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Der beste Krimi aller Zeiten

Die Burgunden des Nibelungenliedes

Der beste Krimi aller Zeiten
Sie wurden ideologisch vereinnahmt, von Archäologen weitgehend vergeblich gesucht und neuerdings zu Festspielhelden: Die Burgunden des Nibelungenliedes. Doch was bleibt an historischen Fakten hinter dem alles überlagernden Mythos übrig?

„Der beste Krimi aller Zeiten!” So feierte die Homepage der Wormser Nibelungenfestspiele die alte Heldendichtung um den beinahe unverwundbaren Siegfried und den Burgunderkönig Gunther. Und tatsächlich: Die Begeisterung für den 800 Jahre alten Stoff um Liebe, Eifersucht und Rachlust ist ungebrochen. Die Vorstellungen vor dem Südportal des Wormser Doms waren im ersten Jahr komplett ausverkauft; das ZDF brachte eine Fernsehfassung in die Wohnzimmer. Im Jahr 2003 wollten immerhin noch 23000 Besucher die Neuauflage sehen, was einer Auslastung von 85 Prozent entspricht.

Popularität erlangte die Erzählung schon früh. Ihre historischen Wurzeln, eine verheerende militärische Niederlage der Burgunden gegen die Hunnen, liegen im 5. Jahrhundert. Viele germanische Sagenkreise kannten seither den unglücklichen König Gunther und verklären seine Geschichte auf die eine oder andere Weise. Im 13. Jahrhundert wurde die Sage zu zeitgenössischer höfischer Dichtung verarbeitet. Dutzende von Handschriften haben die Jahrhunderte überdauert und bezeugen die Bekanntheit des Epos. Einen vorübergehenden Bedeutungsverlust erlitt das Nibelungenlied Mitte des 15. Jahrhunderts: Die alte Heldendichtung konnte nicht vor der Renaissance und ihrer Begeisterung für klassische Stoffe wie der”Germania” des Tacitus bestehen. Erst im 18. Jahrhundert wurde die mittelhochdeutsche Dichtung neu entdeckt und seither wiederholt zur deutschen Identitätssuche ge- und mißbraucht. Reichskanzler Bernhard Fürst von Bülow etwa prägte am 29. Mai 1909 in einer Reichstagsrede das Schlagwort von der “Nibelungentreue”, mit dem er ein unverbrüchliches Bündnis zwischen Deutschem Reich und Österreich-Ungarn beschwor. Im Ehrensaal des Reichsluftwaffenministeriums verglich Hermann Göring am 30. Januar 1943 die Schlacht um Stalingrad mit dem Kampf der Burgunden: “Wir kennen ein gewaltiges, heroisches Lied von einem Kampf ohnegleichen, das hieß ‚Kampf der Nibelungen‘. Auch sie standen in einer Halle von Feuer und Brand und löschten den Durst mit eigenem Blut – aber kämpften und kämpften bis zum letzten.” Inwiefern es möglich ist, mit dem Stück jenseits aller Ideologisierungen an “europäische Geschichte anknüpfen” zu können, ist schwer zu beurteilen, denn der historische Gehalt des Nibelungenliedes ist gering, die geschichtlichen und geographischen Angaben weisen zahlreiche Ungereimtheiten auf. Dennoch mangelt es nicht an aktuellen Versuchen, dem Nibelungenlied oder inhaltlich verwandten Dichtungen “neue Erkenntnisse zur historischen Wahrheit” abzuringen. Unumstritten ist indes lediglich, daß es ein Burgunderreich Gundahars am Rhein gegeben hat – sein Untergang ist in zahlreichen Quellen belegt. Dies bildet den historischen Kern der Dichtung.

„Es gibt eine barbarische Nation, die sich in der Gegend des Rheinstroms aufhält und Burgunden genannt wird. Sie führen ein friedliches Leben. Sie besitzen eine besondere Fähigkeit für allerlei Holzarbeiten und nutzen diese Kenntnisse für ihr eigenes Wohlergehen” Als der Byzantiner Sokrates Scholasticus diese Zeilen im 5. Jahrhundert schrieb, hatten die ostgermanischen Burgunden bereits eine lange Wanderung hinter sich, deren Verlauf bis heute nicht endgültig geklärt ist. Ihre ursprüngliche Heimat wird wohl im Süden Skandinaviens gelegen haben. Im Zuge verschiedener Wanderbewegungen betraten die Burgunder im 2. Jahrhundert Mitteleuropa und zogen im 3. Jahrhundert zum Rhein-Main-Gebiet. Von der großen “Barbareninvasion” von 406/407 – deren Hauptträger Vandalen, Alanen und Sueben waren – wurde ein großer Teil der Burgunden über den Rhein gedrängt. Wo ihr neuer, linksrheinischer Siedlungsraum gelegen hat, ist ungeklärt.

In jedem Falle stießen die Neuankömmlinge bei ihren Wanderungen nicht in unbewohntes Gebiet vor, militärische Konflikte mit der ansässigen und der benachbarten fränkischen und alamannischen Bevölkerung ergaben sich fast zwangsläufig. Dies führte die Burgunden an die Seite der Römer, denen sie sich als Verbündete empfahlen. Als die Burgunden jedoch unter dem Druck der nach Westen vorstoßenden Hunnen 435 in die römische Provinz Belgica I eindrangen, erlosch alles Einvernehmen: Bereits im folgenden Jahr verbündete sich der römische Feldherr Aëtius mit dem hunnischen König Attila (Etzel) und schlug den Burgunderkönig Gunther vernichtend. Die “Gallische Chronik” eines unbekannten Autors weiß gar zu berichten, daß “fast das ganze Volk mit seinem König von Aëtius vernichtet worden” sei.

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Die Beteiligung Roms am Untergang der Nibelungen, welche die historischen Quellen vermerken, überliefert die Sage nicht – und sie verlagert das Kampfgeschehen an Attilas Hof. Anders als im Nibelungenlied und in der “Gallischen Chronik” berichtet, sind die historischen Burgunden keineswegs ausgelöscht worden. Die Überlebenden der Katastrophe wurden als Föderaten der Römer vermutlich ins Gebiet des Genfer Sees und des heutigen Savoyen umgesiedelt. Seit 457 entstand hier unter Gundowech das Königreich Burgund mit seinen Residenzstädten Geneva (Genf) und später Lugdunum (Lyon). 532 unterlag der letzte Burgunderkönig Godomar den Franken.

Für die Konstruktion einer europäischen Geschichte, mithin einer europäischen Identität geben die wenigen gesicherten Erkenntnisse also nicht viel her. Und auch die Archäologie, die gewöhnlich dort ansetzt, wo die historiographischen Quellen schweigen, kann nicht jene europäische Identität stiften, die so gerne beschworen wird. Der Burgundenbegriff ist dennoch nicht weniger wirkungsmächtig als der Nibelungenmythos: Ähnlich hartnäckig, wie man im Odenwald an die Existenz mindestens dreier “Siegfriedsbrunnen” glaubt, mühen sich Archäologen seit Generationen ab, die frühen Burgunden zu lokalisieren. Der heftige Wunsch, das sagenumwobene Volk des 5. Jahrhunderts – am liebsten im Raum Worms – nachzuweisen, treibt bis heute viele wenig überzeugende Blüten. Taucht in vermeintlich burgundischen Siedlungsgebieten nicht einheimisches Formengut in Gräberfeldern auf – seien es ungewöhnliche Gürtelschnallen, Ohrringe oder fehlende Waffen – werden rasch die Burgunden als Urheber postuliert. Dagegen weisen jüngere Arbeiten darauf hin, wie schwierig, ja fast unmöglich es sei, etwas ausgesprochen “Burgundisches” zu identifizieren. Tatsächlich sind viele jener Objekte, die gemeinhin als burgundisch charakterisiert wurden, eher im Alamannischen zu verorten. Dementsprechend fehlen für das Rhein-Main-Gebiet, für das linke Rheinufer, wo die Burgunden 30 Jahre lang siedelten, und für ihre Heimat im Genfer Raum nennenswerte archäologische Zeugnisse.

Der fundamentale Mangel an Hinterlassenschaften der Burgunden – die ja in den Quellen bezeugt sind – verweist auf ein archäologisches Grundproblem: Lassen sich Funde überhaupt einwandfrei mit bestimmten Ethnien oder Stämmen in Verbindung bringen? Gibt es einen “typisch hunnischen” oder einen “typisch burgundischen” Gegenstand? Vieles spricht derzeit dafür, daß diese Frage bisher zu sorglos mit “ja” beantwortet wurde. Sollte es je einen eigenständigen Stamm gegeben haben, der sich selbst kontinuierlich als burgundisch verstanden hat, so ist er jedenfalls archäologisch kaum nachweisbar. Es gibt eine plausiblere Lösung: Bei den Burgunden handelte es sich – ebenso wie bei den Hunnen und vielen weiteren Stämmen – um ein völkerwanderungszeitliches Kulturgemisch. Auf dem Zug durch Mitteleuropa assimilierten die Burgunden so viele Elemente anderer Kulturen – und wirkten zweifellos auch auf diese zurück – daß ein “Stamm der Burgunden” heute anhand von Grabbeigaben und Bestattungssitten kaum nachzuweisen ist. Die Forschungskontroversen werden den Wormser Festspielen aber sicherlich nicht schaden – einer zünftigen Heldengeschichte tut zu viel Authentizität ohnehin nicht gut.

Caroline Reiher

Literatur: Das Nibelungenlied. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert von Siegfried Grosse, Stuttgart 2003.

Uns ist in alten Mären… Das Nibelungenlied und seine Welt Zum erstenmal werden bei der Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe (13. Dezember 2003 – 14. März 2004) die drei bedeutendsten Handschriften des Nibelungenliedes vereint zu sehen sein. Juwel der Ausstellung ist die Handschrift C, die die Badische Landesbibliothek im Jahr 2001 vom Haus Fürstenberg in Donaueschingen erworben hat. Sie gilt als die älteste der drei vollständigen, im 13. Jahrhundert entstandenen Handschriften. Auch jüngste Funde werden in der Ausstellung berücksichtigt: So werden erstmals Überreste einer Nibelungen-Handschrift zu sehen sein, die 2003 im Mainzer Gutenberg-Museum – versteckt im hölzernen Einband einer Inkunabel – gefunden wurden. Die Ausstellung folgt in ausgewählten Stationen dem Handlungsstrang des Nibelungenliedes, dessen Verse durch Exponate aus der Entstehungszeit des Liedes um 1200 ergänzt werden. So entsteht anhand von Themenkomplexen wie Herrschaftsaufbau, Rittertum, Burgen, Schiffahrt, Turnier, Jagd… ein anschauliches Bild vom Leben im hohen Mittelalter.

Zur Ausstellung erscheint beim Primus Verlag ein reichillustrierter Katalog, der den aktuellen Stand der Forschung zusammenfaßt.

Caroline Reiher

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