zur Ader lassen durfte. „Denn es kann leicht geschehen, daß bei solcher Gelegenheit Ungehöriges vorkommt“, heißt es zur Erläuterung. Handelte er diesem Gesetz zuwider, mußte er die Verwandten oder den Ehemann der behandelten Frau mit einem Bußgeld entschädigen…

Literatur: Kay Peter Jankrift, Mit Gott und schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter. Darmstadt 2005. Hans-Dieter Stoffler, Kräuter aus dem Klostergarten. Wissen und Weisheit mittelalterlicher Mönche. Stuttgart 2002. Werner Dressendörfer, Blüten, Kräuter und Essenzen. Heilkunst alter Kräuterbücher. Ostfildern 2003.

Dr. Kay Peter Jankrift

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