Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

„Demokratie fällt nicht vom Himmel“

Interview

„Demokratie fällt nicht vom Himmel“

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur soll seit 1998 dafür sorgen, dass intensiv über das Erbe der DDR diskutiert wird. Erklärtes Ziel ist es, jeglicher Verklärung des „Arbeiter-und-Bauern-Staates“ entgegenzuwirken. Mit der Geschäftsführerin der Stiftung, Dr. Anna Kaminsky, sprach DAMALS-Chefredakteur Stefan Bergmann.

DAMALS: Woran ist die DDR gescheitert? Anna Kaminsky: Da sind einige Umstände zusammengekommen: Letztlich war der Freiheitswillen der Menschen, ihr Durst nach Demokratie stärker als die repressive Struktur dieses Staates. Und ganz allgemein gesprochen stimmte auch der Rahmen nicht: Die vom SED-Staat praktizierte Wirtschaftspolitik war völlig verfehlt, so dass sich die DDR als nicht lebensfähig erwiesen hat. Außerdem ergab sich Ende der 1980er Jahre eine günstige außenpolitische Konstella‧tion: Die Sowjetunion rückte unter der Führung des Reformers Michail Gorbatschow davon ab, alle Staaten in ihrem Einflussbereich müssten sozialistisch nach sowjetischem Vorbild sein. Dazu gehörte auch die Aufgabe der damit verbundenen Doktrin der militärischen Einmischung. Seit dem Eingreifen russischer Panzer während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 war klar gewesen, dass sich die SED ohne die militärische Präsenz der Sowjetunion nie hätte halten können.

DAMALS: Die von Ihnen vertretene Institution trägt ihren Auftrag, nämlich die „SED-Diktatur“ aufzuarbeiten, bereits im Namen. Hätte man nicht durch eine etwas neutralere Namensgebung – sagen wir „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte“ – signalisieren können, dass es auch um einen Diskussionsprozess darüber geht, was die DDR war? Kaminsky: Ein anderer Name hätte dem Charakter dessen, was die DDR war, nicht entsprochen: Sie war eine Diktatur. Man muss auch den Zeitpunkt der Stiftungsgründung berücksichtigen: 1998. Knapp zehn Jahre nach der Wiedervereinigung gab es harte Diskussionen um die DDR-Vergangenheit. Viele ehemalige DDR-Bürger pflegten damals einen nostalgischen Blick auf die vergangenen Zeiten. Der Tenor dieser Einlassungen waren Sätze wie diese: Wenn man sich an die Gesetze gehalten hat, ist einem nichts passiert. Manche sagten allen Ernstes: Wir wollten doch gar nicht reisen. 

DAMALS: An welchen Punkten machen Sie fest, dass die DDR eine Diktatur war? Kaminsky: Es gibt typische Merkmale für eine Diktatur − all diese erfüllte die DDR: Es gab eine Einparteienherrschaft, Staat und Partei waren eng miteinander verflochten, es gab keine Gewaltenteilung, keine freie Presse, keine freien Wahlen, keine Meinungsfreiheit. Versuche, sich diese demokratischen Freiheiten und Rechte im Kleinen zu nehmen, wurden streng bestraft.

DAMALS: Und die nostalgischen Sichtweisen auf die DDR-Geschichte: Wie reagieren Sie darauf? Kaminsky: Die DDR hat sich selbst als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnet. Aber das stimmt nicht. Sie war die Diktatur einer parteistaatlichen Elite über die Mehrheit der Bevölkerung. Beim nostalgischen Rückblick auf die DDR sollte man sich nicht fragen: Was war gut an der DDR, sondern: Was ist gut an einer Diktatur? Was war gut dar‧an, dass der Staat entschied – übrigens meistens abschlägig –, ob ich zu Geburtstagen, Hochzeiten oder Beerdigungen von Freunden oder Verwandten in den Westen reisen durfte? Was war gut daran, dass nach dem Mauerbau von 1961 Eheleute getrennt waren, nur weil einer von beiden zufällig gerade auf der anderen Seite gewesen war? Daraus ergeben sich neue Fragen wie diese: Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn es diese Diktatur nicht gegeben hätte? Wenn man die Diskussion auf diese Ebene bringt, muss man sich nicht persönlich angegriffen fühlen.

Anzeige

DAMALS: Lassen sich mit dieser Einordnung auch die gerne von ehemaligen DDR-Bürgern zitierten Errungenschaften des Sozialismus entkräften − zum Beispiel die flächendeckende Kinderbetreuung, der Haushaltstag für verheiratete Frauen, die sicheren Arbeitsplätze? Kaminsky: Nach 1990 fielen in einigen Bereichen Dinge weg, die es den DDR-Bürgern vor der Wende ermöglicht hatten, ihren Alltag zu meistern, beispielsweise die Kinderbetreuung. Natürlich war die früher zum Teil gut gewesen, keine Frage. Aber es steckte auch eine Struktur dahinter: Erstens war die DDR-Wirtschaft darauf angewiesen, dass die Frauen arbeiteten. Und zweitens bekam der Staat mit Hilfe der Betreuung frühzeitig Zugriff auf die Kinder, die er mit seinen ideologischen Inhalten vertraut machte. Man traute der Erziehung in der Familie nicht.

DAMALS: Wenn das so ist, wie erklären Sie sich dann die DDR-Nostalgie? Kaminsky: Viele DDR-Bürger begannen sich nach der Wiedervereinigung wie Bürger zweiter Klasse zu fühlen. Ihre Gehälter waren niedriger als die der Westdeutschen, ihre Berufsabschlüsse wurden zum Teil nicht anerkannt, ihr Alltag wurde auf den Kopf gestellt. Es gab zahlreiche Bereiche, in denen sie sich nicht auskannten, sie mussten viel mehr Eigenverantwortung schultern. Aus der Vielzahl dieser Erfahrungen entstand ein Unterlegenheitsgefühl. Dass der Mensch sich dann an Dinge erinnert, die gut erscheinen, selbst wenn man sie früher nicht besonders geschätzt hat, und an Zeiten, in denen er sich sicher fühlte, ist verständlich.

DAMALS: Ist die Stiftung ein politisches Instrument? Kaminsky: Die Bundesstiftung Aufarbeitung lässt sich nicht instrumentalisieren. Dafür sorgt bereits die überparteiliche Gremienbesetzung. Wir sind eine Einrichtung der Aufklärung und der politischen Bildung. Dabei sind Diskussion und Streit ausdrücklich mit eingeschlossen.

DAMALS: Es gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Stiftung, ich zitiere: „an der Aufarbeitung von Diktaturen im internationalen Maßstab mitzuwirken“. Schließt das mit ein, Unterschiede und Schnittmengen der DDR mit der anderen Diktatur auf deutschem Boden, dem Nazi-Regime, herauszuarbeiten? Kaminsky: Dieses Thema begegnet uns immer wieder, und es liegt natürlich nahe, nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu fragen, wenn in einem Land bzw. einem Teil davon zwei diktatorische Regime aufeinanderfolgen. Beide Regime waren Diktaturen. Als Stiftung lehnen wir deren Gleichsetzung aber strikt ab. Der verbrecherische Charakter des NS-Regimes, das einen rassistischen Eroberungs- und Vernichtungskrieg führte und Millionen Menschen – Juden, Sinti und Roma – aus rassistischen Gründen ermordete, hat eine ganz andere Dimension als das Unrechtssystem der SED-Herrschaft. Dies verbietet aber keineswegs den Vergleich dieser Diktaturen. Der kann sowohl in der Wissenschaft als auch in der historisch-politischen Bildung fruchtbar sein, etwa wenn es darum geht, Methoden der Machterringung und -sicherung von Diktaturen grundlegend zu analysieren.

DAMALS: Die DDR ist vor 25 Jahren zusammengebrochen. Warum ist Aufarbeitung heute noch wichtig? Kaminsky: Wir merken immer wieder, wie sehr diese Vergangenheit die Menschen noch bewegt. Sie reiben sich daran. Diese Vergangenheit hat sie geprägt – und zum Teil auch traumatisiert. Jeder DDR-Bürger, der einmal erlebt hat, dass er von den Behörden „zur Klärung eines Sachverhalts“ einbestellt wurde, kennt dieses besondere Gefühl der Verunsicherung, das dadurch ausgelöst wurde, die Atmosphäre des Misstrauens: Habe ich etwas falsch gemacht? Mit wem habe ich gesprochen? Was habe ich gesagt? Und viele Westdeutsche erinnern sich ihr Leben lang daran, wie sie beim Grenzübertritt kontrolliert wurden.

DAMALS: Gibt es weitere Gründe, sich mit der DDR-Vergangenheit zu beschäftigen? Kaminsky: Ja, etwas anderes kommt noch hinzu: Durch Akten und Materialien, die erst jetzt zugänglich sind, erhalten wir immer wieder neue Erkenntnisse über die DDR-Vergangenheit, zum Beispiel darüber, welche besonders gefährlichen Zwangsarbeiten politische Strafgefangene leisten mussten. Oder wie unbequeme Jugendliche in Heime gesteckt wurden, um sie unter Kontrolle zu bringen. Oder nehmen Sie die Frage der Medikamentenversuche, die westdeutsche Unternehmen in der DDR durchgeführt haben. Unter welchen Umständen liefen sie ab? Wussten die Probanden darüber Bescheid? Man muss über solche Themen diskutieren, um deutlich zu machen: Demokratie fällt nicht einfach vom Himmel. Und nichts wird von selbst besser, sondern nur, wenn man sich dafür einsetzt.

DAMALS: Gerade bei jüngeren Menschen, die den Ost-West-Konflikt nicht erlebt haben, scheint es wenig Wissen über die DDR zu geben. Abgesehen von der fehlenden Erfahrung: Woran liegt das? Kaminsky: Woher sollen junge Menschen etwas über die DDR wissen, wenn es in den Schulen nicht unterrichtet wird? Rund 80 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die die zehnte Klasse beenden, haben kaum aktuelle Kenntnisse über die deutsche Nachkriegsgeschichte. Wir als Stiftung wollen erreichen, dass deutsch-deutsche Geschichte nicht nur verbindlich in die Lehrpläne aufgenommen, sondern vielmehr auch Prüfungsstoff wird. Nur dann wird es auch tatsächlich unterrichtet.

DAMALS: Sie sind selbst in der DDR aufgewachsen. Gibt es etwas, das aus dieser Zeit unbedingt hätte erhalten werden müssen? Kaminsky: Auf staatlicher Ebene: nein. Aber es hat zu DDR-Zeiten bedingt durch die Verhältnisse im persönlichen Kreis eine bestimmte Form von Nähe und Solidarität gegeben, eine Art Nische, die es so nicht mehr gibt – und die es auch heute in dieser Form nicht mehr braucht. Man hat sich damals beispielsweise öfter gegenseitig ohne vorherige Anmeldung besucht. Dieses Gefühl ist ein wenig verlorengegangen. Ich bin allerdings unsicher über die Ursachen. Natürlich hindert mich auch heute nichts an einem spontanen Besuch. Es liegt an mir, dass ich diese Dinge nicht mehr mache. Aber jetzt treffen wir uns eher im Café auf einen Latte macchiato.

Eine Stiftung mit gesetzlichem Auftrag Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BStA) wurde 1998 vom Deutschen Bundestag eingerichtet. Ihrem gesetzlichen Auftrag gemäß soll sie die Ursachen, die Geschichte und die Folgen der Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sowie der DDR erforschen und darüber informieren. Sie berät unter anderem Wissenschaftler und Institutionen und fördert Projekte.

Mehr im Internet unter: www.bundesstiftung-aufarbeitung.de

Foto auf der Startseite: Am 7. Oktober 1949 wurde die DDR gegründet. Mitglieder der kommunistischen Freien Deutschen Jugend (FDJ) feierten den neuen Staat in Berlin. (Ullstein Bild / ADN-Bildarchiv)

Interview: Stefan Bergmann

Anzeige
DAMALS | Aktuelles Heft
Bildband DAMALS Galerie
Der Podcast zur Geschichte

Geschichten von Alexander dem Großen bis ins 21. Jahrhundert. 2x im Monat reden zwei Historiker über ein Thema aus der Geschichte. In Kooperation mit DAMALS - Das Magazin für Geschichte.
Hören Sie hier die aktuelle Episode:
 
Anzeige
Wissenschaftslexikon

phil|har|mo|nisch  〈Adj.; Mus.〉 zu einer Philharmonie gehörend ● ~es Orchester 〈eigtl.〉 die Musik liebendes Orchester (Name mancher Orchester) … mehr

Ka|mel  〈n. 11〉 1 〈Zool.〉 Angehöriges einer Gattung paarhufiger Wiederkäuer trockener Klimate mit Fetthöcker auf dem Rücken: Camelidae 2 〈fig.; umg.〉 Dummkopf … mehr

Pour le Mé|rite  〈[pur l merit] m.; – – –; unz.〉 1 1740 von Friedrich dem Großen gestifteter, hoher Verdienstorden (bis 1918, seit 1952 in der BRD wieder verliehen) 2 Friedensklasse des ~ 1842 von Friedrich Wilhelm IV. gestifteter Orden für Verdienste in Wissenschaft u. Kunst … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige