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Der gebrauchte Lieferwagen

Ein handwerksmeister und die Staatsorgane der DDR

Der gebrauchte Lieferwagen
Ein Auto anzuschaffen war für DDR-Bürger kein leichtes Unterfangen – auch wenn er oder sie es beruflich brauchte. Mischte dann noch der Amtsschimmel mit, konnte der Vorgang leicht im Desaster enden.

Während sich Erich Honecker in den außenpolitischen Erfolgen sonnte, die ihn 1987 bis auf den roten Teppich zum Staatsbesuch in Bonn trugen, erfuhren die Bürger der DDR die Zustände im eigenen Land als immer desolater.

Demokratisierungsprozesse, in den 70er Jahren versprochen, waren uneingelöst geblieben. Die Führungsriege der DDR wirkte wie eingefroren: reformunfähig und nur auf Machterhalt fixiert. Zu spüren bekamen die Bürger dies im rapiden Ausbau des Apparats des Ministeriums für Staatssicherheit. Innerlich hatten sich die meisten von ihrem Staat verabschiedet und, wo immer es ging, ihre Nische gesucht.

Versorgungsprobleme prägten den Alltag. Beschaffungstouren der Werktätigen – meist während der Arbeitszeit – ließen die Produktivität der Volkswirtschaft stetig weiter sinken. Auch technologisch hatte die DDR den Anschluss verpasst. Auf der Höhe der Zeit waren nur Importwaren – von japanischen Videorekordern (zum Preis von 8000 Mark!) über PKW ausländischer Produktion (VW, Citroën) bis zu den Angeboten der Intershop-Läden. Da für das Regime jedoch die Devisenbeschaffung im Vordergrund stand, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden, waren Waren aus dem Westen kontingentiert – und genossen zwangsläufig kultische Verehrung.

Selbst die offiziellen Verlautbarungen zeigten nur noch wenig Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des eigenen Gesellschaftssystems. Vom „Sieg des Sozialismus“ war schon lange keine Rede mehr, ebenso wenig vom „Weltniveau“, das die DDR-Wirtschaft einst hatte erreichen wollen. Doch erst nach der Wende sollte sich herausstellen, wie marode die DDR-Wirtschaft war. Der „real existierende Sozialismus“, den jeder Bürger in festgeschriebenen Preisen für die Dinge des täglichen Bedarfs erfuhr, verschlang Milliarden an Subventionen und ließ keinen Spielraum mehr für Investitionen.

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Vor diesem Hintergrund spielt die folgende Geschichte, die über den ökonomischen wie sozialpsychologischen Zustand der DDR in ihrer Endphase viel erzählt. Sie illustriert den fast schon absurden Leerlauf aller Staatsorgane ebenso wie deren Arroganz. Und auf der anderen Seite: der aussichtlose Kampf der Betroffenen gegen den Apparat, ihre Wut, Verbitterung, schließlich ihre Resignation.

20. August 1985. Meister L. aus Schleiz stellt einen „Antrag auf Lieferung eines Gebrauchtlieferwagens vom Typ Barkas B 1000 zur Aufrechterhaltung der Dienstleistungen und Reparaturen an Haushaltskühlschränken für die Bevölkerung“. Mit seinem alten Wartburg 311, Baujahr 1959, könne er die an ihn gestellten Aufgaben kaum noch erfüllen, „da der Wagen sehr oft ausfällt und keine Reparatur-Werkstatt ihn mehr reparieren will“. Vorausgegangen ist ein Gespräch mit dem ebenfalls als Elektrofachmann tätigen Kollegen H. aus dem Nachbarort Hirschberg, der bereit ist, seinen bereits eingereichten Antrag auf Bereitstellung eines Fahrzeugs zurückzustellen.

Als sich Anfang 1986 noch immer nichts tut, sucht Meister L. Unterstützung beim Bezirksdirektor des Volkseigenenen Betriebs (VEB) Haushalt-geräteservice Bezirksdirektion Gera. Der befürwortet den Antrag und legt die Dringlichkeit in einem Brief an ein Mitglied des Rats des Kreises Schleiz für ÖVW (Örtliche Versorgungswirtschaft) dar. Dieses wendet sich im April an die übergeordnete Stelle der ÖVW zwecks „Bereitstellung eines Kleintransporters B 1000“ bei gleichzeitiger Zurückstellung des Antrags der Konkurrenzfirma H.

Zwei Monate vergehen. Am 23. Juli 1986, fast ein Jahr nach seinem Antrag, wendet sich Meister L. in seiner Not an den Staatsrat der DDR und bittet „um entsprechende Unterstützung bei der Bereitstellung eines Fahrzeugs“. Er erhält zur Antwort, dass man mit dem Rat des Bezirks Gera Kontakt aufgenommen habe und er von dort weiteren Bescheid abwarten möge. Ein weiterer Monat vergeht. Dann hakt Meister L. beim Staatsrat nach: In Gera habe man ihm auf telefonische Nachfrage lediglich mitgeteilt, „dass mit einer Bearbeitung nicht vor dem 22. August 1986 begonnen“ werden könne; außerdem müsse man Rücksprache mit der ÖVW des Rats des Kreises Schleiz nehmen. Antwort des Staatsrats: Man habe sich „umgehend mit dem Rat des Bezirks Gera in Verbindung gesetzt und um eine abschließende Prüfung des Anliegens gebeten“.

Von dort erhält Meister L. am 6. Oktober Bescheid. Die Eingabe sei „unmittelbar nach Erhalt zur Prüfung des Sachverhaltes und zur möglichen Einordnung dem Mitglied des Rates für Örtliche Versorgungswirtschaft übergeben“ worden. „Von dort“, so der Sachbearbeiter, sei in Erfahrung gebracht worden, „dass der für das Jahr 1986 für den Kreis Schleiz vorgesehene Kleintransporter B 1000 bereits durch den Rat des Kreises Schleiz vergeben war“. Im Übrigen hätten die „umfangreichen Rücksprachen zur Bearbeitung der Angelegenheit über Gebühr Zeit in Anspruch genommen, so dass die gesetzliche Bearbeitungszeit überschritten“ sei…

Literaturtipp für Autofans: Peter Böhlke, DDR-Automobile von A-Z, München 2008. Sehr schöner, aufwändig mit zahlreichen Abbildungen illustrierter Band.

Dr. Dirk Schindelbeck

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