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Der König aller Spanier

Juan Carlos de Borbón wird König von Spanien

Der König aller Spanier
„Españoles: Franco ha muerto“ – die offizielle Verkündung von Francisco Francos Tod durch Ministerpräsident Arias Navarro läutete das Ende der letzten Diktatur in Westeuropa ein. Sie signalisierte aber gleichzeitig den Anfang einer ungewissen Übergangsphase, deren Hauptgestalter der neue König Juan Carlos I. wurde.

Der mediale Ausnahmezustand war im spanischen Herbst 1975 fast zur Routine geworden. Regelmäßig verbreiteten staatlich kontrollierte Nachrichtensendungen die im medizinischen Fachjargon formulierten Berichte des 24köpfigen Ärzteteams im Krankenhaus La Paz in Madrid. „Herzinsuffizienz, blutende Magengeschwüre, Bauchfell- und Venenentzündungen mit Thrombosebildung …“: Die Umstände vom qualvollen Ableben des 82jährigen Diktators, das sich schließlich länger als vier Wochen hinzog, lenkten den Blick der gesamten Weltöffentlichkeit auf Spanien. Daß seine schwere Erkrankung, die Mitte des Monats offiziell als „leichte Grippe“ begonnen hatte, irreversibel geworden war, wurde am 30. Oktober klar, als Kronprinz Juan Carlos de Borbón vom Ministerrat zum amtierenden Staatschef ernannt wurde.

Francos physischer Verfall ging mit dem nicht mehr aufzuhaltenden Kollaps seines Regimes einher. Die Hinrichtung von fünf Mitgliedern der ETA und der kommunistischen FRAP am Morgen des 27. September hatte weltweit eine Welle der Entrüstung ausgelöst, ohne daß die Diktatur dem internationalen Protest mehr als ihre altbewährten Propaganda- und Mobilisierungsmittel entgegensetzen konnte. Francos letzter öffentlicher Auftritt bei einer „patriotischen Demonstration“ am 1. Oktober auf der Madrider Plaza de Oriente dokumentierte sowohl die Ausweglosigkeit der politischen Lage als auch die Realitätsverweigerung der treuesten Franquisten, welche die mit schwächlicher Stimme vorgetragene Anklage des Diktators an eine „linke freimaurerische Verschwörung in Gemeinschaft mit terroristischer kommunistischer Subversion“ noch bejubelten.

Dieser Höhepunkt der internationalen Isolation war vom marokkanischen König Hassan II. dazu genutzt worden, die spanische Überseeprovinz Westsahara militärisch und politisch unter Druck zu setzen. Im Oktober verkündete Hassan, daß 350000 unbewaffnete Freiwillige unter seiner Führung einen „Grünen Marsch“ bis zur Hauptstadt El-Aaiún zur „friedlichen“ Annexion des Territoriums unternehmen würden. Demzufolge war die erste Handlung von Juan Carlos als amtierender Staatschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte, in die Wüstenkolonie zu fliegen, um die Stimmung beim dort stationierten Militär zu beruhigen, es auf einen „geordneten und ehrenvollen“ Abzug einzustimmen und einer unter den damaligen Umständen überaus gefährlichen Eskalation vorzubeugen.

Das Regime schien also in vielerlei Hinsicht so zu enden, wie es begonnen hatte: mit Repression als einziger Antwort auf die Opposition im Inland, außenpolitischer Isolation und dem Rückgriff auf stereotype, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster. Dies alles war, symbolisch genug, verbunden mit dem von Marokko erzwungenen Ende der spanischen Kolonialpräsenz in Nordafrika, wo der Aufstieg Francos seinen Anfang genommen hatte.

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Am Morgen des 20. November 1975 wurde der längst erwartete Tod bekanntgegeben. Ministerpräsident Arias Navarro verlas über Rundfunk und Fernsehen ein „politisches Testament“, in dem sich der halbherzige Versuch einer letzten versöhnlichen Geste mit der penetranten Erinnerung an die ideologischen Grundsätze der Diktatur verband: Die nationale Einheit müsse erhalten bleiben und vor den allseits lauernden „Feinden Spaniens und der christlichen Zivilisation“ geschützt werden. Francos Appell an die Spanier, seinem königlichen Nachfolger loyal beizustehen, enthielt implizit die Annahme einer nahtlosen Kontinuität seiner eigenen autoritären, zentralistischen und nationalkatholisch geprägten Politik. Und diese Kontinuität sollte institutionell flankiert werden. Denn obwohl in jenen Tagen die Unklarheit der politischen Zukunft ein dominantes Gefühl darstellte, war der formelle Ablösevorgang penibel geregelt: Ein Regentschaftsrat, der sich bezeichnenderweise aus dem Vorsitzenden der franquistischen Ständeversammlung (Cortes), dem dienstältesten General der Streitkräfte und einem ranghohen Geistlichen zusammensetzte, übernahm vorerst die Regierung des Landes und legte den Rahmen fest, in dem die Inthronisation Juan Carlos’ und das Begräbnis Francos stattfinden sollten. Der Leichnam des Diktators sollte zwei Tage lang im Königsschloß zur Schau gestellt werden. Aus Trauer oder Neugierde defilierten Hunderttausende vor Francos Sarg und nahmen von ihm Abschied.

Am 22. November 1975 wurde Juan Carlos in den Cortes vor den versammelten Institutionen des Regimes vereidigt und als Juan Carlos I. zum König proklamiert. Die Eidesformel beinhaltete ein eindeutiges Bekenntnis zu den franquistischen „Grundgesetzen des Königreichs“ sowie zu den politischen Prinzipien der „Nationalen Bewegung“. Seine daran anschließende Rede enthielt jedoch Elemente, die durchaus aufhorchen ließen: So sprach sich der neue Monarch für eine Öffnung der Partizipationsmöglichkeiten der Bürger aus und bekräftigte bei expliziter Anerkennung der „regionalen Eigentümlichkeiten“ seinen festen Wunsch, „König aller Spanier“ zu sein.

Aussichten auf einen Wandel brachte auch der liberal gesinnte Kardinal Vicente Enrique y Tarancón zum Ausdruck, als er sich am 27. November in seiner Predigt bei der Inthronisationsmesse in der Jerónimos-Kirche genau dieser Hoffnung auf eine integrierende und demokratiefördernde Monarchie anschloß: „Wir bitten Sie: Seien Sie der König aller Spanier!“ Gerade die jeweils unterschiedliche Atmosphäre der Feier verdeutlicht die Ambivalenz der damaligen Situation: Während die Beisetzung des verstorbenen Diktators im „Valle de los Caídos“ am Sonntag, 23. November, zu einer faschistischen Demonstration wurde, der lediglich General Pinochet sowie einige wenige Herrscher aus der arabischen Welt beiwohnten, bewiesen vier Tage später europäische Persönlichkeiten wie der deutsche Bundespräsident Walter Scheel oder der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing durch ihre Anwesenheit bei der Inthronisationsmesse ihre Bereitschaft, eine demokratische Wende in Spanien zu unterstützen.

Allerdings bedeutete Francos Tod noch keineswegs das Ende des Franquismus. Dessen institutioneller Apparat war weiterhin intakt, und die Mehrheit seines politischen Personals, ebenso wie die des ihn stützenden Militärs, war von der Vorstellung selbst einer kleinen politischen Öffnung weit entfernt. Trotz der seit Anfang der 70er Jahre deutlich erkennbaren Risse im politischen System und trotz der in Spanien leicht verspätet eintretenden Wirkungen der Erdöl-Krise von 1973 blockierte der weiter amtierende Arias Navarro nach Francos Tod jeden königlichen Versuch, die Strukturen der Diktatur zu lockern. Die demokratische Opposition begegnete dem König ihrerseits mit erheblicher Skepsis – schließlich war er nicht nur ein unerfahrener, weitgehend im Franquismus sozialisierter junger Mann; er hatte sich darüber hinaus verpflichtet, das politische Erbe der Diktatur zu pflegen…

Dr. Antonio Sáez-Arance

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