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Das kunstseidene Leben

Berlin in den 20er Jahren

Das kunstseidene Leben
Berlin in den 1920er Jahren war geprägt von Dauerelan und Wirrwarr, bevölkert mit Kaffeehausliteraten und Müßiggängern. Grau und gleichförmig, jugendlich und modern. Die Stadt besaß eine ganz eigene Gemengelage, Hoch- und Subkultur existierten nebeneinander. Nach der Niedergeschlagenheit des Weltkriegs herrschte ein Kult der Zerstreuung.

Den Sommer 1922 verbrachte Alfred Polgar, der Wiener Schriftsteller und Prototyp des Kaffeehausliteraten, in der deutschen Hauptstadt. „Alle Einwohner Berlins“, so hält er fest, „sind intensiv mit ihrer Beschäftigung beschäftigt. Alle nehmen sie und sich furchtbar ernst, was ihnen einen leicht komischen Anstrich gibt. Auch die Müßiggänger gehen nicht schlechthin müßig, sondern sind damit beschäftigt, müßig zu gehen, auch die nichts arbeiten tun dies im Schweiße ihres Angesichts.“ Die Berliner, konstatierte Polgar, bevor er sich wieder zurückzog „in das fidele Grab an der Donau, in die gemütlichste Katakombe Mitteleuropas“, seien unermüdlich in Bewegung, und wenn sie auch nicht wüssten, wohin es gehe in der rotierenden Dynamik, so seien sie allemal schneller dort.

Berlin, das wussten Einheimische und Besucher in dieser Zeit, Berlin, das war die Stadt, die niemals schläft. Das Wort, das die Berliner selbst für den Dauerelan, das Kaleidoskopische, den Wirrwarr und die Vereinbarkeit des Unvereinbaren gebrauchten, war „Betrieb“. „Berlin ist mir ein Ostern, das auf Weihnachten fällt, wo alles voll schillerndem Betrieb ist“, heißt es in Irmgard Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“. Es ist die 1932 in der Agonie der Glitzerwelt erschienene Geschichte eines Mädchens, das mitten durch den Moloch geht, um, wie die Ich-Erzählerin es nennt, „ein Glanz zu werden“. „Betrieb“ war in demselben Jahr der Aufsatz überschrieben, den Herwarth Walden – Mentor, Galerist und Impresario der Expressionisten – im letzten Heft der Zeitschrift publizierte, die ihn berühmt gemacht hatte: im „Sturm“. Das Berlin der Glanzzeit trieb seinem Ende entgegen. Im Jahr darauf sollte der Betrieb seinen Betrieb endgültig einstellen. Doch hält die Geschichte bisweilen auch Tröstungen bereit. Als Hildegard Knef 1964 ihre „Sehnsucht nach meinem Berlin“ in ein Lied fasste, war er schon wieder zur Stelle: „Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm – Berliner Tempo, Betrieb und Tamtam.“ Und heute rotiert der Betrieb in der Stadt fast so unermüdlich wie vor 80 Jahren…

Literatur: Rainer Metzger/Christian Brandstätter, Berlin. Die Zwanzigerjahre. Kunst und Kultur 1918 –1933. München 2006.

Michael Bienert/Elke Linda Buchholz, Die Zwanziger Jahre in Berlin. Ein Wegweiser durch die Stadt. Berlin 2006.

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